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Indien, Pakistan und der indisch-pakistanische Konflikt: Ereignisse ab April 2003

Zusammengestellt aus Agenturmeldungen

1. - 13. April 2003

Die Atommächte Indien und Pakistan haben sich an der Grenze in Kaschmir erneut Artilleriegefechte geliefert. Indien beschuldigte Pakistan am 4. April, auch auf Gebiete mit Zivilisten gezielt zu haben. Auf indischer Seite sei ein Soldat getötet worden. Das berichtete die indische Nachrichtenagentur Uni.

Bei einem Massaker an Angehörigen der Dima-Volksgruppe sind am 4. April im Nordosten Indiens 23 Menschen getötet worden. Die Leichen wurden in einem Wald nahe Cachar im Bundesstaat Assam gefunden. Als Täter gelten Kämpfer der Hmar-Volksgruppe, die Ende März mehrere Dima-Dörfer überfallen und 28 Menschen entführt hatten.

Kämpfer einer paramilitärischen Truppe in Indien haben nach eigenen Angaben den Anführer einer Rebellengruppe im indischen Teil Kaschmirs getötet, die für die Entführung von sechs westlichen Touristen im Jahr 1995 verantwortlich gemacht wird. Vier der Geiseln, darunter der Deutsche Dirk Hasert, werden bis heute vermisst. Ein Sprecher der Truppe erklärte am 6. April, seine Kämpfer hätten Fayaz Ahmad Khan, den mutmaßlichen Anführer der Untergrundorganisation Harkat-ul-Mujahedeen in Indien, bei einer Razzia getötet. Die Razzia fand den Angaben zufolge am frühen Sonntagmorgen (6. April) in Aharabal statt, einem Dorf 75 Kilometer südlich von Srinagar, der Sommerhauptstadt des Unionsstaates Jammu-Kaschmir. Ein Sprecher der Gruppe Harkat-ul-Mujahedeen in Pakistan konnte den Tod von Fayaz Ahmad Khan nicht bestätigen. "Wir wissen nicht, ob wir einen Kommandeur dieses Namens haben", sagte der Sprecher in Muzaffarabad, der Hauptstadt des pakistanischen Teils von Kaschmir. Harkat-ul-Mujahedeen ist eine von über einem Dutzend Rebellengruppen, die für die Unabhängigkeit des indischen Teils Kaschmirs oder für dessen Vereinigung mit Pakistan kämpfen. Zu der Entführung der sechs Touristen vor acht Jahren hatte sich eine andere Gruppe bekannt, Al-Faran. Die indische Regierung glaubt aber, dass Harkat-ul-Mujahedeen dahinter steht. Die Untergrundorganisation wird zudem für die Entführung eines indischen Flugzeugs von Nepal nach Afghanistan im Jahr 1999 verantwortlich gemacht. Die Passagiere wurden gegen drei Rebellenführer ausgetauscht, die später in Pakistan auftauchten. Indien wirft Pakistan vor, die Rebellen zu unterstützen.

Indien will noch in diesem Jahr eine atomwaffenfähige Langstreckenrakete testen. Der Test der Boden-Boden-Rakete vom Typ "Agni III" sei "überfällig", sagte Verteidigungsminister George Fernandes der indischen Nachrichtenagentur PTI am 6. April: "Wir brauchen diese Langstreckenrakete als Teil unserer Abschreckungspolitik." Fernandes gab die Reichweite der Rakete mit mehr als 2.000 Kilometern an; Berichten zufolge kann sie bis zu 5.000 Kilometer erreichen.

Mutmaßliche Rebellen in Pakistan haben durch einen neuen Anschlag auf Pipelines am 8. April die Gasversorgung in Teilen des Landes unterbrochen. Zwei Pipelines wurden in der Nähe von Sadiqabad im Zentrum des Landes durch Sprengstoffanschläge aufgerissen. Eine Miliz der Bugti-Volksgruppe verlangt einen größeren Anteil an den Profiten durch die Gasgewinnung in ihrer Heimat.

Am Wochenende 12./13. April wurde bekannt, dass US-amerikanische Diplomaten sich im indisch-pakistanischen Konflikt um Kaschmir wieder als Vermittler anbieten wollen. Außenminister Powell oder sein Stellvertreter Richard Armitage wollen in nächster Zeit die Region besuchen. Offizielles Ziel der Reisen soll sein Druck auf Pakistan auszuüben, damit dort härter gegen islamistische Extremisten vorgegangen wird. Andererseits soll Indien dazu bewogen werden, Verhandlungen mit Pakistan über Kaschmir aufzunehmen. Vorausgegangen waren provokative Statements der indischen Regierug in der vergangenen Woche. Außenminister Yashwant Sinha hatte im Parlament gesagt, dass Pakistan ein "geeigneterer Fall" für einen militärischen Präventivschlag sei als der Irak. Es gebe genügend Gründe, "einen Präventivschlag gegen Islamabad zu führen", sagte Verteidigungsminister George Fernandes. Indien wirft Pakistan vor allem vor, Extremistengruppen in Kaschmir zu unterstützen, die u.a. auch für das Massaker in Nadimarg vor drei Wochen verantwortlich seien, dem 24 Hindus zum Opfer gefallen waren. Der Sprecher des pakistanischen Außenministeriums wies die Beschuldigungen als "haltlose Lügen" zurück.

14. bis 30. April 2003

Indiens Premierminister Atal Behari Vajpayee hat Pakistan und den Rebellen in Kaschmir Friedensgespräche angeboten. "Wir bieten Pakistan einmal mehr unsere Hand zur Freundschaft an", sagte Vajpayee am 18. April bei einem Besuch in Srinagar, der Hauptstadt des indischen Teils von Kaschmir. Auch die Muslimmilizen, die für den Anschluss der Region an Pakistan kämpfen, lud er zu Verhandlungen ein. "Waffen lösen keine Probleme", sagte Vajpayee. Separatisten im indischen Teil der Region hatten aus Protest gegen den Besuch zum Generalstreik aufgerufen.

Indische Soldaten töteten am 20. April sieben mutmaßliche islamische Extremisten, die offenbar von Pakistan aus in den indischen Teil Kaschmirs eingedrungen waren. Der Zwischenfall trug sich nach Angaben eines Polizeisprechers etwa 240 Kilometer nördlich von Jammu zu, der Winterhauptstadt des Unionsstaates Jammu-Kaschmir. Bei den Getöteten handelt es sich dem Sprecher zufolge um Pakistaner. Zwei von ihnen hätten der Hezb-ul Mujahedeen angehört, die übrigen fünf der Gruppe Al-Jehad.
Im pakistanischen Bezirk Hajira, 160 Kilometer südlich von Mazaffarabad, wurden bei einem Angriff indischer Soldaten zwei Brüder im Alter von zwölf und 14 Jahren getötet. Wie die Polizei mitteilte, feuerten die Streitkräfte Granaten über die Grenze in den pakistanischen Teil Kaschmirs ab.

Pakistan hat am 21. April auf ein indisches Gesprächsangebot reagiert und sich "jederzeit und an jedem Ort" zu Friedensverhandlungen bereit erklärt. Der indische Ministerpräsident Atal Bihari Vajpayee hatte am Samstag ein entsprechendes Angebot zur friedlichen Beilegung des Kaschmir-Konflikts und anderer Differenzen bekräftigt. Ein Gesandter Vajpayees, der frühere Innenminister N.N. Vohra, traf unterdessen in der umkämpften Himalaya-Region Kaschmir ein, um Möglichkeiten für Gespräche mit den Rebellen auszuloten.

Wenige Tage nach dem Friedensangebot der indischen Regierung sind in Kaschmir bei Anschlägen und Schießereien mindestens 23 Menschen getötet worden. Bei einem Terroranschlag mutmaßlicher Muslim-Extremisten kamen am 22. April im Dorf Khul Gulshanpura 5 Menschen ums Leben, 17 Menschen erlitten bei der Bombenexplosion Verletzungen. Die Armee tötete nach eigenen Angaben 17 Rebellen bei zwei Gefechten im Süden des Bundesstaates Jammu und Kaschmir. Ein Soldat starb bei einem Rebellenangriff im Kaschmirtal.

Ein pakistanische Anti-Terror-Gericht hat am 24. April Anklage gegen fünf Männer erhoben wegen versuchten Mordes an Präsident Pervez Musharraf. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, im April vergangenen Jahres während eines Besuchs Musharrafs in der Hafenstadt Karachi ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug in die Luft gejagt zu haben. Die Angeklagten wiesen den Vorwurf zurück. Im Fall einer Verurteilung droht ihnen lebenslange Haft. Bei vier der Beschuldigten handelt es sich um mutmaßliche Mitglieder der Terrorgruppe Harkat ul-Mujahedeen Al-Almi an. Sie wurden bereits Anfang vergangener Woche wegen eines Bombenanschlags vor dem US-Konsulat in Karachi schuldig gesprochen. Dabei waren am 14. Juni 2002 zwölf Pakistaner getötet und 50 weitere verletzt worden.

Am 25. April sind bei einer Explosion in einem Gerichtsgebäude in Kaschmir drei Menschen getötet und 34 verletzt worden.

Bei der Explosion einer Autobombe am Sitz des staatlichen Rundfunksenders im indischen Teil Kaschmirs und einem anschließenden Schusswechsel sind am 26. April drei mutmaßliche Islamisten und zwei Soldaten getötet worden. Wie die Polizei weiter erklärte, wurden drei Mitglieder der paramilitärischen Polizeireserve verletzt. Nach möglicherweise entkommenen Tätern wurde in dem Gebäudekomplex in Srinagar gesucht. An den Körpern von zwei der getöteten Islamisten wurden Sprengstoffgürtel gefunden.

Ein von der EU finanziertes Projekt zur Frauenförderung in Pakistan ist Ziel eines Raketenanschlags geworden. Wie die Polizei am 29. April mitteilte, wurde das Gebäude im Bezirk Dir (rund 200 km nordwestlich von Islamabad) am Abend des 28. April von zwei Raketen getroffen. Ein Teil des Gebäudes brannte bis auf die Grundmauern nieder. Verletzt wurde niemand. Das Dir-Kohistan-Entwicklungsprojekt kümmert sich unter anderem um Ausbildung und Gesundheitsvorsorge für Frauen. Führende Geistliche in der Gegend hatten die Bevölkerung in der Vergangenheit wiederholt zu Angriffen auf internationale Projekte ermutigt, insbesondere auf solche, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen oder Frauen beschäftigen.

Pakistans Premier Zafarullah Jamali lud seinen indischen Amtskollegen Atal Behari Vajpayee beim ersten direkten Kontakt am 29. April seit mehr als einem Jahr zu einem Besuch in Islamabad ein und zeigte sich bereit, "für den Frieden" auch nach Delhi zu reisen. Islamabad wertete das zehnminütige Telefonat als "äußerst herzlich und nützlich". Vajpayee nahm die Einladung nach Pakistan allerdings nicht an, wie ein indischer Regierungssprecher bestätigte. Einem Regierungsprecher in Islamabad zufolge reagierte Jamali auf ein von Vajpayee vor Wochenfrist in Srinagar geäußertes Gesprächsangebot.

Am 29. April kamen bei einem Feuergefecht im indischen Teil elf mutmaßliche Moslem-Extremisten und sechs indische Soldaten um.

Am 29. April gab Indien den "erfolgreichen Test" einer Mittelstreckenrakete vom Typ "Prithvi" bekannt, die auch für den Einsatz von Atomsprengköpfen geeignet ist. Pakistan erklärte, man sei vorab über den Test informiert worden.

Die pakistanische Polizei hat am 30. April sechs Männer festgenommen, die zum Terror-Netzwerk Al Qaeda gehören sollen. Darunter ist nach Angaben des pakistanischen Innenministeriums auch ein Jemenit, der als Drahtzieher des Anschlags auf die USS Cole im Oktober 2000 gilt. Walid Mohammed Bin Attasch wird auch beschuldigt, an den Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligt gewesen zu sein. Die USA bestätigten die Festnahme Bin Attaschs, der auch unter den Namen Taufik bin Attasch und Taufik Attasch Challad bekannt sein soll. Er gehöre zu den zehn meistgesuchten mutmaßlichen Al-Qaeda-Mitgliedern, hieß es aus Antiterrorkreisen in Washington.


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