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Honduras: Putschisten haben die individuellen Freiheitsrechte der Honduraner faktisch abgeschafft

Weltweite Kritik und Proteste nehmen zu - Putschisten geben aber nicht auf

Trotz einhelliger Verurteilung des Putsches in Honduras durch die Regierungen der Welt konnte der legitime Präsident Manuel Zelaya noch nicht in sein Land zurückkehren. Über die aktuelle Lage informieren die nachfolgenden Artikel.



Keine Ruhe auf Honduras' Straßen

Nach dem Putsch beschneiden Militär und Kongress demokratische Rechte

Von Torge Löding, San José *


Der honduranische Übergangspräsident Roberto Micheletti widersetzt sich dem internationalen Druck und will den gestürzten Staatschef Manuel Zelaya nicht wieder einsetzen. Mehrere Organisationen prangerten Menschenrechtsverletzungen der Putschisten an.

Der zivile Ungehorsam in Honduras geht weiter, während die 72 Stunden des Ultimatums verstreichen, das die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) den Putschisten in Honduras' Hauptstadt Tegucigalpa gestellt hat. Spätestens am Sonnabend (4. Juli) sollen sie die Regierungsgewalt wieder dem gewählten Präsidenten Manuel Zelaya übergeben. Zelaya kündigte an, mit internationalen Führungspersonen am selben Tag in seine Heimat zurückzukehren. Doch weder die Militärführung noch der italienischstämmige Putschpräsident Roberto Micheletti haben bislang Anstalten gemacht, sich dem Urteil von Vereinten Nationen und zahlreichen anderen internationalen Organisationen zu beugen. Sie provozieren weiter und kündigen an, Präsident Zelaya festzunehmen, sobald er die Grenze überschreitet. Der De-facto-Präsident Micheletti hat vom Kongress unterdessen ein Gesetz abnicken lassen, das die individuellen Freiheitsrechte der Honduraner faktisch abschafft.

Militär und Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei gehen derweil mit Gewalt gegen Demonstranten und Oppositionelle vor. Der Nachrichtenfluss ist zäh, denn nach wie vor sind viele Telefonleitungen gekappt und die Medien sind vom Militär entweder gleich- oder abgeschaltet. Nur ein nationaler Radiosender und eine Fernsehstation berichten von den Massenprotesten gegen die Putschregierung, gleiches tun lokale Radios wie der Jesuitensender »Radio Progreso«. Besonders letztere haben unter massiver Behinderung ihrer Arbeit und Repressionen durch das Militär zu leiden.

Vertreter der sozialen Bewegung berichten von zahlreichen Festnahmen und Misshandlungen im ganzen Land. Unter anderem zirkuliert eine Liste mit den Namen von über 600 führenden Personen aus Gewerkschaften und Volksorganisationen, die verhaftet werden sollen. Viele von ihnen sind in den Untergrund oder ins Exil gegangen, genau wie die Mitglieder von Zelayas Kabinett.

Während zahlreiche internationale Medien den Putsch als »erzwungenen Rücktritt« des gewählten Präsidenten bezeichnen, übersehen sie, dass die Realität im Land längst jener der dunklen Tage der Militärregime entspricht -- da Verhaftungen, Folter und Mord auf der Tagesordnung stehen.

Die Befürworter des Putsches nennen diesen indes ein »Manöver zur Rettung der Demokratie«, weil Präsident Zelaya mit seinem Vorstoß für eine Volksabstimmung über eine Verfassunggebende Versammlung gegen die geltende Verfassung verstoßen habe. »Der Vorwand der Demokratierettung ist nichts Neues. Auch die rechten Militärputsche in den sechziger und siebziger Jahren wurden in Lateinamerika immer im Namen der Demokratie durchgeführt«, sagte der salvadorianische Sozialwissenschaftler Rafael Cartagena gegenüber ND. Mit Besorgnis verfolgt er, wie die reaktionäre Wirtschaftselite auch in Zentralamerika wieder zum Mittel des Putsches greift. Die linke salvadorianische Tageszeitung »CoLatino« berichtete am Mittwoch, der Fraktionschef der ultrarechten salvadorianischen ARENA-Partei habe Präsident Mauricio Funes am Telefon mit einem Staatsstreich gedroht. In der Person Funes' hatte im März erstmals ein Kandidat der linken FMLN die Wahl in Salvador gewonnen.

Manuel Zelaya kam 2006 als Vertreter des fortschrittlichen Flügels der Liberalen Partei an die Regierung. Er entstammt einer gut situierten Großgrundbesitzerfamilie aus dem ländlichen Oloncho in Zentralhonduras. Die Liberalen teilen sich traditionell seit 28 Jahren die Macht mit der Nationalen Partei, die schon immer ein Werkzeug der Militärs war. Die Macht der Führungsoffiziere wurde in Honduras auch nach dem Ende der letzten Militärdiktatur 1982 nicht beschnitten. Sie bilden einen Staat im Staate, verfassungsgemäß kann der Präsident den Oberbefehlshaber nicht absetzen. In der vergangenen Woche hatte Zelaya eben dies versucht, als das Militär ihm das für die Abstimmung nötige Wahlmaterial nicht übergeben wollte.

Hintergrund des Putsches ist indes nicht die Frage, ob der Präsident mit einer anberaumten Volksbefragung gegen die Verfassung verstoßen hat. Seit seinem Amtsantritt 2006 hat er teilweise linke Positionen übernommen, ohne ein Linkspolitiker zu sein. Er hat den Profit der Ölkonzerne begrenzt, Sozialprogramme aufgelegt, den Mindestlohn erhöht und sich politisch Kuba und Venezuela genähert. Die Ultrarechte hatte damit einen Feind vor Augen und verfiel auf ihre antrainierten antikommunistischen Reflexe. Ein Putsch passt in dieses Raster allemal.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2009


Ausnahmezustand

Honduras vor angekündigter Rückkehr von Präsident Zelaya: Putschgegner rufen zu Großdemonstration am Samstag auf

Von André Scheer **

Angesichts anhaltender Proteste gelingt es den Putschisten in Honduras immer weniger, den Anschein von Legalität aufrechtzuerhalten. Am Mittwoch (Ortszeit) verhängte das Parlament in Tegucigalpa mit den Stimmen von vier der fünf Fraktionen den Ausnahmezustand über das zentralamerikanische Land. Zudem wurden die in der Verfassung garantierten Grundrechte aufgehoben. Nur die linke Partei »Demokratische Vereinigung« (UD) votierte dagegen.

Wie die UD-Abgeordnete Silvia Ayala gegenüber dem lateinamerikanischen Nachrichtensender TeleSur erklärte, wurden u. a. die Vereinigungsfreiheit, die Unverletzbarkeit der Wohnung, die Bewegungsfreiheit und das Verbot willkürlicher Verhaftungen aufgehoben. »Das heißt, daß nun jeder Honduraner zu jeder Zeit verhaftet werden darf, Militärs dürfen gewaltsam in seine Wohnung oder in jeden anderen Aufenthaltsort eindringen, ohne ihm auch nur mitteilen zu müssen, warum er festgenommen wird«, so Ayala weiter. Die Abgeordnete informierte weiterhin darüber, daß auf Befehl der Putschisten der wenige Tage vor dem Staatsstreich bei einem Attentat durch Schüsse schwer verletzte linke Bürgermeisterkandidat von Tocoa, Favio Ochoa, aus dem Krankenhaus verwiesen wurde, obwohl er in Lebensgefahr schwebte.

Für Samstag (4. Juli) ist ihren Angaben zufolge eine weitere Großdemonstration der Putschgegner in der Hauptstadt Tegucigalpa geplant, um den verfassungsmäßigen Präsidenten Manuel Zelaya zu begrüßen. Dieser hatte seine ursprünglich für Donnerstag geplante Heimkehr um zwei Tage verschoben, um das am heutigen Freitag ablaufende Ultimatum der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) an die Putschisten abzuwarten. Dieses verlangt die Wiederherstellung der »demokratischen Ordnung« in Honduras.

Ausländische Fernsehsender wie TeleSur oder das kubanische Cubavisión Internacional werden in Honduras weiterhin zensiert. Einige alternative Rundfunksender, die vom Militär besetzt worden sind, konnten mittlerweile ihre Sendungen aus dem Untergrund und vor allem über Internet wieder aufnehmen, sind aber von den Menschen im Land selbst kaum zu empfangen. Die von den Putschisten kontrollierten Medien versuchen hingegen den Eindruck zu erwecken, daß das Regime international immer mehr akzeptiert werde. So meldete die Tageszeitung El Heraldo auf ihrer Homepage unter der Überschrift »Gute Nachricht«, daß die Botschaften von Israel und Taiwan »die neue Regierung von Roberto Micheletti anerkannt« haben.

Zudem bemerkte das Blatt eine neue Tendenz in der westlichen Berichterstattung über Honduras. »Die internationalen Medien haben begonnen, Micheletti als verfassungsmäßigen Präsidenten anzuerkennen, im Gegensatz zu den vorherigen Tagen, als erklärt wurde, daß das Land einen Staatsstreich erlitten habe«, so El Heraldo. In der Tat ist zu bemerken, daß die großen Agenturen bei Berichten über Aktionen der Putschgegner oft nur Fotos von kleinen, vermummten Gruppen auswählen, die sich gewaltsam gegen Übergriffe des Militärs wehren. Auf der anderen Seite werden die Putschisten als ehrenwerte Politiker und ihre Unterstützer in großen, friedlichen Demonstrationen dargestellt.

Die Mitgliedsstaaten der EU haben unterdessen nach Angaben des spanischen Außenministers Miguel Angel Moratinos beschlossen, ihre Botschafter aus Honduras abzuberufen. Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und die Europäische Kommission sind deshalb in Honduras künftig nur noch durch Geschäftsträger vertreten. Im Gegensatz zu den Mitgliedsstaaten der bolivarischen Allianz ALBA und anderer Länder Lateinamerikas stand ein vollständiger Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Honduras in der EU jedoch offenbar nicht zur Debatte.

** Aus: junge Welt, 3. Juni 2009


Weiter Massenproteste gegen Putschisten

Lagebericht aus Honduras: Festnahmen und Morddrohungen gegen Anhänger des gewählten Präsidenten. Ungenaue Berichterstattung in Ausland

Von Harald Neuber ***


Tegucigalpa. Auch am sechsten Tag nach dem Militärputsch in Honduras dauern die Proteste gegen die zivil-militärischen Machthaber an. Nach einem Lagebericht von Jesús Garza von der Menschenrechtsorganisation CHAAC finden neben der Hauptstadt Tegucigalpa Massenproteste zunehmend auch im nördlichen San Pedro Sula statt. Dort zogen nach Garzas Angaben am Donnerstag (2. Juli) zwei Protestzüge durch die Straßen.

Zum einen hatten Anhänger des Putschregimes mobilisiert. Wie zuvor die internationale Landarbeiterorganisation Via Campesina berichtet hatte, schreibt auch Garza, dass Unternehmer, die mit den Putschisten sympathisieren, ihre Belegschaft unter Androhung des Arbeitsplatzverlustes zur Teilnahme an dem "Marsch für die Demokratie" gezwungen haben.

Eine zweite Demonstration von Putschgegnern, an der laut Mitgliedern des lokalen Sozialforums bis zu 12.000 Menschen teilnahmen, sei von Polizei und Armee "brutal unterdrückt" worden, heißt es in dem Bericht, der amerika21.de vorliegt.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation CDM wurden bis zu 100 Personen festgenommen, unter ihnen die Gewerkschaftsaktivistin Iris Munguia. Auch Ernesto Bardales von der Jugendorganisation JHA-JA wurde in San Pedro Sula inhaftiert, ebenso wie der Lehrer Victor Pacheco, der Aktivist Javier Canales und die Demonstranten Elvin Alberto Espinoza, Luis Cruz Paz und Nelson Mauricio Zavala.

Alle Inhaftierten seien misshandelt und in die Polizeikaserne Rio Blanco verbracht worden. Von dort gibt es erste Berichte von Folterungen. Beteiligt gewesen sei auch die 105. Armeebrigade.

Weitere Gewerkschaftsfunktionäre und Menschenrechtsaktivisten erhielten am Donnerstag Morddrohungen. Entsprechende Schreiben gingen bei dem Menschenrechtsverteidiger Juan Carlos Griffin in Tegucigalpa ein. Mindestens zwei prominente Gewerkschafter erhielten Nachrichten mit der Aufschrift "Heute bist du dran".

Als zunehmendes Problem wird von sozialen Aktivisten die internationale Berichterstattung wahrgenommen. Auch in deutschen Medien wurde in den vergangenen Tagen wiederholt von Massenprotesten für die Putschisten berichtet. Das regierungstreue Lager mobilisiere nur einige hundert Menschen, hieß es zugleich. Die Berichte stehen in krassem Widerspruch zu den Angaben nationaler und internationaler Sozialorganisationen und Hilfsorganisationen von vor Ort.

*** Aus: Portal Amerika21.de, 3. Juli 2009; www.amerika21.de


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