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Großgrundbesitzer oder Weltkonzern?

Landnahme durch Getränkekonzerne und der Kampf gegen das Outsourcing bestimmt die Arbeit der UITA *


Die Internationalen Vereinigung der Arbeitenden im Lebensmittelsektor (UITA) hat weltweit 387 Mitgliedsorganisationen mit 2,6 Mio. Mitgliedern in 121 Ländern. Der lateinamerikanische Zweig (REL-UITA) ist in 17 Ländern vertreten und hat 80 Mitgliedsorganisationen. Der Journalist Giorgio Trucchi berichtet für die REL-UITA als Korrespondent aus Mittelamerika und der Karibik. Kürzlich stellte er in Europa seinen Film »Schrei nach Land« vor, bei dem es um Menschenrechtsverletzungen durch Palmölproduzenten in Bajo Aguán, Honduras, geht. Mit ihm sprach Bettina Hoyer.

Weshalb interessiert sich eine Nahrungsmittelgewerkschaft für die Situation im honduranischen Bajo Aguán?

Die REL-UITA ist die Gewerkschaft der Arbeitenden des Lebensmittelsektors – und dazu gehören auch Restaurants, Hotels, die Tabak- und die Getränkeindustrie. Es geht dabei häufig um Themen wie Menschenrechte und Umwelt.

In Bajo Aguán bzw. in Honduras hat die REL-UITA Mitgliedsverbände. Dazu gehört auch die Gewerkschaft der Beschäftigten in der Getränkeindustrie (STIBYS), einer der schlagkräftigsten und größten Gewerkschaften in Honduras. Es ist die einzige Gewerkschaft Lateinamerikas, die es geschafft hat, die Arbeiter von Pepsi Cola zu organisieren. Coca Cola ist kein Engel, aber dort gibt es Gewerkschaften, die kämpfen. Pepsi Cola duldet nicht einmal das. Trotzdem hat STIBYS es geschafft, deren Arbeiter in Honduras zu organisieren.

Ein Beispiel für die fragwürdige Politik der Getränkekonzerne?

Bei STIBYS sind auch die Arbeiter der honduranischen Brauereien organisiert, die zum Großteil vom südafrikanisch-britischen Konzern SABMiller kontrolliert werden. Er besitzt riesige Ländereien, auf denen Zuckerrohr angebaut wird. Wer diese Flächen sieht, denkt an Bauern oder Großgrundbesitzer, aber nicht an einen weltweit agierenden Konzern, der für Coca Cola abfüllt und den Biermarkt in Honduras kontrolliert. Um die Ländereien gibt es schwere Auseinandersetzungen. Ein Großteil des landes kam auf so fragwürdige Weise in den Besitz des Konzerns, dass das honduranische Landwirtschaftsinstitut es wieder enteignete. Nun haben Bauern es in Besitz genommen, um Zuckerrohr anzubauen. Diese Situationen weltweit bekannt zu machen, das ist ein Teil der Arbeit der UITA.

Was ist der Kern der aktuellen Auseinandersetzungen?

Es geht um Outsourcing und die damit einhergehende Prekarisierung der Beschäftigten: Da ich als Arbeiter keine Beziehung zu dem Unternehmen habe, in dem ich arbeite, sondern von einer Drittfirma unter Vertrag genommen wurde, kann ich nicht von den Vorteilen einer gewerkschaftlichen Übereinkunft mit dem Großkonzern profitieren und zudem nicht Gewerkschaftsmitglied werden. Auch darum konnten die Gewerkschaften mit SABMiller oder Pepsi Cola seit zwei Jahren keine neue Übereinkunft unterzeichnen können.

Und was wäre eine Lösung?

Die Hauptforderung der Arbeiterschaft ist, die Ausgliederungen zu regulieren und eine solidarische Verantwortlichkeit der Unternehmen herzustellen. Das bedeutet, wenn ein Vertragsunternehmen meine Arbeitsrechte verletzt, musst sich der Konzern darum kümmern, denn ich arbeite für ihn, auch wenn er mich nicht eingestellt hat. Dieses Thema ist sehr wichtig in Mittelamerika und von enormer Bedeutung, denn es geht um die Flexibilisierung der Arbeit. Hier wird schon vom berüchtigten Arbeitsrhythmus »Vier mal vier« gesprochen: Vier Tage arbeiten, vier Tage frei. Anders gesagt: Die Leute arbeiten vier Tage lang zwölf bis 14 Stunden und haben dann vier Tage frei, ohne dass zwischen der Art der Tätigkeiten unterschieden würde. Das ist der blanke Wahnsinn! Als ob man sich in vier Tagen davon erholen könnte.

Ein anderes Modell in Mittelamerika, das nach Europa exportiert wird, ist die Halbtagsarbeit, beziehungsweise die Arbeit pro Stunde. In Brasilien gab es ein besonders extremes Beispiel. McDonalds wurde dort kürzlich zu vier Millionen US-Dollar Strafe verurteilt, weil seine Angestellten nur für ihre tatsächlich geleistete Arbeit bezahlt wurden. Das verletzt jegliche internationalen Arbeitsnormen. Dort gab es einen Aufenthaltsraum, wo sie TV gucken und Kaffee trinken. Wenn Kunden kamen, verließen sie diesen Raum. Und dann gab es Personen, die kalkulierten, wie viele Minuten gearbeitet wurde. Bezahlt wurde dann nur diese Zeit.

Hat die UITA als weltweiter Dachverband auch Beziehungen zu deutschen Gewerkschaften?

Ja. Ein ganz klassisches Beispiel ist das Video »Schrei nach Land«. Die beiden Hauptfinanzierer des Films sind Lo-Tco, eine große schwedische Gewerkschaft und die deutsche Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die Mitglied in der UITA ist. Das internationale Zentralbüro der UITA befindet sich im schweizerischen Genf.

Es gibt auch eine UITA Europa, allerdings eher auf dem Papier. Doch es existieren direkte Beziehungen zu den Gewerkschaften, was sehr nützlich ist. In vielen Fällen stehen die Probleme bei uns in Mittelamerika in direkter Verbindung mit großen europäischen Unternehmen. Deshalb sind Beziehungen zu Gewerkschaften und gewerkschaftlichen Dachverbänden von grundlegender Bedeutung, um tatsächlich etwas erreichen zu können.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 31. Mai 2013


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