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Protest gegen Mordserie

Honduras: Journalisten werden immer öfter Ziel von Anschlägen

Von Andreas Knobloch *

In Honduras hat die Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen drei Männer erhoben, denen eine Beteiligung an der Entführung und Ermordung des Journalisten Ángel Alfredo Villatoro zur Last gelegt wird. Bei den Angeklagten handelt es sich um Marvin Alonso Gómez, Osman Fernando Osorio Arguijo und dessen Bruder Edgar Francisco Osorio Arguijo. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden sind sie Teil der Bande »Los Osorio«, die sich auf Entführungen spezialisiert hat und Verbindungen bis nach Guatemala, Nicaragua und El Salvador haben soll. Nach Angaben der Tageszeitung La Tribuna soll es sich um die größte und gefährlichste kriminelle Gruppierung handeln, die derzeit in Honduras aktiv ist. Angeführt wird sie demnach von Rodrigo Alexander Osorio Arguijo. Sein Vorgänger als Bandenchef, Jorge Alex Osorio Arguijo, war im vergangenen Jahr bei einem Schußwechsel mit der Polizei getötet worden.

Die beiden jüngeren Brüder sowie Gómez wurden am vergangenen Sonntag bei einer breitangelegten Polizeiaktion in Cofradía, rund 260 Kilometer von der Hauptstadt Tegucigalpa entfernt, gefaßt. Zwei junge Frauen, 15 und 18 Jahre alt, die mit ihnen zusammen verhaftet wurden, sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Es gebe nicht genügend Anhaltspunkte, daß sie mit dem Verbrechen in Verbindung stünden, erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Melvin Duarte. Nach Angaben der Behörde wurde bei den drei Verdächtigen neben anderen Waffen eine 9-mm-Pistole sichergestellt, mit der vermutlich der Mord verübt wurde. Duarte bestätigte zudem lokale Presseberichte wonach Villatoro in einer engen Behausung aus Zinkplatten in Santa Rosa, fünf Kilometer südlich der Hauptstadt, gefangengehalten wurde, die die Behörden Montag nacht entdeckten. Sie sei abgelegen gewesen und von Maisfeldern umgeben. Hier ist wahrscheinlich auch die Videoaufnahme gedreht worden, die der Familie als Lebenszeichen geschickt wurde, bevor Villatoro durch zwei Schüsse in den Kopf hingerichtet wurde.

Der 47jährige war ein angesehener und einflußreicher Radiojournalist, der eine tägliche Nachrichtensendung für HRN, den größten Sender des Landes, moderierte. Am 9. Mai war er von sechs Männern auf dem Weg zur Arbeit entführt worden; seine in eine Polizeiuniform gekleidete Leiche tauchte eine Woche später im Süden der Hauptstadt auf. Am 22. Mai ordnete ein Richter Untersuchungshaft gegen die Schwestern Katly und Jessica Zambrano sowie deren Cousin Marvin Olivas Navas an. Sie stehen im Verdacht, in den Fall verwickelt zu sein. Von einem von ihnen benutzten Telefon aus war die Familie Villatoros angerufen worden, um Lösegeld zu fordern.

Seit dem Putsch gegen Manuel Zelaya im Juni 2009 wurden insgesamt 24 Journalisten getötet, kein einziger Fall ist bislang aufgeklärt worden. Dagegen demonstrierten in den vergangenen Tagen Tausende Menschen in Tegucigalpa, San Pedro Sula, La Ceiba, Comayagua und anderen Städten. Die Internationale Journalistenföderation (IFJ) nannte die Morde »einen koordinierten Angriff, um die Medien des Landes zum Schweigen zu bringen«. Am Montag forderten zudem zahlreiche Tageszeitungen des zentralamerikanischen Landes in einer koordinierten Aktion Gerechtigkeit und Pressefreiheit. La Prensa, eines der führenden Blätter, machte mit der Schlagzeile »Es reicht jetzt!« auf.

Laut Félix Molina, Direktor des von Radio Globo übertragenen Programms »Resistencia« (Widerstand), läßt sich die Gewalt gegen Journalisten nur »im Kontext von Unsicherheit, Gewalt und Tod im gesamten Land« verstehen. Speziell nach dem Staatsstreich hätten die staatlichen Institutionen das letzte Stück Vertrauen der Öffentlichkeit eingebüßt. Und Sandra Maribel Sánchez, Sprecherin der »Journalistenvereinigung für Leben und Freiheit« stellt fest: »Angesichts der Fahrlässigkeit der Behörden müssen wir annehmen, daß es eine Politik des Staates gibt, die die Auslöschung von Journalisten billigt und ermöglicht. Nicht nur, daß die Institutionen die Leben nicht beschützen, sie zeigen ihnen gegenüber Verachtung.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 2. Juni 2012


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