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Honduras unter Spannung

Zelayas Anhänger wähnen Fallstricke im Versöhnungsabkommen

Von Erika Harzer, Tegucigalpa *

Die Rückkehr des gewählten honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya in sein Amt steht immer noch aus. Seine Anhänger fürchten die Fallstricke des vergangene Woche vereinbarten Abkommens mit der Putschregierung.

»Ich befürchte Schlimmes, ich befürchte, dass die von uns allen erwartete historische Entscheidung des Kongresses ein heftiger Schlag gegen das noch sehr zögerlich wachsende Pflänzchen der Demokratie werden wird.« Bitternis begleiten die Worte Karla Laras, der honduranischen Sängerin, die sich seit dem Putsch am 28. Juni im Widerstand engagiert.

Das am 30. Oktober unterzeichnete Abkommen zwischen den Vertretern des in der brasilianischen Botschaft eingeschlossenen Präsidenten José Manuel Zelaya und seines Widersachers, des Putschistenchefs Roberto Micheletti, erweckte im ersten Moment den Anschein, als werde Honduras damit in die politische Situation vor dem Putsch zurückversetzt. Bis zum 5. November sollten sowohl die international besetzte Überwachungskommission als auch eine Regierung der nationalen Versöhnung eingesetzt werden. José Miguel Insulza, Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), zweifelt denn auch nicht daran, dass Zelaya noch in dieser Woche in sein Amt zurückkehrt. Anders Thomas Shannon, Lateinamerika-Beauftragter des US-Außenministeriums, in dessen Gegenwart das Abkommen geschlossen wurde: In einem CNN-Interview meinte er, die Wiedereinsetzung Zelayas sei keine Voraussetzung für die Erfüllung der Vereinbarung.

Rassel Tome, Zelayas Assistent, der sich ebenfalls in der brasilianischen Botschaft aufhält, appellierte in einem Telefoninterview an alle Kongressabgeordneten, sich in dieser historisch wichtigen Phase für die Wiederherstellung der Demokratie zu entscheiden. Auf die Frage, ob er damit gerechnet habe, dass der Kongress die Entscheidung verzögern und die Wiedereinsetzung Zelayas in Frage stellen werde, forderte er die internationale Staatengemeinschaft auf, das Geschehen in Honduras aufmerksam zu verfolgen.

Vor der USA-Botschaft in Tegucigalpa bilden sich bereits wieder Schlangen von Menschen, die ein Visum beantragen wollen. Dort zumindest ist die Normalität eingekehrt, die im sonstigen politischen Alltag des Landes nicht spürbar ist. Planmäßig wurde am Dienstag die Überwachungskommission gebildet, in der neben den honduranischen Kontrahenten die US-amerikanische Arbeitsministerin Hilda Solis und der ehemalige chilenische Präsident Ricardo Lagos sitzen. Derweil zögert der Kongress die ihm auferlegte Abstimmung hinaus. Ausführlich wird zunächst debattiert, ob neben dem Obersten Gerichtshof auch der Ombudsmann für Menschenrechte, Dr. Ramon Custodio, der sich auf die Seite der Putschisten geschlagen hat, und weitere Staatsorgane das Abkommen zur Prüfung erhalten sollen.

Bisher also wird Honduras immer noch von den Putschisten regiert. Dieselben Institutionen, die den Putsch vom 28. Juni legitimiert haben, sollen das Land nun aus der Krise führen. In vielen Zirkeln der Widerstandsbewegung wird das Abkommen bereits mit einer Falle verglichen. »Wenn die internationale Gemeinschaft die bevorstehenden Wahlen anerkennt, ohne dass Zelaya wieder eingesetzt wurde, ist der Putsch als politisches Mittel legitimiert«, empören sich die vor dem Kongressgebäude versammelten Widerstandskräfte. Sie wollen dort als Mahnwache verweilen, bis der Kongress zur Abstimmung einberufen wird.

* Aus: Neues Deutschland, 6. November 2009


Putschisten halten an der Macht fest

Honduranische De-facto-Regierung verweigert Präsident Zelaya Rückkehr ins Staatsamt

Von Harald Neuber **


Knapp drei Wochen vor dem regulären Wahltermin in Honduras gibt es kaum mehr Hoffnung auf eine Rückkehr zur Demokratie. Das Putschistenregime unter Führung des ehemaligen Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti verweigert dem gewählten Präsidenten Manuel Zelaya weiterhin die Rückkehr in sein Amt. Stattdessen versuchen die Machthaber, die Abstimmung unter eigener Kontrolle durchzuführen.

Die Frist ist abgelaufen: Laut einem Abkommen zwischen den Putschisten und der Regierung Zelaya sollte bis zum gestrigen Donnerstag eine »Regierung der nationalen Einheit« gebildet werden. Doch bis zum Nachmittag machten die Putschisten keine Anstalten, Zelaya wieder einzusetzen. Stattdessen forderte einer der »Minister« Michelettis, Rafael Pineda, den Rücktritt des gewählten Kabinetts, um Platz für die Bildung einer Übergangsregierung unter voller Kontrolle der Putschisten zu schaffen. Zelaya wies das Ansinnen umgehend zurück. Nun wollen die Machthaber eine »Einheitsregierung« ohne die legitime Staatsführung bilden. Ein solches Regime werde »fast alle Vertreter aus Politik und Gesellschaft« umfassen, so Pineda.

Nach Ansicht der Regierung Zelaya verstößt das Vorgehen eindeutig gegen das Abkommen vom Donnerstag vergangener Woche. Darin einigten sich beide Parteien auf die Wiederherstellung des Regierungszustandes »vor dem 28. Juni«, dem Tag des Staatsstreichs. Das neue Manöver der Machthaber stößt in der Region auf Widerstand. In einem Kommuniqué forderten die Außenminister der Rio-Gruppe am Rande eines Treffens in Montego Bay (Jamaika) die sofortige und bedingungslose Wiedereinsetzung Zelayas. Dies sei eine »unerlässliche Voraussetzung für die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und des Rechtsstaats«. Der Rio-Gruppe gehören 23 lateinamerikanische und karibische Staaten an.

In dem mittelamerikanischen Land droht wegen der Winkelzüge der Putschisten eine neuerliche Zuspitzung. Die Nationale Widerstandsfront gegen den Staatsstreich, ein Zusammenschluss von rund 100 sozialen und politischen Organisationen, kündigte die Nichtanerkennung der Wahlen vom 29. November an, sollte Zelaya bis zum Freitagnachmittag (Ortszeit) nicht wieder in das Präsidentenamt zurückgekehrt sein. In seinem inzwischen 33. Kommuniqué rief das Protestbündnis zu Boykottaktionen auf.

Mit Sorge beobachten Repräsentanten der honduranischen Demokratiebewegung die jüngsten Signale aus Washington. Bei einer Pressekonferenz wich US-Außenamtssprecher Ian Kelly am Mittwoch den wiederholten Nachfragen von Journalisten aus, ob die Obama-Regierung die geplanten Präsidentschaftswahlen auch ohne Zelaya akzeptieren würden. Während sich die Lage in Honduras zuspitzt, erklärte Kelly: »Ich sehe derzeit keinen Grund zur Besorgnis für die Vereinigten Staaten.« Am Donnerstag veröffentlichte der Republikanische Senator Kim DeMint eine Erklärung, wonach eine solche Anerkennung bereits beschlossen ist. »Ich bin froh, mitteilen zu können, dass die Obama-Regierung letztlich von ihrer fehlgeleiteten Honduras-Politik abgelassen hat und die Wahlen am 29. November uneingeschränkt anerkennen wird«, verkündete der rechtsgerichtete Politiker. In Washington wurde dies bislang nicht dementiert.

Auf eine schnelle Normalisierung der Beziehungen zu Honduras drängt die Europäische Union (EU). In Brüssel dient das Abkommen von Tegucigalpa aus der Vorwoche bereits als Argument, um die Wahlen am 29. November in Honduras zu legitimieren. Nach Angaben aus diplomatischen Kreisen haben die teilnehmenden Länderdelegationen bei der Sitzung der EU-Ratsarbeitsgruppe Lateinamerika (COLAT) am Dienstag auf die Entsendung von EU-Beobachtern gedrängt. Eine solche Präsenz neben Vertretern der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und des US-amerikanischen Carter-Zentrums sei wichtig, gab ein beteiligter spanischer Diplomat die Debatte gegenüber ND wieder.

Auch der USA-Botschafter in Tegucigalpa, Hugo Llorens, soll nach Angaben der EU-Präsidentschaft auf eine solche Entsendung gedrängt haben. Die Entsendung von Wahlbeobachtern wurde in der COLAT-Gruppe unter anderem von Deutschland unterstützt. Ob die Forderung Erfolg hat, ist dennoch unklar. Nach Auskunft der EU-Kommission hätte eine Wahlbeobachtungsmission bis zum 15. September beschlossen werden müssen. Auch diese Frist ist abgelaufen.

** Aus: Neues Deutschland, 7. November 2009


Fortsetzung des Putsches

Von Harald Neuber ***

Der Jubel über das Abkommen zwischen Putschisten und legitimer Regierung in Honduras ist Ernüchterung gewichen. Eine Woche nach Unterzeichnung des Pakts sollte eine Einheitsregierung die Geschäfte übernehmen. Ziel war, den »Regierungszustand vor dem 28. Juni wieder herzustellen«. Das musste bedeuten, dass der gewählte Präsident, Manuel Zelaya, in sein Amt zurückkehrt. Dies wäre zugleich eine Voraussetzung für faire und freie Wahlen Ende dieses Monats gewesen.

Doch die Putschisten denken nicht daran, ihre mit militärischer Gewalt erlangte Macht aufzugeben. Despot Micheletti hält sich im Präsidentenpalast verschanzt, Präsident Zelaya harrt in der brasilianischen Botschaft aus – umstellt von Putschistentruppen. Die Wahlen, signalisieren die Machthaber, sollen unter ihrer Kontrolle stattfinden. Sie würden dadurch zur Fortsetzung des Staatsstreichs: Nachdem die gewählte Regierung gewaltsam beseitigt worden ist, suchen die Oligarchen ihr Regime scheindemokratisch zu legitimieren. Das Ziel des Putsches wäre damit erreicht: der Abbruch des staatlichen Reformprojekts, zu dem die Regierung Zelaya auf Drängen der sozialen Bewegungen angesetzt hatte. Dieses neue Modell eines Staatsstreichs droht in anderen Staaten der Region Wiederholung zu finden. Vor allem im benachbarten Nicaragua.

*** Aus: Neues Deutschland, 7. November 2009 (Kommentar)


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