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Regierung Rutte am Ende

Niederlande: Königin Beatrix nimmt Rücktritt des Kabinetts an. Keine Mehrheit im Parlament für Spardiktat aus Brüssel

Von Gerrit Hoekman *

Der niederländische Premierminister Mark Rutte und Rechtspopulist Geert Wilders werden fortan getrennte Wege gehen. Am Montag nachmittag hat Rutte Königin Beatrix offiziell den Rücktritt seines Kabinetts angeboten. Die Königin nahm die Demission an und beauftragte den Premier, bis auf weiteres geschäftsführend die Regierungsarbeit fortzusetzen.

Ruttes Koalition aus seiner rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) und dem Christdemokratischen Appell (CDA) hatte für ihren Haushaltsentwurf keine Mehrheit im Parlament gefunden, weil die ultrarechte Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders die Regierung nicht mehr tolerieren wollte. Seit seiner Wahl im Juni 2010 war Ruttes Minderheitskabinett bei allen wichtigen Entscheidungen auf deren Leihstimmen angewiesen.

Wilders hatte am Samstag die seit sieben Wochen andauernden Verhandlungen mit der Regierung um den Haushalt für 2013 platzen lassen. Unter dem Druck der Europäischen Union, die von den Niederlanden verlangt, das Haushaltsdefizit von jetzt 4,7 Prozent auf drei Prozent zu begrenzen, sieht der Entwurf der Koalition harte Kürzungen in Höhe von 14 Milliarden Euro vor. »Das ist ein Diktat aus Brüssel«, wird Wilders in der Tageszeitung De Volkskrant zitiert. Der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn erklärte dazu am Montag in Brüssel, die Vorgaben zur Fiskalpolitik seien nicht von der Brüsseler Behörde, sondern von allen 27 EU-Ländern beschlossen worden. Außerdem seien die von der niederländischen Regierung geplanten Sparmaßnahmen »gut für die Niederländer«.

»Die Entscheidung ist definitiv«, sagte der für seine fremdenfeindlichen Attacken gegen Muslime berüchtigte Rechtsaußen zum Abbruch der Gespräche. Die niederländische Presse glaubt, daß Wilders mit dem Bruch vor allem auf die schlechter werdenden Umfragewerte für seine Freiheitspartei reagiert.

Wirtschaftsexperten in den Niederlanden befürchten, daß die internationalen Ratingagenturen auf die unklare Situation in Den Haag reagieren werden und das Land auf die zweithöchste Stufe heruntersetzen. »Wir folgen nun Frankreich und Österreich«, orakelte der Professor für Volkswirtschaft Sylvester Eijffinger. Der internationale Aktienmarkt reagierte bereits mit fallenden Kursen. Am Montag berieten die Fraktionen im »Binnenhof«, dem Zentrum der niederländischen Politik, über einen Termin für Neuwahlen, heute soll eine Debatte im Parlament folgen. Die meisten Parteien wollen eine Abstimmung noch vor der Sommerpause, um die wirtschaftlichen Folgen so gering wie möglich zu halten.

»Wir kommen nicht darum herum, jetzt schnell Neuwahlen anzusetzen«, sagte Emile Roemer, Vorsitzender der Sozialistischen Partei, am Montag im niederländischen Fernsehen. Die Partei mit der roten Tomate im Logo ist der Shootingstar der niederländischen Politik. Meinungsumfragen vom April zufolge könnten die Sozialisten bei den nächsten Wahlen ihre Sitze im Parlament verdoppeln und wären damit zweitstärkste Kraft, knapp hinter dem rechtsliberalen Rutte, aber deutlich vor den Sozialdemokraten. Ob es am Ende für Roemer reicht, um Premierminister zu werden, ist allerdings fraglich, denn im Parlament sitzen elf Fraktionen. Nach heutigem Stand müßte Roemer dafür das Kunststück fertigbringen, eine Koalition aus Sozialisten, Sozialdemokraten, Linksliberalen, Grünen und der Tierschutzpartei zu schmieden.

* Aus: junge welt, Dienstag, 24. April 2012


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