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Haiti: Michel Martelly zum Wahlsieger erklärt

Port-au-Prince. Die Provisorische Wahlkommission Haitis (CEP) hat am Montag (4. April) die vorläufigen Ergebnisse der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen bekanntgegeben. Demnach erreichte der bekannte Musiker Michel Martelly 67,57 Prozent der Stimmen und liegt damit klar vor seiner Konkurrentin Mirlande Manigat, die auf 31,74 Prozent kam. Der Bericht der CEP wird erst Mitte April rechtskräftig. Bis dahin haben die Kandidaten die Möglichkeit, die Ergebnisse anzufechten. Während Anhänger des Wahlsiegers ihren Erfolg feierten (Foto), kündigten Vertreter Manigats an, eine Annullierung der Wahl zu beantragen, und warfen der Kommission Manipulationen und einseitige Parteinahme für Martelly vor.

Die erste Abstimmungsrunde am 7. Dezember war von dreitägigen Unruhen und schweren Betrugsvorwürfen überschattet gewesen. Ursprünglich hatte die CEP den Kandidaten des Regierungslagers, Jude Celestin, und die frühere Senatorin Mirlande Manigat zu Gewinnern erklärt. Auf massiven Druck der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verzichtete Celestin jedoch schließlich auf seine Teilnahme an der Stichwahl, so daß der jetzige Wahlsieger nachrückte.

Der populäre Sänger Michel Joseph Martelly alias »Sweet Micky«, der für die Partei Repons Peyizan (Bauernantwort) angetreten war, wurde am 12. Februar 1961 in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince geboren. In seinem Regierungsprogramm verspricht Martelly eine »neue und moderne Politik« für das bitterarme Land, das sich nicht erst seit dem verheerenden Erdbeben vom Januar 2010 und der anhaltenden Choleraepidemie, die bislang fast 5000 Menschenleben forderte, in einer schweren Krise befindet. So soll die Autorität des Staates wiederhergestellt werden. Außerdem hofft Martelly auf ausländische Investitionen, durch die Arbeitsplätze geschaffen und die Armut bekämpft werden sollen. (PL/jW)

* Aus: junge Welt, 6. April 2011


Personalien: "Tèt Kale" **

Haiti wird künftig vom populären Kompa-Sänger Michel Martelly regiert. In der Stichwahl vom 20. März erhielt er 67,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Wähleranteil seiner Konkurrentin, der ehemaligen First Lady Mirlande Manigat, betrug dagegen nur 31,7 Prozent. Der kahl rasierte Musiker wird von seinen Gefolgsleuten »Tèt Kale« (Glatzkopf) gerufen.

Martelly hatte sich selbst im Wahlkampf in Abgrenzung zur korrupten Politikerkaste des Landes als Saubermann und politischen Neuling dargestellt. Aber so unbedarft ist er nicht. Der 50-Jährige pflegte in den frühen 90er Jahren enge Freundschaften zu führenden Mitgliedern der Front für Weiterentwicklung und Fortschritt in Haiti (FRAPH). Die rechte Organisation hatte in der Ära nach der Duvalier-Diktatur viele linke Oppositionelle ermordet.

Martelly umgibt sich öffentlich nicht mehr mit Mitgliedern der FRAPH-Todesschwadronen. Vielmehr ist er als Musiker bekannt. Mit eingängigen Songs im Kompa-Rhythmus heizte »Sweet Micky« den Karneval feiernden Haitianern ein, schmückte sich mit bizarren Kostümen und begeisterte seine Zuhörer mit bösem Spott auf die Politik. Das kommt vor allem bei Jugendlichen gut an, die nichts mehr von greisen Politikern wissen wollen, die sich nur um die Mehrung ihres Reichtums kümmern.

Inzwischen trägt Martelly staatsmännisch maßgeschneiderte Anzüge und Krawatten. Der Vater von vier Kindern, der, wie er nicht müde wird zu betonen, aus einfachen Verhältnissen stammt, hat viel versprochen. Die hohe Analphabetenrate (60 Prozent) und die Tatsache, dass viele Kinder auf teure Privatschulen angewiesen sind, will der Chef der Partei »Repons Peyizan« (Bürgerreaktion) durch staatliche Bildung ausbessern. Zudem sollen ausländische Investoren im Tourismussektor die Wirtschaft ankurbeln. Rund 80 Prozent der haitianischen Bevölkerung leben durchschnittlich von weniger als einem Euro pro Tag, unter der Armutsgrenze.

Dass »Glatzkopf« Martelly seine Anhänger zu militanten Demos während des Wahlkampfes auf die Straße geschickt hat, lässt jedoch nichts Gutes ahnen in einem Land, wo die Opposition in den vergangenen Jahrzehnten meist brutal unterdrückt wurde.

Hans-Ulrich Dillmann

** Aus: Neues Deutschland, 6. April 2011


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