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Michel Martelly im Kleinkrieg

Vor einem Jahr wurde der Musiker zum Präsidenten Haitis gewählt

Von Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo *

Alles wird anders und vor allem besser. Das versprach der haitianische Kompa-Sänger Michel Martelly, als er vor einem Jahr vor dem beim Erdbeben im Januar 2010 zerstörten Parlamentsgebäude auf die Verfassung des Landes vereidigt wurde. Die Einlösung seines Versprechens ist der 51- jährige Staatschef bis heute jedoch schuldig geblieben.

Er werde das zerstörte Land wieder aufbauen, frischen Wind in die haitianische Politik und in die nur in provisorisch untergebrachten staatlichen Behörden des Landes bringen, versprach »Sweet Michy «, wie ihn sein Anhänger rufen. Doch es habe sich »wenig bewegt, das Land wird weiterhin durch Vetternwirtschaft, Korruption und Gewalt destabilisiert«, sagt eine leitende Entwicklungshelferin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Und sie steht mit ihrem Urteil über die bisherige Amtszeit von Michel Martelly nicht allein.

Seit dem Sturz der Duvalier- Diktatur 1986 schlingerte das Armenhaus Lateinamerikas, in dem fast 60 Prozent der Bevölkerung mit umgerechnet weniger als 80 Eurocent ihren täglichen Lebensunterhalt finanzieren müssen, von einer Krise in die nächste: Putsche, Aufstände, Konspiration prägten das politische Klima im Westteil der Karibikinsel Hispaniola. Da schien vielen stimmberechtigten Bürgern der Musiker wie eine Lichtgestalt.

Aber seit seinem Machtantritt sehen sie »Sweet Michy« in einen politische Kleinkrieg mit dem Parlament verwickelt. In den beiden Kammern besitzt er keine eigene Mehrheit. Im Senat ist seine Partei »Bürger Antwort« nicht einmal vertreten. In der Abgeordnetenkammer verfügt sie nur über drei der 99 Mandate. Dort dominiert die oppositionelle »Inite«, die »Einheitspartei« seines Vorgängers René Préval, und blockiert die Gesetzentwürfe.

In nur zwölf Monaten hat Martelly vier Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten verschlissen. Drei erhielten bereits im Vorfeld vom Parlament kein Plazet. Der Mediziner Garry Conille wurde nach wochenlangen Debatten nur widerwillig akzeptiert. Doch nach nicht einmal zwei Monaten warf er entnervt das Handtuch. Und auch der neue Kabinettschef, Laurent Lamothe, erfreut sich nicht unbedingt der ungetrübten Zustimmung der haitianischen Volksvertreter.

Zweieinhalb Jahre nach dem Erdbeben leben noch immer mehr als eine halbe Million Bewohner der Hauptstadt Port-au-Prince in provisorischen Zeltlagern. Weite Teile der Innenstadt sind noch immer Trümmerfelder. Einen Wiederaufbauplan gibt es zwar, wie er umgesetzt werden soll, darüber scheint sich die Martelly-Administration jedoch kaum Sorgen zu machen. 7000 Menschenleben hat die Cholera, die von nepalesischen UN-Soldaten eingeschleppt wurde, seit ihrem Ausbruch im Oktober 2010 bisher gefordert. Die steigende Zahl der inzwischen 250 000 Neuerkrankten und die Dutzenden Toten nach den schweren Regenfällen von April und Mai zeigten, dass die Regierung die Präventionsprogramme der ausländischen Helfer nicht ausreichend weiterverfolgt hat, kritisieren internationale Organisationen wie »Ärzte ohne Grenzen«.

Dazu kommt, dass Martelly zwar versprochen hat, Korruption und Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit zu verfolgen, de facto jedoch nichts geschehen ist. Der aus dem Exil zurückgekehrte Diktator Jean-Claude Duvalier empfängt weiter alte Gefolgsleute und fürchtet kaum eine Anklage; und auch Ex-Staatschef Jean-Bertrand Aristide fühlt sich sicher, solange Duvalier keine Strafverfolgung zu erwarten hat.

Das »Sweet Micky« Milde walten lässt, hat nach Ansicht diplomatischer Beobachtern in Port-au- Prince damit zu tun, dass er in seiner Jugend enge Beziehungen zu Mitgliedern der rechten Todesschwadronen und zu ranghohen Duvalier-Militärs pflegte. Ein Teil seiner heutigen Politikberater stammt aus dem Umfeld der Duvaliers. Aber auch Martelly selbst wird Korruption vorgeworfen. Er soll 2,5 Millionen US-Dollar von dominikanischen Regierungsmitgliedern erhalten haben, um Aufträge zum Wiederaufbau des Landes an dominikanische Unternehmen zu vergeben. Sogar seine ehemaligen Militärfreunde hat »Tèt Kalé« (Kahlschädel) Martelly verärgert. Sein Versprechen, wieder eine haitianische Streitmacht aufzubauen, konnte er aufgrund des Widerstands der UN-Geberstaaten nicht umsetzen. Die Ex- Soldaten haben aus Protest in ihren alten Uniformen und bewaffnet die ehemaligen Kasernen besetzt und sich dort verschanzt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Mai 2012


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