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"Baby Doc" will den Haitianern helfen

Überraschende Rückkehr des ehemaligen Diktators Duvalier irritiert Regierung in Port-au-Prince *

Haitis früherer Diktator Jean-Claude Duvalier ist überraschend in seine Heimat zurückgekehrt. Der auch als »Baby Doc« bekannte Ex-Präsident wurde am Sonntag (Ortszeit) laut Berichten lokaler Medien von einer jubelnden Menge am Flughafen der Hauptstadt Port-au-Prince begrüßt.

Port-au-Prince (epd/ND). Menschenrechtler forderten am Montag Duvaliers Festnahme wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen während seiner Regierungszeit 1971-1986. »Duvaliers Rückkehr nach Haiti sollte nur einem Zweck dienen: dass er sich vor Gericht verantwortet«, sagte José Miguel Vivanco, Amerika-Direktor von Human Rights Watch. Während Duvaliers Herrschaft seien Zehntausende gefoltert und ermordet worden. Hunderttausende flohen aus dem Land. »Es ist seit langer Zeit überfällig, dass er zur Rechenschaft gezogen wird«, unterstrich Vivanco.

Duvalier besichtigte am Sonntag in einem Fahrzeug der UN-Friedensmission die seit dem Erdbeben vor einem Jahr großteils zerstörte Hauptstadt. »Ich bin gekommen, um zu helfen«, sagte der heute 59-Jährige einem Radiosender in Haiti.

»Haiti hat genug Probleme ohne Duvalier«, erklärte Vivanco weiter. Dass Duvalier wieder im Land sei, sei eine Ohrfeige für die Menschen, die schon so sehr gelitten hätten, es sei denn, er werde sofort verhaftet, betonte der Menschenrechtler.

Seit seinem gewaltsamen Sturz vor knapp 25 Jahren lebte Duvalier in Frankreich im Exil. Haitis Regierung zeigte sich überrascht von seiner Rückkehr. Eine Sprecherin kündigte an, ein mögliches Vorgehen gegen ihn zu prüfen. Präsident René Préval hatte während seiner ersten Amtszeit (1996- 2001) versichert, der frühere Diktator werde im Falle einer Rückkehr sofort verhaftet.

Duvalier kehrt während einer tiefen politischen Krise nach den umstrittenen Präsidentenwahlen von Ende November zurück. Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis erzielten Oppositionskandidatin Mirlande Manigat und Regierungskandidat Jude Célestin die meisten Stimmen und sollten damit in die Stichwahl einziehen. Ein in der vergangenen Woche überreichter Bericht der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sieht jedoch zahlreiche Hinweise auf Wahlbetrug. Die OAS empfiehlt, statt Célestin den offiziell drittplatzierten Michel Martelly für die Stichwahl zu nominieren. Die zunächst für 16. Januar vorgesehene Stichwahl wurde auf Februar verschoben.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2011


Diktator kehrt zurück

Von André Scheer **

Fast 25 Jahre nach seinem Sturz ist der einstige Diktator Haitis, Jean-Claude Duvalier alias »Baby Doc«, überraschend in den Karibikstaat zurückgekehrt. Am Sonntag abend (Ortszeit) landete er mit einer französischen Linienmaschine auf dem Flughafen von Port-au-Prince. Während Duvalier in ein Fünf-Sterne-Hotel gebracht wurde, wo er von haitianischen Polizisten und UN-Blauhelmsoldaten abgeschirmt wurde, reagierte die Regierung des Karibikstaates zunächst nicht auf die Ereignisse. Auch die haitianischen Medien strahlten weiter ihr normales Programm aus und gingen nicht auf die Ankunft des Diktators ein. Wie der lateinamerikanische Fernsehsender TeleSur unter Berufung auf dessen Ehefrau Veronqiue meldete, wollte Duvalier zunächst nur für 72 Stunden im Land bleiben. Am Montag traf auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, in Haiti ein.

Jean-Claude Duvalier hatte die Macht in Haiti 1971 von seinem Vater François Duvalier alias »Papa Doc« geerbt. Als dieser starb, sicherten nicht nur die Geheimpolizei »Tontons Macoutes«, sondern auch die USA mit vor der Küste Haitis aufgefahrenen Kriegsschiffen die Kontinuität der Diktatur. »Baby Docs« Herrschaft kostete 30000 Menschen das Leben, bevor er im Februar 1986 gestürzt wurde. Die frühere Kolonialmacht Frankreich gewährte ihm daraufhin Unterschlupf. In den 90er Jahren verhinderte Paris außerdem, daß Duvalier wegen der unter seiner Herrschaft begangenen Verbrechen vor Gericht gestellt werden konnte. In der Schweiz verweigern Bundesrichter außerdem seit Jahren eine Herausgabe des vom Duvalier-Clan zusammengeraubten Millionenvermögens an Haiti. Zuletzt im Januar 2010 – wenige Stunden vor dem verheerenden Erdbeben, das mehr als 300000 Menschen das Leben kostete – entschieden die Juristen, daß die Verbrechen Duvaliers nach Schweizer Recht verjährt und die Sperrung der Konten durch die Regierung in Bern deshalb rechtswidrig seien. Die Veröffentlichung des jüngsten Urteils am vergangenen Mittwoch nutzten die Angehörigen des Diktators nun, um auf eine Freigabe der Millionen zu klagen.

Die haitianische Menschenrechtsorganisation RNDDH (Nationales Netzwerk zur Verteidigung der Menschenrechte) forderte, Duvalier wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen. Ministerpräsident Jean-Max Bellerive erklärte hingegen nur, Duvalier sei Haitianer, »und es steht ihm als solchem frei, nach Hause zurückzukehren«.

Noch immer sind in Haiti die Folgen des Erdbebens vor einem Jahr nicht beseitigt. Bis zu 4000 Menschen sind bislang einer seit Monaten grassierenden Choleraepidemie zum Opfer gefallen. Zugleich herrscht auf politischer Ebene ein Machtvakuum, nachdem der provisorische Wahlrat die für den vergangenen Sonntag geplante Stichwahl um die Präsidentschaft des Landes abgesagt hatte, weil noch immer kein Ergebnis der ersten Runde vom vergangenen November veröffentlicht werden konnte. Die OAS hatte sich für einen Rückzug des von der Regierung unterstützten und offiziellen Angaben zufolge zweitplazierten Jude Célestin ausgesprochen. Statt dessen sollte der drittplazierte Oppositionskandidat Michel Martelly in der Stichwahl gegen die Gewinnerin der ersten Runde, Mirlande Manigat, antreten.

** Aus: junge Welt, 18. Januar 2011

Personalie: Komödiant

Von Ingolf Bossenz ***

»Die Stunde der Komödianten« heißt ein 1966 erschienener Roman des britischen Schriftstellers Graham Greene (1904-1991). Das Buch vermittelt ein beklemmendes Bild des Terrorregimes unter Diktator François Duvalier (1907- 1971), genannt »Papa Doc«, in Haiti. Erlebt Haiti, das weiter unter den Folgen des schweren Erdbebens vor einem Jahr leidet und nach der Präsidentschaftswahl in einer politischen Krise steckt, erneut eine Stunde der, besser: des Komödianten? »Papa Docs« Sohn Jean-Claude Duvalier (»Baby Doc«), an den einst nach dem Tod seines Vaters das Amt des Staatsoberhaupts gefallen war, kehrte nämlich aus dem französischen Exil in die frühere Heimat zurück.

Zusammen mit seiner Partnerin Véronique Roy landete der 59-Jährige am Sonntag (Ortszeit) auf dem Flughafen der Hauptstadt Port-au-Prince und erklärte, er sei »gekommen, um zu helfen«. Ein geläuterter Despot? Oder ein klassischer Fall von Chuzpe? Schließlich sind die Leiden und Verluste, die die fast drei Jahrzehnte währende Herrschaft der Duvaliers Haiti zufügte, in ihren Dimensionen durchaus mit der aktuellen Naturkatastrophe vergleichbar.

Während die berüchtigte Geheimpolizei Tontons Macoutes die in tiefster Armut lebende Bevölkerung terrorisierte, schwelgte der Herrscherclan im Luxus. Allein aus Staatsunternehmen, die er kontrollierte, bezog »Baby Doc« jährliche Einnahmen von über 100 Millionen Dollar. Die gleiche Summe an Staatsgeldern soll er laut Angaben der haitianischen Behörden unterschlagen haben. Als 1986 Jean-Claude Duvalier durch einen Volksaufstand gestürzt worden und nach Frankreich geflohen war, hatte die Tyrannei der Duvaliers etwa 30 000 Menschen das Leben gekostet. Zwar hatte sich Duvalier jr. 2007 für die »Fehler« während seiner Amtszeit entschuldigt. Doch Menschenrechtsorganisationen forderten jetzt einen sofortigen Prozess gegen »Baby Doc«. Dieser sei verantwortlich für Massaker und Folter, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjährten.

Eine Menge Menschen sehen das offenbar anders. Immerhin hatten sich Hunderte Anhänger Duvaliers eingefunden, als dieser in einem Auto der UNO das vom Beben zerstörte Port-au-Prince besichtigte.

*** Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2011




Duvalier soll vor Gericht

UN-Truppe in Haiti schließt Putsch durch heimgekehrten »Baby Doc« aus ****

In Haiti haben sich am Dienstag die Anzeichen für eine bevorstehende Verhaftung des am Sonntag in sein Heimatland zurückgekehrten früheren Diktators Jean-Claude Duvalier verdichtet. Ein großes Polizeiaufgebot wurde vor dem Nobelhotel zusammengezogen, in dem sich »Baby Doc« seit seiner überraschenden Landung in Port-au-Prince am Sonntag abend aufhielt. Einem Bericht der spanischen Nachrichtenagentur EFE zufolge trafen auch Staatsanwalt Aristidas Auguste und der Richter Gabriel Ambroise in dem Hotel ein. Bis jW-Redaktionsschluß lag jedoch keine Bestätigung für eine Festnahme Duvaliers vor. Gegenüber der Agentur Reuters sagte ein ungenannt bleibender Regierungsbeamter, Duvalier solle lediglich befragt werden und müsse sich der Justiz zur Verfügung halten. Bereits am Montag hatte der haitianische Regierungschef Jean-Max Bellerive nicht ausgeschlossen, daß Duvalier der Prozeß gemacht werde. »Jeder Bürger ist in Haiti der Gerichtsbarkeit unterworfen«, so Bellerive.

Welche Absichten »Baby Doc«, dessen Gewaltherrschaft zwischen 1971 und 1986 mindestens 30000 Menschenleben forderte, mit seiner überraschenden Rückkehr verfolgte, war weiterhin unklar.

Der Kommandeur der UN-Stabilisierungsmission für Haiti (MINUSTAH), der brasilianische General Luiz Guilherme Paul Cruz, hatte am Dienstag jede Möglichkeit eines von Duvalier geführten Staatsstreichs in dem Karibikstaat ausgeschlossen. »Heute gibt es in Haiti eine militärische Kraft«, sagte er mit Blick auf die von ihm befehligte Truppe. »Es ist unmöglich, daß irgendeine Gruppe die Macht ergreift«, sagte der General der staatlichen brasilianischen Presseagentur Agência Brasil.

Auch eine Lösung des Streits um den Ausgang der Präsidentschaftswahl zeichnet sich bislang nicht ab. Nachdem Staatschef René Préval, dessen Amtszeit eigentlich am 7. Februar endet, am Montag mit dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, zusammengetroffen war, wollte er sich am Dienstag über die Medien an seine Landsleute wenden. Die OAS hatte sich in einem Bericht für einen Rückzug des von der Regierung unterstützten und offiziellen Angaben zufolge zweitplazierten Jude Célestin ausgesprochen. Statt dessen sollte der Oppositionskandidat Michel Martelly, der in der ersten Runde im November auf den dritten Platz gekommen war, in der Stichwahl gegen die damalige Gewinnerin Mirlande Manigat antreten.

(PL/AFP/jW)

**** Aus: junge Welt, 18. Januar 2011


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