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Chronik September-Dezember 2004

Haiti: Wichtige Ereignisse

Mittwoch, 1. September, bis Sonntag, 19. September
  • Der UN-Sicherheitsrat hat die Übergangsregierung in Haiti zur Entwaffnung illegaler Gruppen aufgerufen, die in einigen Städten des Landes als Polizei fungieren. Diese Gruppen müssten aufgelöst werden, damit die Regierung die Kontrolle über das gesamte Land ausüben könne, hieß es in einer am 10. September veröffentlichten Erklärung des Ratsvorsitzenden, dem spanischen UN-Botschafter Juan Antonio Yanez-Barnuevo. Ferner rief das höchste UN-Gremium mit Blick auf die Vorbereitung von Wahlen zu einem nationalen Dialog auf, an dem alle politischen Bewegungen Haitis beteiligt werden müssten.
  • Durch die Auswirkungen des Hurrikans "Ivan" sind in Haiti mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Ein zehnjähriges Kind sei von den Flutwellen mitgerissen worden, sagte eine Vertreterin des Zivilschutzes am 13. Sept. Zwei Erwachsene seien ertrunken, weil sie sich geweigert hatten, ihre Häuser zu verlassen. Die Häuser von 2.500 Menschen wurden den Angaben zufolge zerstört oder stark beschädigt und 4.000 Menschen mussten in Notunterkünften ausharren. Am stärksten betroffen von "Ivan" war der Süden des Karibikstaates.
  • Dem Tropensturm "Jeanne" sind in Haiti mindestens 29 Menschen zum Opfer gefallen. Wie das Innenministerium am 19. Sept. mitteilte, kamen allein in Gonaives im Norden des Landes 20 Menschen ums Leben. Ein Großteil des Stadtgebietes stand bis zu zwei Meter unter Wasser. Die Rettungskräfte hätten Schwierigkeiten, die hilfsbedürftigen Menschen zu evakuieren, sagte Ministeriumssprecher Dieufort Deslorges. "Jeanne" war am 17. und 18. Sept. über Haiti und die benachbarte Dominikanische Republik hinweggefegt. Insgesamt wurden auf der Insel Hispaniola, die sich diese beiden Länder teilen, 36 Menschen getötet, in Puerto Rico kostete der Tropensturm zwei Menschen das Leben. Da in Haiti am Sonntag nach wie vor mehrere Menschen als vermisst galten, könnte die Zahl der Todesopfer noch steigen.
Montag, 20. September, bis Donnerstag, 30. September
  • Nach dem Tropensturm "Jeanne" befürchtet Haiti bis zu 1.700 Todesopfer. Ministerpräsident Gérard Latortue sagte am 22. September, er rechne damit, dass die noch etwa tausend Vermissten aus Gonaives tot seien. 711 Leichen wurden bereits geborgen. Die Toten sollen in Massengräbern bestattet werden. Die Leichen verwesten in der Hitze so schnell, dass sich die Behörden zu Massenbestattungen entschieden hätten, sagte Innenminister Herard Abraham. 400 Menschen wurden verletzt, viele durch einstürzende Dächer. Allein in Gonaives im Nordwesten wurden 450 Gebäude zerstört. 250.000 Menschen waren aus ihren Häusern geflüchtet; viele verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Latortue sagte nach einem Hubschrauberflug über Gonaives, alle Häuser seien überschwemmt. Die Stadt stehe fast überall bis zu drei Meter tief unter Wasser.
    Rettungskräfte bemühten sich darum, die Opfer der Naturkatastrophe mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Die Vereinten Nationen entsandten ein Team, das sich um Kinder kümmern sollte, die der Sturm und seine mörderischen Fluten zu Waisen gemacht hatte. Laut Internationalem Roten Kreuz sind viele Orte noch unerreichbar. Nach Angaben von Rettungskräften wird der Karibikstaat Monate brauchen, um sich von Tropensturm "Jeanne" halbwegs zu erholen. Erst im Mai hatte ein fürchterlicher Sturm Haiti heimgesucht und 1200 Menschen in den Tod gerissen. Eine UN-Sprecherin sprach von einer "tragischen Situation". Haiti zählt ohnehin schon zu den ärmsten Ländern der Welt.
  • Durch den Tropensturm "Jeanne" sind in Haiti möglicherweise mehr als 2.200 Menschen getötet worden. Die Zahl der bestätigten Todesopfer sei auf 1.013 gestiegen, sagte ein Sprecher der UN-Mission in Haiti am 22. Sept. Weitere 1.200 Bewohner des Karibikstaates würden noch vermisst.
  • In Haiti wächst laut AFP vom 23. Sept. die Wut und die Verzweiflung über die nur schleppend anlaufende Hilfe für die Opfer des Tropensturms "Jeanne". In der am schwersten betroffenen Hafenstadt Gonaďves herrschten heillose Zustände: In den Straßen stapelten sich die Leichen von Tieren und Menschen, Insassen des von den Fluten zerstörten Gefängnisses liefen frei herum, es kam zu Plünderungen.
  • Am 23. Sept. sind erste Hilfslieferungen in der Region angekommen. Geplant sind Flüge aus Panama und Kanada mit 60 Tonnen an Hilfsgütern. Damit sollen tausende Menschen unterstützt werden, die durch den Tropensturm obdachlos wurden.
  • Sollten die Regierung des Karibikstaates und die UNO-Mission für Haiti nicht ein Klima von Stabilität und Sicherheit schaffen und glaubwürdige Wahlen organisieren, drohe Haiti ein "gescheiterter" und "krimineller Staat" zu werden, heißt es in einer am 24. Sept. vom US-Senat einstimmig angenommenen Resolution. Die vom demokratischen Senator Patrick Leahy aus Vermont eingebrachte Entschließung fordert US-Außenminister Colin Powell zu verstärkten Anstrengungen auf, das UN-Personal in Haiti aufzustocken. Nach der Entmachtung von Staatschef Jean-Bertrand Aristide hatte der UN-Sicherheitsrat Ende April die Entsendung von 6.700 Soldaten und mehr als 1.600 Polizisten nach Haiti beschlossen, um Frieden und Stabilität nach dem blutigen Umsturz wiederherzustellen. Ende Juli war jedoch erst ein Drittel der multinationalen Truppe stationiert. Viele der Soldaten und Polizisten sind derzeit in den vom Tropensturm "Jeanne" verwüsteten Regionen im Einsatz. (Quelle: Der Standard-Online, 25.09.2004)
  • Die Zahl der Toten nach dem Tropensturm "Jeanne" wird nach UN-Schätzungen wohl auf über 2.500 steigen. Für die Überlebenden ist die Lage hoffnungslos. Es gibt keinen Strom, kein Trinkwasser, kaum noch Antibiotika. Die Stadt ist so verseucht, dass Neugeborene praktisch keine Überlebenschance haben. Jede offene Wunde wird zum tödlichen Risiko. Ärzte rechnen bald mit ersten Tetanusfällen.
    Gonaives im Nordwesten von Haiti zählte vor dem etwa dreitägigen Dauerregen vor eineinhalb Wochen rund 250.000 Einwohner. 200.000 von ihnen sind nun obdachlos. Die Truppen der Vereinten Nationen schicken immer mehr Soldaten in die Stadt, um Plünderungen und Angriffe auf die Ausgabestellen für Lebensmittel zu verhindern. Am 27. Sept. mussten brasilianische UN-Soldaten Warnschüsse in die Luft abgeben, um die Plünderung eines ankommenden LKW-Konvois zu verhindern. Die Menschen stürmen inzwischen auch fahrende Lastwagen und werfen die Ladung auf die Straße, wo es dann zu Kämpfe um Wasser oder Lebensmittel kommt, denn Tausende sind hungrig.
    Der New Yorker Arzt Jean-Claude Kompas, der in der vergangenen Woche als freiwilliger Helfer in sein Heimatland zurückkehrte, berichtete, er habe rund 30 Schusswunden behandelt, die im Kampf um Lebensmittel entstanden. Einem Kind war ein Finger mit der Machete abgehauen worden, vermutlich ging es auch bei dieser Auseinandersetzung ums Essen.
  • In Haiti ist es am 30. Sept., dem 13. Jahrestag eines Putsches gegen Ex-Präsident Jean Bertrand Aristide, zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. In mehreren Stadtvierteln der Hauptstadt Port-au-Prince waren Schüsse zu hören, in einigen Straßen brannten Reifenbarrikaden. Zahlreiche Geschäfte waren geschlossen. Vor dem Amtssitz von Interimspräsident Boniface Alexandre wurden zusätzliche UN-Soldaten und haitianische Polizisten postiert. Anhänger von Aristide hatten für den 30. Sept. Demonstrationen angekündigt.
    Nach amtlichen Angaben wurden bei den Demonstrationen drei Polizisten von Schüssen aus der Menge getötet. Ein vierter Beamter sei möglicherweise entführt worden, sagte Justizminister Bernard Gousse. Die Demonstranten forderten ein Ende der "Besatzung" durch ausländische Truppen.
Freitag, 1. Oktober, bis Sonntag, 10. Oktober
  • In Haiti haben am 1. Okt. die Unruhen in Port-au-Prince und der vom Tropensturm "Jeanne" verwüsteten Stadt Gonaives angedauert. In der Hauptstadt wurde nach amtlichen Angaben vom Freitag in 48 Stunden vier Polizisten getötet. Mindestens ein Zivilist sei bei Zusammenstößen erschossen worden. Justizminister Bernard Gousse sagte, in dem Elendsviertel Cite Soleil seien zwei Gangsterbosse getötet und einer verletzt worden. Seit Beginn der Unruhen am 30. Sept. wurden demnach in Port-au-Prince sieben Menschen getötet.
    Auch in Gonaives - einem Ausgangspunkt der Rebellion gegen Aristide vor einem halben Jahr - gab es erneut Ausschreitungen. Bereitschaftspolizisten gingen mit Schlagstöcken gegen rund 700 Menschen vor einer Ausgabestelle für Lebensmittel vor, die unruhig wurden, als Weizen und Speiseöl ausgingen. "Wir haben Hunger! Wir haben Durst!" schrie die Menge. Ein Lieferwagen der Hilfsorganisation CARE mit Brot wurde geplündert, sagte deren Sprecher Samuel Derivois.
    Die Zahl der Todesopfer durch den Tropensturm "Jeanne" wird nach offizieller Einschätzung auf rund 2.500 steigen; für 900 Vermisste in der zerstörten Stadt Gonaives gebe es keine Hoffnung mehr. Auch für die Überlebenden ist die Lage wegen der schlechten Versorgungslage hoffnungslos.
  • Die Regierung von Übergangsregierungschef Gerard Latortue will ungeachtet der Unruhen und der Naturkatastrophen an Wahlen im kommenden Jahr festhalten. Die jüngsten Entwicklungen dürften sein Land nicht davon abhalten, die Demokratisierung voranzutreiben, sagte Latortue am 1. Okt. in den USA.
  • Der UN-Koordinator für Katastrophenhilfe, Jan Egeland, hat die internationale Gemeinschaft um 59 Millionen Dollar (47,6 Millionen Euro) Soforthilfe für die von Wirbelstürmen verwüsteten Karibikstaaten Haiti und Grenada gebeten. "Das ist dringender und lebensrettender Beistand", sagte Egeland am 1. Okt. vor Journalisten in New York. Haitis sei wegen der enormen Zahl der Todesopfer, Grenada wegen des gewaltigen Sachschadens besonders bedürftig.
  • Brasilien hat am 2. Okt. 15 Tonnen Lebensmittel und Medizin nach Haiti geschickt, um die Not nach dem Tropensturm "Jeanne" zu mildern. Das Flugzeug, das unter anderem Chemikalien zur Desinfektion von Trinkwasser an Bord hat, soll am Nachmittag des 3. Okt. in Port-au-Prince eintreffen, wie das brasilianische Militär mitteilte. Ein weiteres Flugzeug soll sich am 5. Okt. mit weiteren 15 Tonnen Hilfsgütern auf den Weg machen.
  • Mehr als zwei Wochen nach der Überflutung Haitis haben die Behörden die Zahl der Todesopfer um fast 500 auf 2.000 erhöht. In den vergangenen Tagen seien im Nordwesten, wo die von Hurrikan Jeanne verursachten Fluten besonders schwer gewütete hatten, hunderte Tote geborgen worden. Die Opferzahl gab die haitianische Zivilschutzbehörde am 3. Okt. mit 1.970 an, 884 Personen würden noch vermisst. Die meisten Vermissten seien vermutlich tot. Rund 300.000 Menschen verloren durch die Unwetterkatastrophe ihr Heim. Der größte Schaden entstand in Gonaives, wo nahezu jedes Haus zerstört wurde.
  • Der maßgeblich am Sturz von Präsident Jean Bertrand Aristide beteiligte frühere haitianische Rebellenchef Guy Philippe hängt sein Sturmgewehr an den Nagel, um sein Land mit friedlichen Mitteln "auf den Weg der Entwicklung" zu bringen. "Der Kampf ist beendet", sagte der ehemalige Chef der Nationalen Widerstandsfront der Nachrichtenagentur AFP in Port-au-Prince. (Meldung vom 5. Okt.) Der 36-Jährige war im Februar zur Symbolfigur der bewaffneten Aufständischen in dem verarmten Karibikstaat geworden. Mit einer Truppe von mehreren hundert Rebellen rückte er auf die Hauptstadt vor und zwang mit seinem bewaffneten Aufstand Ex-Machthaber Aristide ins Exil.
  • Bei Unruhen in Haiti sind erstmals zwei Soldaten der UN-Friedenstruppe von Schüssen verletzt worden. In der nordwestlichen Küstenstadt Gonaives kam es am 9. Okt. zu Zusammenstößen zwischen Blauhelmen und Anhängern des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, die der von Washington gestützten Übergangsregierung Untätigkeit vorwarfen. Dabei wurde ein argentinischer Soldat am Arm getroffen.
Montag, 11. Oktober, bis Sonntag, 31. Oktober
  • Blutige Unruhen in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince haben in den vergangenen zwölf Tagen mindestens 46 Menschen das Leben gekostet. Allein am 11. und 12. Okt. wurden 17 Personen erschossen, wie Krankenhäuser mitteilten. Die Ausschreitungen begannen am 30. September, als tausende Demonstranten die Rückkehr des ins Exil gegangenen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide forderten. Zahlreiche Geschäfte in Port-au-Prince blieben geschlossen. Auf den Straßen wurden Reifen und Fahrzeuge in Brand gesetzt.
    Auch in der nordwestlichen Küstenstadt Gonaives kam es wiederholt zu Unruhen und Plünderungen. Nach dem verheerenden Wirbelsturm "Jeanne" gibt es in Gonaives etwa 200.000 Obdachlose, fast 1.900 Menschen wurden durch den Hurrikan getötet.
  • Dem Karibikstaat Haiti droht eine neue Eskalation der Gewalt: Siebeneinhalb Monate nach dem Sturz von Präsident Jean-Bertrand Aristide wollen die damaligen Rebellen erneut auf die Hauptstadt Port-au-Prince losmarschieren. Der Sprecher einer in einem Vorort versammelten 30-köpfigen Gruppe erklärte am 13. Okt., die Rebellen wollten den blutigen Unruhen ein Ende setzen, die in den vergangenen zwei Wochen über 40 Menschen das Leben kosteten. Weitere Rebellen seien von mehr als 20 Stützpunkten im ganzen Land Richtung Port-au-Prince unterwegs.
  • In mehreren Elendsvierteln der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince ist es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Anhängern des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide gekommen. Am zehnten Jahrestag der Rückkehr Aristides aus seinem US-Exil errichteten Slum-Bewohner Barrikaden und setzten Autoreifen in Brand. Aus den Siedlungen Bel Air, La Saline und Delmas wurden Schießereien gemeldet. (AP, 15. Okt.)
  • Tausende Anhänger des gewählten Präsidenten von Haiti, Jean-Bertrand Aristide, haben am 15. Okt. in der Hauptstadt Port-au-Prince gegen die Stationierung ausländischer Truppen in dem Inselstaat protestiert. Die als Chiméres bekannten Aktivisten gedachten mit der Demonstration der Rückkehr Aristides nach Haiti vor zehn Jahren am 15. Oktober 1994. Der ehemalige Armenpriester war damals aus einem dreijährigen Exil zurückgekommen, in das er durch einen Militärputsch gezwungen worden war. Seine Anhänger nahmen das Datum zum Anlass, seine neuerliche Amtseinsetzung einzufordern.
    (...) Nachdem eine Reihe von Naturkatastrophen die soziale Lage in den letzten Monaten noch weiter verschärft haben, gehen die gut organisierten Aktivisten der Lavalas-Partei nun wieder in die Offensive - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ende September starteten sie aus den Armenvierteln von Port-au-Prince heraus die zivil-militärische "Opération Bagdad" zum Sturz des Regimes unter Gérard Latortue. Neben der Rückkehr Aristides aus dem südafrikanischen Exil fordern sie den Abzug der ausländischen Truppen und die Freilassung aller politischen Gefangenen ihrer Bewegung. Wegen der breiten Unterstützung aus der Bevölkerung konnte dem Aufstand kein Einhalt geboten werden. Mitglieder der nationalen Polizei PNH wurden mehrmals in die Flucht geschlagen, als sie versuchten, in die Armenviertel der Hauptstadt vorzudringen, Presseberichte sprachen von bis zu 50 Toten. Offen bleibt, ob mit dem Aufstand auch eine politische Erneuerung dieser sozialen Basisbewegung einhergeht. Trotz des progressiven Ursprungs der Lavalas-Bewegung waren vor dem gewaltsamen Sturz von Aristide Ende Februar immer mehr Korruptionsvorwürfe gegen dessen Regierung lautgeworden.
    Zunächst aber stehen die militärischen Auseinandersetzungen im Vordergrund. Während die Aufständischen immer mehr Gebiete um die Hauptstadt unter ihre Kontrolle bringen, ist die UN-Mission für Haiti (MINUSTAH) machtlos. Von den geplanten 8.000 Soldaten sind schließlich erst 3.200 eingetroffen, die meisten kommen aus Brasilien. Nach einer Meldung der US-amerikanischen Nachrichtenagentur AP sind die US-nahen Rebellen, die maßgeblich zum Sturz von Aristide beigetragen haben, daher wieder auf dem Vormarsch auf die Hauptstadt. Kommt es zu Auseinandersetzungen, dürften die MINUSTAH-Truppen machtlos sein. Die "Übergangsregierung" setzt daher weiter auf die Kriminalisierung und eine militärische Unterdrückung der Aristide-Anhänger. Am gefährlichsten für das Regime wäre zu diesem Zeitpunkt eine neue Integrationsfigur der Lavalas-Bewegung im eigenen Land. Auch das dürfte ein Grund sein, warum gut ein Dutzend prominenter Lavalas-Unterstützer und ehemalige Regierungsminister in Haft sind. Bislang ohne offizielle Anklage.
    (Harald Neuber in "junge Welt", 18. Oktober 2004)
  • Bangladesch und Haiti sind nach dem jährlichen Korruptionsbericht der Organisation Transparency International (TI) die korruptesten Länder unter 146 untersuchten Staaten. Für die Studie, die am 20. Okt. in Berlin und London vorgestellt wurde, wurden sowohl einheimische als auch ausländische Geschäftsleute, Analytiker und Wissenschaftler befragt.
  • Militante Anhänger des gestürzten haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide haben sich in der Hauptstadt Port-au-Prince blutige Feuergefechte mit der Polizei geliefert. Auslöser der schon seit Tagen anhaltenden Unruhen waren Augenzeugenberichte, wonach die Polizei mindestens 17 Jugendliche regelrecht exekutiert haben soll. Am 28. Okt. wurden im Slumviertel Bel Air die Leichen von vier jungen Männern präsentiert, die Schusswunden am Hinterkopf aufwiesen. Augenzeugen berichteten, Männer in schwarzen Uniformen seien in einem Polizeiwagen vorgefahren, hätten die Opfer aus dem Auto gezogen und dann auf den Boden gestoßen und erschossen. Die Regierung bestritt, dass es sich bei diesen Uniformierten um Polizisten handelte. Aristide hat im Stadtteil Bel Air besonders viele Anhänger.
Montag, 1. November, bis Sonntag, 14. November
  • Brasilien will weitere Soldaten für die UN-Truppe in Haiti bereitstellen. Ziel sei, die Zahl der Blauhelmsoldaten in dem Karibikstaat auf 5.500 zu erhöhen, erklärte ein Berater des brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva am 4. Nov. beim Gipfel der Rio-Gruppe. Zur Eröffnung des zweitägigen Treffens der Staatengemeinschaft in Rio de Janeiro forderte der peruanische Präsident Alejandro Toledo ein stärkeres Engagement Lateinamerikas, um einen neuerlichen Absturz Haitis in Chaos zu verhindern. Auch mit den zusätzlichen Soldaten bleibe die Truppenstärke weit hinter den von den Vereinten Nationen zugesagten 8.300 Mann zurück, erklärte der brasilianische Präsidentenberater Marco Aurelio Garcia. Brasilien stellt mit bislang 1.200 Soldaten das größte Kontingent des Einsatzes. Derzeit sind in Haiti nach UN-Angaben 5.000 Blauhelmsoldaten zur Unterstützung der Übergangsregierung stationiert. Trotzdem kommt es dort immer wieder zu Ausschreitungen.
    Zum Abschluss ihres 18. Gipfeltreffens hat die Rio-Gruppe in Brasilien am 5. Nov. Unterstützung für das krisengeschüttelte Haiti angekündigt und den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu einer flexibleren Haltung beim Schuldenabbau in Lateinamerika aufgefordert. In ihrer Abschlusserklärung bezeichneten die Staatschefs und Regierungsvertreter aus 19 lateinamerikanischen Ländern die instabile politische und humanitäre Lage in Haiti als Besorgnis erregend. Sie riefen zur "politischen Stabilisierung und Aussöhnung der haitianischen Gesellschaft" auf. In ihrer nach zwei Konferenztagen veröffentlichten Erklärung sagten sie dem Karibikstaat unter anderem Finanzhilfen zu und bekräftigten ihre Unterstützung für die UN-Mission. In der Schlusserklärung heißt es wörtlich: "Im Geiste der Solidarität verpflichten wir uns als Nachbarn und Brüder, einen entscheidenden Beitrag zu politischen Stabilisierung und Aussöhnung der haitianischen Gesellschaft zu leisten."
  • Bewaffnete Männer haben eine Polizeiwache in der haitianischen Stadt Gonaives gestürmt und die Beamten in die Flucht getrieben. Mehr als 100 Menschen plünderten danach das Gebäude, ehe UN-Truppen eintrafen und die Situation am Abend des 6. Nov. unter ihre Kontrolle brachten. Die Angreifer gehörten nach Informationen des Rundfunksenders Radio Vision 2000 der Widerstandsfront Artibonite an, deren Aufstand im Februar den Sturz von Präsident Jean-Bertrand Aristide ausgelöst hat.
  • Der Premierminister von Haiti, Gérard Latortue, hat das Ausbleiben internationaler Finanzhilfe für den zerrütteten Karibikstaat beklagt. "Bis jetzt ist nichts eingetroffen und alles nur versprochen", sagte Latortue am 13. Nov. der dpa. Es gebe einen enormen Verzug bei der Auszahlung der Gelder, nachdem eine internationale Geberkonferenz in Washington im Juli dieses Jahres Hilfen von insgesamt 1,4 Milliarden Dollar zugesagt habe.
Montag, 15. November, bis Dienstag, 30. November
  • Mehrere Tausend Menschen beteiligten sich am 26. Nov. an einer Demonstration zur Unterstützung des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide. Die Demonstranten riefen die internationale Gemeinschaft auf, Aristide an der Suche nach Frieden in Haiti zu beteiligen. Im Unterschied zu anderen Protesten der letzten Wochen verlief diese Demonstration friedlich. Weder haitianische Polizei noch Soldaten der von Brasilien geführten UN-Truppe griffen ein. Der Organisator der Demonstration, Samba Boukman, sagte, ohne Aristide könne es keinen Frieden, keine Versöhnung und Demokratie geben. "Wer Aristide verleugnet, verleugnet eine Mehrheit der haitischen Bevölkerung." Er plädierte für den Aufbau einer neuen "Regierung des nationalen Konsensus", welche die Lavalas-Partei einschließen und den Weg zu Aristides Rückkehr bereiten müsse.
  • Der UN-Sicherheitsrat hat die UN-Mission zur Stabilisierung Haitis (MINUSTAH) um sechs Monate verlängert. Das Gremium votierte am 29. Nov. einstimmig für eine Ausweitung des Mandats bis zum 1. Juni 2005. Die Resolution erlaubt eine unbegrenzte künftige Verlängerung der Mission. UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte in einem Bericht über die Lage in Haiti zuvor eine Verlängerung des Mandats um 18 Monate verlangt und dies mit der verschlechterten Lage in dem Land begründet. Die Truppen waren als Reaktion auf den Sturz von Präsident Jean Bertrand Aristide im Februar eingesetzt worden. In den vergangenen Monaten ist es immer wieder zu gewaltsamen Protesten von Aristide-Anhängern gekommen. Mitte November waren rund 4.500 der geplanten 6.700 UN-Soldaten im Einsatz. Etwa 1.200 von rund 1.600 zivilen Polizeikräften waren vor Ort. Der Einsatz steht unter brasilianischem Kommando.
Mittwoch, 1. Dezember, bis Freitag, 31. Dezember
  • Während eines Besuches von US-Außenminister Colin Powell in Haiti am 1. Dez. ist es in Hörweite des Präsidentenpalastes von Port-au-Prince zu einer schweren Schießerei gekommen. Dabei wurden nach Krankenhausangaben mindestens vier Menschen verletzt. Powell war während der gewaltsamen Unruhen im Innern des Palastes, wo er sich mit dem Chef der Übergangsregierung Haitis, Gerard Latortue, traf. Die Politiker blieben laut US-Regierung unversehrt, ihre Beratungen sollten nach dem Zwischenfall jedoch an einen anderen Ort verlegt werden. Der Staat müsse hart durchgreifen gegen die Angreifer, sagte Powell nach seinem Treffen mit Politikern.
    Den Angaben zufolge eröffneten mutmaßliche Anhänger des gestürzten Präsidenten Jean Bertrand Aristide aus einem Auto heraus das Feuer. UN-Soldaten erwiderten das Feuer. Unter den vier Verletzten waren zwei Studenten und ein Arzt.
  • Soldaten der Vereinten Nationen blieben am 1. Dez. in der Hauptstadt Port-au-Prince in Alarmbereitschaft. Die Blauhelme bewachten vor allem das nationale Gefängnis, wo am Vortag schwere Unruhen ausgebrochen waren. Bewaffnet mit Messern und Steinen versuchten Insassen auszubrechen, von außen wurde das Feuer eröffnet, wie der Leiter des staatlichen Gefängnissystems erläuterte. Offensichtlich wollten einige Gefangene ihre Verlegung verhindern. Sie ermordeten sieben Mithäftlinge, die sich weigerten, am Aufstand teilzunehmen, hieß es.
  • Bei ihrem bislang größten Militäreinsatz gegen Anhänger des gestürzten Präsidenten Haitis, Jean-Bertrand Aristide, hat die "UN-Mission zur Stabilisierung Haitis" (MINUSTAH) ein Viertel in der Hauptstadt Port-au-Prince gestürmt. Bei den schweren Zusammenstößen am 14. Dez. kam ein Jugendlicher ums Leben, mutmaßlich durch Kugeln der MINUSTAH. Das sagten Krankenhausmitarbeiter gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. Mindestens 14 weitere Menschen seien angeschossen worden. Das Elendsviertel Cité Soleil wurde bis zur Erstürmung durch die MINUSTAH von Anhängern Aristides kontrolliert, wie ein UN-Sprecher sagte.
  • Hunderte UN-Soldaten haben am 15. Dez. die Residenz des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide umstellt, in dem sich eine Gruppe von Exsoldaten verschanzt hat. Die Übergangsregierung forderte die Besetzer auf, das Gebäude im Vorort Tabarre der Hauptstadt Port-au-Prince zu verlassen, da es sich um Regierungsbesitz handele. Die Exsoldaten gehörten der von Aristide 1994 aufgelösten Armee an. Sie weigern sich, ihre Waffen abzugeben und fordern den Sold für zehn Jahre.
  • Die UN-Truppe in Haiti hat eine Gruppe ehemaliger Soldaten nach drei Tagen Besetzung aus der Residenz des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide vertrieben. Die Besatzer hätten sich bereit erklärt, ihre Waffen niederzulegen, teilte ein Sprecher der UN-Truppe am 17. Dez. mit.


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