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Zwischen UNO und Cholera

Haitianer verklagen Weltorganisation auf Entschädigung wegen der Seuche

Von Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo *

Tausende von Haitianerinnen und Haitianer klagen gegen die Vereinten Nationen. Grund: Die Cholera.

Mithilfe der US-Menschenrechtsorganisation Institut für Justiz und Demokratie in Haiti (IJDH) wollen Haitianer Entschädigung für ihre Ansteckung mit dem Cholera-Erreger erstreiten. Sie machen Soldaten der UN-Sicherheitsmission MINUSTAH für ihre Erkrankung verantwortlich. »Wir haben gerade die Cholera-Klage gegen die UNO eingereicht«, teilte Ira Kurzban, der juristische IJDH-Vertreter, im Namen der Opfer per Twitter-Kurzmitteilung mit.

Bisher sind etwa 8300 Menschen an Cholera gestorben, weit über 650 000 wurden infiziert. Der Sprecher der UN, Farhan Haq, verweigerte jede Kommentierung der Klage. Die UNO reklamiert straf- und zivilrechtliche Immunität für den Einsatz der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti (MINUSTAH).

Das IJDH hat mit der Klage auf die Weigerung der Führung der UN im Februar 2013 reagiert, Entschädigungen in Höhe von 100 000 Dollar für ein Cholera-Todesopfer und 50 000 Dollar für Erkrankte zu zahlen. »Wir denken, dass wir dieses Verfahren gewinnen werden«, sagte IJDH-Anwalt Ira Kurzban auf einer Pressekonferenz. Die Vereinten Nationen könnten sich »nicht hinter dem Schild der Immunität verstecken«. Schließlich sei die »Cholera von UNO-Truppen nach Haiti gebracht« worden, sagte Kurzban.

Neun Monate nach dem schweren Erdbeben, bei dem rund 300 000 Menschen im Januar 2010 ums Leben kamen und die Hauptstadt Port-au-Prince sowie deren Umgebung schwer zerstört war, wurden erste Fälle von Cholera gemeldet, die über Jahrzehnte im Land nicht mehr existiert hatte. Aber nicht die hygienischen Zustände in den provisorischen Lagern für mehr als 1,5 Millionen Menschen waren für die Erkrankungen verantwortlich.

Die ersten Cholera-Opfer gab es entlang eines Zuflusses des Artibonite-Flusses, dessen Wasser die Infizierten konsumiert hatten. Der Verdacht richtete sich sehr schnell gegen einen Stützpunkt der seit 2004 in Haiti stationierten UN-Mission. Dort waren nepalesische Streitkräfte stationiert, die kurz zuvor ins Land gekommen war. Anwohner hatten beobachtet, dass die Latrineninhalte des Lagers in der Ortschaft Mirebalais regelmäßig in dem Fluss entsorgt wurden.

Eine umfangreiche Untersuchung des US-Zentrums für Seuchenkontrolle (CDC) unterstützt diese These. In den Stuhl-, Blut- und Wasserproben stellten die CDC-Wissenschaftler Cholera-Erreger fest, die mit Bakterienstämmen identisch waren, wie sie in Südasien und Nepal vorkommen. Trotzdem weigerten sich die Verantwortlichen der Vereinten Nationen schon damals, Haftung zu übernehmen.

Zwar räumte die Organisation mit Hauptsitz in New York nach langem Leugnen ein, dass die hygienischen Zustände in dem UN-Militärlager nicht »adäquat« gewesen seien, aber es gebe keinen Beweis dafür, dass die Soldaten die Bakterien eingeschleppt hätten. Einer der Betroffenen. Maximilien Saint Juste, fordert hingegen klar: »Jedes Opfer hat ein Recht auf Entschädigung.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 11. Oktober 2013 Haitianer verklagen UNO Cholera von Blauhelmsoldaten eingeschleppt: Opfer wollen Entschädigung Von Volker Hermsdorf *

Im Namen haitianischer Cholera-Opfer und von deren Angehörigen hat die internationale Juristenorganisation Institute for Justice and Democracy in Haiti (IJDH) die Vereinten Nationen auf Entschädigung verklagt. Eine unabhängige Untersuchung der Ursachen für die 2010 ausgebrochene Epidemie hatte ergeben, daß die gefährliche Brechdurchfallerkrankung von UN-Blauhelmsoldaten eingeschleppt worden war. Die Rechtsanwälte des IJDH haben die Klage am Mittwoch (Ortszeit) beim Bundesbezirksgericht in Manhattan (New York) eingereicht. Sie wollen die UNO damit zwingen, sich der Verantwortung für den Tod von fast 8300 Menschen infolge des Choleraausbruchs zu stellen.

Neun Monate nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar 2010 waren in Haiti die ersten Cholera­infektionen seit 100 Jahren aufgetreten. Obwohl die Regierung landesweit den sanitären Notstand ausrief, konnte die Epidemie nicht eingedämmt werden. Am 1. Oktober 2013 berichtete die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) über insgesamt 678840 Erkrankte, von denen 8289 gestorben seien. Nach dem Erdbeben, das mehr als 250000 Haitianer getötet und über eine Million obdachlos gemacht hatte, wäre diese zweite Katastrophe nach Ansicht vieler Menschen im ärmsten Land der Region vermeidbar gewesen. Sie werfen der UNO vor, durch »grob fahrlässiges Verhalten« die Krankheit ins Land gebracht und »ihre Rechtspflicht verletzt« zu haben.

Bereits kurz nach Auftreten der ersten Krankheitswelle hatte es Berichte über den Auslöser der Epidemie gegeben. Demnach hatten nepalesische Blauhelme im 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Port-au-Prince gelegenen UN-Stützpunkt Mirebalais, dessen sanitäre Anlagen defekt waren, kontaminierte Abwässer und Fäkalien in den Fluß Artibonite geleitet. Dieser dient den Anwohnern jedoch als Trinkquelle. Von dort verbreitete sich die Cholera innerhalb eines Monats im ganzen Land. Erste Proteste von Anwohnern gegen die Präsenz der damals noch über 10000 Mann starken UN-Truppen, die viele eher als Besatzer denn als Helfer wahrnahmen, wurden von den Blauhelmsoldaten mit Waffengewalt niedergeschlagen.

Nach wenigen Wochen hatte sich die Choleraepidemie auch auf die benachbarte Dominikanische Republik ausgedehnt. Laut OPS-Bericht sind dort zwischen November 2010 und September 2013 insgesamt 31021 Menschen erkrankt und 456 verstorben. Medizinische Helfer aus Kuba, das unmittelbar nach dem Erdbeben Tausende Ärzte und Krankenschwestern nach Haiti entsandt hatte, brachten das Bakterium im Sommer 2012 mit nach Hause. In der Folge war auch die sozialistische Karibikinsel zum ersten Mal seit 130 Jahren von der Krankheit, die dort bereits als ausgerottet gegolten hatte, betroffen. Die OPS teilte am 1. Oktober 2013 mit, daß in Kuba zwischen Juni 2012 und August 2013 insgesamt 678 Fälle von Cholera aufgetreten und drei Menschen verstorben seien. Seit August sind demnach auf der Insel keine neuen Fälle aufgetreten, dafür macht die Cholera sich jetzt in Mexiko breit. Bis Ende September wurden dort bereits 46 Erkrankte und ein Todesfall gemeldet.

Eine von der UNO selbst in Auftrag gegebene unabhängige Untersuchung unter der Leitung von Medizinern und Bakteriologen international renommierter Institute und Universitäten aus den USA, Bangladesch, Peru und Indien hat inzwischen den Verdacht gegen die nepalesischen Blauhelme bestätigt. Sie waren vor ihrem Einsatz nicht auf Krankheiten wie Cholera getestet worden. Trotzdem versucht die UNO, sich der Verantwortung zu entziehen, und pocht auf ihre Immunität, wonach sie auch bei Fehlverhalten keinen Schadenersatz leisten muß. Unterstützt werden die Kläger hingegen von ihrer Regierung. Am 26. September hatte Haitis Premierminister Laurent Salvador Lamothe vor der UN-Generalversammlung an die Weltorganisation appelliert, sich endlich ihrer »moralischen Verantwortung für den derzeit schlimmsten Choleraausbruch in der Welt« zu stellen. Die bisherigen Hilfen reichten nicht annähernd aus, um die Epidemie einzudämmen. Vor dem Sitz der UNO hatten zur gleichen Zeit Dutzende Haitianer ihre Verärgerung über die abweisende Haltung der UN-Verantwortlichen demonstriert.

** Aus: junge Welt, Freitag, 11. Oktober 2013


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