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Aristides Anhänger sammeln sich

Haitis Übergangsregierung hat einen Termin für die Präsidentschaftswahl bekannt gegeben

Von Haitis Übergangsregierung hat einen Termin für die Präsidentschaftswahl bekannt gegeben

Von Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo*

Zwei Jahre nach dem Sturz des haitianischen Präsidenten Bertrand Aristide soll in dem wirtschaftlich zerrütteten Karibikstaat Ende Dezember ein neuer Präsident gewählt werden.

Wochenlang mussten sich die Haitianer in Geduld üben. »Es wird gewählt, es wird nicht gewählt«, hatte es abwechselnd geheißen. Ende vergangener Woche nannte der Chef der Übergangsregierung, Gerard Latortue, in der Hauptstadt Port-au-Prince den 27. Dezember als Termin für die Präsidentschaftswahl. Zudem sollen Parlaments-, Senats- und Kommunalwahlen stattfinden.

Die neue Regierung wird voraussichtlich am 7. Februar ihre Amtsgeschäfte aufnehmen. Latortue erklärte, er werde, wie es die Verfassung vorsieht, an diesem Tag das Regierungsamt an den Nachfolger des im Februar 2004 entmachteten Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide übergeben, der im südafrikanischen Exil lebt.

Eigentlich sollten die rund 4,5 Wahlberechtigten unter den 8,6 Millionen Einwohnern bereits Anfang November zu den Urnen gerufen werden. Organisatorische Unzulänglichkeiten hätten eine Verschiebung der Wahl notwendig gemacht, erklärte der provisorische Wahlausschuss. Anfangs stritten sich die designierten Mitglieder über die Zusammensetzung des Rates, dann wieder verweigerte die von Aristide gegründete Lavalas-Bewegung Fanmi Lavalas die Zusammenarbeit, weil Mitglieder der so genannten Erdrutsch-Bewegung (Erdrutsch heißt in der Landessprache Lavalas) staatlich verfolgt würden und ihr Vorsitzender gezwungen sei, im Ausland zu leben. Dann wieder fehlten die Mittel zur landesweiten Erfassung der Einwohner und potenziellen Wähler. Die Geberländer wiederum machten die Auszahlungen von Geldern für die Wahldurchführung von einem geordneten Haushalt abhängig. Insgesamt stehen 50 Millionen US-Dollar aus dem Ausland für die Wahl zur Verfügung.

Der Wahlausschuss hat es bisher nicht geschafft, in den entlegenen Bergregionen Wahlbüros einzurichten. In städtischen Ballungszentren wie Bel Air und Cité Soleil gibt es auch nach Bekanntgabe des Wahltermins nur wenige Büros zur Registrierung, wo Fingerabdrücke und Fotos genommen werden. »Wir sollen faktisch von den Wahlen ausgeschlossen werden«, vermutet ein Lavalas-Funktionär. Hinzu kommt, dass noch keine Wahlausweise ausgeben werden konnten. Die Plastikkarten, mit denen sich Wähler ausweisen müssen, werden in Mexiko gedruckt. Allerdings sind die Druckmaschinen bisher nicht angelaufen.

Insgesamt 43 Parteien und 32 Präsidentschaftskandidaten hat der Wahlausschuss bisher zugelassen. Der wichtigste Vertreter und Wunschkandidat von Lavalas wurde allerdings von der Wahl ausgeschlossen: Der Priester Gérard Jean-Juste sitzt im Gefängnis von Port-au-Prince. Er soll in die Ermordung des Journalisten Jacques Roche im Juli dieses Jahres verwickelt gewesen sein. Da Jean-Juste, angeblich ein enger Vertrauter von Aristide, sich nicht persönlich ins Wahlregister eintragen konnte, wurde seine Kandidatur zurückgewiesen.

Jetzt werben Marc Bazin, ehemals Minister unter Aristide, und der frühere Ministerpräsident des Landes, René Preval, um die Gunst der Anhänger von Fanmi Lavalas. »Egal wie«, sagt der ehemalige Lavalas-Vertreter im haitianischen Senat, Gerald Gilles, »Lavalas wird die Wahlen gewinnen und zeigen, dass Aristide und seine Bewegung nach wie vor die Mehrheit im Land besitzen.«

Neben den Lavalas-Vertretern werden nur wenigen Präsidentschaftskandidaten reelle Chancen eingeräumt. Der ehemalige Bürgermeister von Port-au-Prince, Evans Paul, hat mit einem neoliberalen Programm seine Alliance Démocratique (ALYANS) zusammengeschmiedet. Auch der Chef der maßgeblich am Sturz von Aristide beteiligten Front pour la Reconstruction Nationale (FRN), Guy Philippe, eng verbündet mit Personen wie Louis-Jodel Chamblain, dem stellvertretenden Chef der haitianischen Todesschwadronen, will Aristide-Nachfolger werden. Am ehesten könnte noch Paul Denis beim Urnengang die Nase vorn haben. Denis steht der Organisation du Peuple en Lutte (OPL) vor, die einst mit Aristide verbündet war. In einem Politbarometer wird die OPL als die beliebteste Partei in Haiti genannt.

* Aus: Neues Deutschland, 24.11.2005


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