Bunt und brutal
Vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen in Guatemala ist der Ex-General Otto Pérez Molina im Aufwind / 40 Kandidaten wurden im Kampagnenverlauf
bereits getötet
Von Markus Plate, Guatemala-Stadt *
Am 9. September findet in Guatemala der erste Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen statt, mit
dem ein Nachfolger für Oscar Berger gesucht wird. Drei Kandidaturen stechen heraus: der
Sozialdemokrat Álvaro Colom, der Ex-Militär Otto Pérez Molina und die Friedensnobelpreisträgerin
Rigoberta Menchú. Der Wahlkampf wird von Gewalt überschattet: Rund 40 Kandidaten für die
ebenfalls stattfindenden Kongresswahlen, Parteigänger und Wahlhelfer kamen in den letzten
Monaten ums Leben.
»Sorge Dich nicht, mein Leben, es kommen bessere Zeiten«. So lautet der Smash-Hit auf
Guatemalas Straßen. Die von dünnen Stimmen geträllerte Schnulze ist der Wahlkampfsong der
ansonsten ziemlich unbedeutenden Union des Nationalen Wandels. Jede Partei, die etwas auf sich
hält, tritt in diesem Jahr mit einem Lied an. Neben den wie üblich frisch getünchten und mit den
Parteiemblemen versehenen Bordsteinen, Strommasten und Häuserwänden gibt sich der
diesjährige Wahlkampf in Guatemala auch hörbar bunt – und auf der Höhe der Zeit: Die Songs und
Videobotschaften der Parteien durchdringen Radio, Fernsehen und verbreiten sich sogar über die
Internetplattform YouTube.
Colom will Frieden und Versöhnung
Mit dem etwas blassen »Colom für Dich, Colom für mich, Colom für mein Guatemala« steigt Álvaro,
Colom natürlich, in den Ring. Der hagere Mittfünfziger präsentiert sich als Mann des Friedens und
der Versöhnung, der nach wie vor daran glaubt, mittels der vor zehn Jahren unterzeichneten
Friedensverträge Guatemala in eine bessere Zukunft führen zu können. Wären da nicht
Unternehmer und Militärs, die durch ihre Parteien eine Umsetzung der Friedensverträge nach
Kräften torpedierten. Wären da nicht die »parallelen Machtzentren«, vor allem der Drogenhandel
und die allgegenwärtige Korruption, die ganze Parteien kaufen. Und wären da nicht die »Linken«,
die es, anders als im benachbarten El Salvador, nie geschafft haben, ein Gegengewicht zur
herrschenden neolibaralen Politik zu konstruieren. Álvaro Colom und seine UNE dagegen sind
darauf bedacht, für alle wählbar zu sein. Als einziger der vier, allesamt weißen und männlichen
Umfrageführenden betont er glaubhaft in Talkshows und Diskussionsforen die Rechte von Frauen
und Indígenas – freilich ohne dabei der männlich mestizischen Dominanz auf den Schlips zu treten.
Colom nennt den Neoliberalismus »die neue Form der Repression, ein Versuch der ökonomischen
Unterdrückung«, seine Partei jedoch stimmte im Kongress mehrheitlich für das CAFTAFreihandelsabkommen
mit den USA. Gegen die tagtägliche Gewalt setzt Colom Sozialprogramme
und den entschlossenen Kampf gegen besagte »parallelen Machtzentren«, womit er die Ursachen
der Gewalt wohl treffend benennt. Zu treffend vielleicht: Die meisten der rund 40 ermordeten
Kandidaten stammten aus den Reihen der UNE.
Klares »Ja« zur Todesstrafe
»Harte Hand, harter Kopf und hartes Herz« ist dagegen der Superschlager der Patriotischen Partei
von Otto Pérez Molina, dem derzeit einzigen ernst zu nehmenden Gegenspieler von Álvaro Colom.
Der General aus Zeiten des schmutzigen Krieges der Militärdiktatur punktet mit der Forderung nach
einer Politik der harten Hand. »Mano Dura« ist sein Motto, mit geballter Faust, grimmigem Gesicht
und signalrotem Hemd droht er dem Berufsverkehr von haushohen Plakaten herab. Gegen die
Maras, diese Horden tätowierter, brutaler Jugendbanden, die massenhaft verhaftet und weggesperrt
werden sollen. Ein klares »Ja« zur Todesstrafe ziert die Homepage seiner Partei. Die
Kandidatenmorde der letzten Monate sind dabei Wasser auf die Mühlen seiner Kampagne. Sie hat
offenbar Erfolg. Laut in dieser Woche veröffentlichten Meinungsumfragen hat der General zu Álvaro
Colom aufgeschlossen.
Abgesehen davon, dass Otto Pérez' Kampagne der letzten Tage und Wochen deutlich agressiver
war als die seines schärfsten Konkurrenten, sei es eben der General, der die Sorgen und Nöte der
Guatemalteken direkter aufgreife, meint der politische Analyst Fernando Molina in Guatemalas
größter Tageszeitung »Prensa Libre«. Was er dabei unterschlägt ist, dass Otto Pérez eigentlich nur
diese eine Botschaft verkündet: Mano Dura. Wie sich der General eine Politik der
Armutsbekämpfung, der Wirtschaftsbelebung und oder der Regionalentwicklung vorstellt, davon ist
kaum etwas zu hören. Hauptsache, da gibt es einen, der endlich mal mit den Maras fertig wird – das
scheint die beherrschende Stimmung in Guatemala zu sein und niemand bedient sie so gut wie der
General.
Aus Sicht der Bürgerrechtsbewegung sind dagegen gar nicht so sehr die Maras die
Schreckensvision. Für sie ist es Otto Pérez selbst. Der nämlich stehe für das unheilige Dreieck aus
Oligarchie, dem alten Aufstandsbekämpfungsapparat der Militärdiktatur und dem innig mit beiden
verstrickten »organisierten Verbrechen«. Mit »Mano Dura« böten dieselben Kreise die Medizin für
eine Krankheit, für die sie selbst die Ursache seien: Die bestialischen Morde, die täglich in
zweistelliger Zahl die Hauptstadt erschüttern. Die Angst geht um, mit Otto Pérez könne sich
Guatemala wieder zurück in Richtung Militärdiktatur bewegen.
Unbegründet sind diese Sorgen nicht. Gemäß des »Washington Office on Latin America« (WOLA)
existieren in Guatemala fünf bewaffnete, geheime Gruppen, die das organisierte Verbrechen
dominieren. Allesamt entstammen sie dem ehemaligen Aufstandsbekämpfungsapparat der
Militärdiktatur. Eine dieser Gruppen, »das Syndikat«, wurde und wird nach Angaben von WOLA von
Otto Pérez geführt.
Kaum Chancen für Rigoberta Menchú
Dass sich die Strukturen der Militärdiktatur, seien es nun Militärseilschaften oder
Todesschwadronen, so elegant den Friedenszeiten anpassen konnten und über Drogengeschäfte
und Immobilienspekulationen weiterhin prächtig verdienen, sieht der Menschenrechtler Manolo
Garcia als den kritischsten Punkt des Friedensmodells Guatemala. Mit Otto Pérez Molina könnte
nun sogar jemand Präsident des Landes werden, dem vorgehalten wird, tief in den Sumpf des
organisierten Verbrechens und damit auch der tagtäglichen Gewalt verstrickt zu sein.
Eine Friedensnobelpreisträgerin als Kampagnen-Zugpferd ist dagegen weit abgeschlagen.
Rigoberta Menchú werden allenfalls vier Prozent in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen
zugetraut, ihrer neu gegründeten Partei »Encuentro Por Guatemala« bei den Kongresswahlen auch
nicht mehr. Denn die Mam-Indígena ist alles andere als unumstritten, gerade auch innerhalb der
indigenen Organisationen. Zu weit habe sie sich von der Bewegung entfernt, zu USA-freundlich sei
sie, schimpfen deren Sprecher. Die vielleicht zehn Prozent, die die linken, indigenen, progressiven
und sozialen Kräfte bei diesen Wahlen zusammenkratzen werden, bedeuten zumindest auf
nationaler Ebene ein Verbleiben in der politischen Bedeutungslosigkeit.
So sieht alles nach einer Richtungswahl zwischen Álvaro Colóm und Otto Pérez aus, zwischen
Versöhnung und »Knüppel aus dem Sack«. Doch der Eindruck täuscht dann doch ein wenig. Mitte
August berichteten Guatemalas Zeitungen von einem Geheimtreffen der Spitzen der größten
Parteien, bei dem schon einmal die Leitlinien der Politik für die nächsten vier Jahre festgelegt
worden seien – unabhängig davon, wer letztendlich Präsident wird. Anwesend waren neben der
aktuellen Präsidentenpartei GANA auch Coloms UNE und Pérez' Patriotische Partei. Es scheint so,
als würde eben nicht über die Politik der nächsten Jahre abgestimmt, sondern über die beste
Präsentation – und vielleicht über den besten Wahlkampfsong.
Das Wahlkampfgetöse wird noch andauern: Bis zum Sonntag noch werden die gesammelten
Hymnen aller KandidatInnen durch die Straßen dröhnen, danach werden sich wohl »Harte Hand,
Kopf und Herz« und »Colóm für Dich und mich und Guatemala« in der Endausscheidung
wiederfinden. Die Kandidaten werden wie alle vier Jahre selbst die entlegensten Winkel des Landes
bereisen – bis zu den Stichwahlen um die Präsidentschaft am 4. November. Auch danach darf sich
Guatemala über Tausende frisch gestrichene Häuserwände freuen, deren Symbole und Botschaften
langsam verblassen, bis in vier Jahren der nächste Anstrich folgt.
* Aus: Neues Deutschland, 7. September 2007
Zurück zur Guatemala-Seite
Zurück zur Homepage