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Hungernotstand

500 Tote in Guatemala: Bevölkerung leidet unter Dürre. Parlament ­blockiert erneut Regierungsdekret

Von Benjamin Beutler *

Während in dem mittelamerikanischen Guatemala über 54000 arme Bauernfamilien an Unterernährung leiden, liefern sich die »Volksvertreter« in der Hauptstadt Ciudad de Guatemala eine politische Schlammschlacht. Am Mittwoch blockierte das Parlament zum zweiten Mal innerhalb einer Woche eine vom sozialdemokratischen Präsidenten Álvaro Colom angetrebte Verhängung des Hungernotstandes.

Schon zu Beginn der vorigen Woche hatte Colom den »öffentlichen Ausnahmezustand« ausgerufen. Der Klimawandel habe die schwerste Dürreperiode seit 30 Jahren verursacht, die »Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise« seien Schuld an der aktuellen »Lebens- und Nahrungsmittelkrise«, so die Begründung. »Das Präsidialdekret erlaubt uns den Zugang zu Mitteln der internationalen Zusammenarbeit. Auch nationale Gelder können so beweglicher zum Einsatz kommen«, erklärte der Wirtschaftsingenieur in einer TV- und Radio-Ansprache an die Nation.

Doch die rechtskonservative Opposition unter Führung von General Otto Pérez Molina, der bei den Wahlen 2008 in der zweiten Runde nur knapp unterlegen war, versucht politisches Kapital aus der Notlage zu schlagen. Zuletzt erhob der Chef der Patriotischen Partei (PP) bei einem Besuch des Departamento Chiquimula, im vom ausbleibenden Regen besonders betroffenen »Trockenen Sektor« im Osten des Landes, schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Diese würde das Volk belügen und die Hungersnot abstreiten. »Der Präsident und die First Lady leugnen diese Fälle: Wir wissen doch alle, daß es in unserem Land viele chronisch unterernährte Kinder gibt«, so der zynische Tadel.

Doch hinderte die falsche Anteilnahme seine Partei am Mittwoch nicht, den für den Ausnahmezustand nötigen Kongreßbeschluß zu blockieren. Seine Parlamentarier boykottierten die Sitzung, so daß das notwendige Quorum verfehlt wurde. Das präsidiale Dekret trat bis heute nicht in Kraft. Regierungssprecher Ronaldo Robles verurteilte die Scheinheiligkeit der Oppositionspolitiker als »lächerlich und absurd«. Diese wollten die »Informationen manipulieren und die Bürger betrügen. Das Wichtigste ist doch, daß die Guatemalteken nun gemeinsam handeln«. Der Nationalkongreß tritt nun am heutigen Freitag erneut zusammen. Ausgang ungewiß.

Guatemala versinkt derweil in der Misere. Laut des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen leiden über die Hälfte der guatemaltekischen Kinder bis zwölf Jahren an Unterernährung. Im »Trockenen Sektor«, wo in den vergangenen drei Monaten 85 Prozent weniger Niederschlag als normal gemessen wurden, sind über 90 Prozent der Ernte von etwa 120000 Familien vertrocknet. Das Risiko, an Hunger zu sterben, ist sehr hoch. Bisher fielen fast 500 Menschen der Dürre zum Opfer, darunter 25 Kinder.

»Das ist kein neues Phänomen«, analysiert der UN-Beauftragte für Humanitäre Angelegenheiten John Holmes. »Die Kindersterblichkeit aber ist dieses Jahr ungewöhnlich hoch«. Die Lage wird verschärft durch den Bedarf der reichen Staaten des Nordens an billigem Agrodiesel für Autos und Maschinen. Guatemala ist in den vergangenen Jahren zu einem der größten Exporteure des Kontinents von »Energiepflanzen« wie Ölpalmen und Zuckerrohr aufgestiegen. Und so hängt die Bevölkerung am Tropf fremder Hilfe. Die UN will ihre in jüngster Zeit eingeschränkten Lebensmittelhilfen wieder aufstocken, auch die EU versprach Gelder. Am Mittwoch kündigten Mexiko, Venezuela und Brasilien die schnelle Lieferung von Nahrungsmitteln an.

* Aus: junge Welt, 18. September 2009


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