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Die Verbrechen wurden nie infrage gestellt

Menschenrechtsanwalt Michael Mörth über den neuen Prozess gegen Guatemalas Ex-Diktator Efrain Ríos Montt *


Der Prozess gegen den früheren guatemaltekischen Machthaber Efraín Ríos Montt wird erst Anfang 2015 neu aufgerollt. Ríos Montt war im Mai wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 80 Jahren Haft verurteilt worden. Wegen Verfahrensfehlern hob das Verfassungsgericht das Urteil wieder auf. Über die neue Lage sprach mit Michael Mörth, Menschenrechtsanwalt in Guatemala, 61 Jahre alt und Nebenkläger im Prozess gegen Efraín Ríos Montt, für »nd« Knut Henkel.


Nach langen Monaten des Wartens hat die guatemaltekische Justiz nun angekündigt, dass im Januar 2015 der Prozess gegen den Ex-Diktator Efraín Ríos Montt neu aufgerollt werden soll. Welche Bedeutung hat diese Ankündigung?

Schwer zu sagen, denn wir werden erst 2015 wissen, ob es zu einem neuerlichen Prozess kommen wird. Letztlich ist auch schwer zu sagen, ob die Ankündigung des neuen Verfahrens etwas mit unserer Anzeige beim Interamerikanischen Gerichtshof gegen das Urteil des guatemaltekischen Verfassungsgerichts zu tun hat.

Die haben sie Anfang November übergeben, richtig?

Ja – und deshalb kann es jetzt natürlich auch zu Gegenreaktionen kommen. Ob die Verkündung des neuen Termins dazu gehört, kann ich nicht sagen. Aber natürlich lässt sich gegenüber der Organisation Amerikanischer Staaten und ihrer Interamerikanischen Menschenrechtskommission besser argumentieren, wenn es bereits einen Gerichtstermin gibt. Das Justizsystem funktioniert doch, heißt es dann. Unsere Anzeige richtet sich schließlich gegen die drohende Straflosigkeit.

Was werfen Sie den Verfassungsrichtern vor, die im Mai letzten Jahres das Urteil des Dritten Senats gegen den Ex-Diktator Efraín Ríos Montt kassierten?

Wir können belegen, dass das Verfassungsgericht gelogen hat, um das Urteil zu annullieren. Das können wir anhand der Gerichtsunterlagen nachweisen.

Deshalb haben Sie nun die Interamerikanische Rechtsprechung angerufen?

Genau. Wir gehen von der Annullierung des Urteils durch den Interamerikanischen Gerichtshof aus. Aber das muss sich erst zeigen. Grundsätzlich steht der Prozess gegen Efráin Ríos Montt für einen Bruch mit der Vergangenheit. Bis dahin war es immer so, dass Recht im Kontext der Interessen der mächtigen Eliten gesprochen wurde. Das war diesmal nicht der Fall. Sonst wäre der Ex-Diktator nicht zu 80 Jahren Haft wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. Das ist ein historisches Urteil und die Verbrechen wurden nie von der Verteidigung infrage gestellt.

Allerdings laufen in Guatemala derzeit die Vorbereitungen für die Neubesetzung nahezu aller wichtigen Richterposten im Land – ein Problem in der derzeitigen Situation?

Zweifellos. In Guatemala werden die Richter der höchsten Gerichte neu ernannt beziehungsweise gewählt. Das wird hier in einem korporativen Verfahren gemacht, in dem die Universitäten großen Einfluss haben. Das findet im nächsten Jahr statt. Es werden alle hohen Gerichte mit derzeit, glaube ich, 84 Richtern sowie der Oberste Gerichtshof mit derzeit 13 Richtern und 13 Ersatzrichtern neu besetzt.

Hinzu kommt die Neubesetzung der Generalstaatsanwaltschaft. Das System lässt viele Spielräume und Ansatzpunkte für Einflussnahme. Das ist das Grundproblem. Wir haben Informationen, dass sich Wirtschaft und konservative Parteien auf ihre Kandidaten verständigen.

Es droht also ein Rollback, sprich zentrale Figuren wie die Generalstaatsanwältin und der Präsident der Strafkammer des Obersten Gerichts haben keine Chance auf eine weitere Amtszeit?

Nein und das ist ein Dilemma. Denn die Erfolge, die wir in der Vergangenheit erreichten, haben wir der progressiven Besetzung einiger Schlüsselpositionen zu verdanken. Das waren eben die Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz und der Präsident der Strafkammer des Obersten Gerichts César Barrientos. Beide haben mit neuen Initiativen wie der Einführung spezieller Gerichtshöfe für Kapitalverbrechen, den »Juzgados de Mayor Riesgo«, für neue Instrumente im Justizsystem gesorgt. Dort sind hervorragende Richter und Richterinnen tätig. Ein Beispiel sind jene, die den Prozess gegen Efraín Ríos Montt leiteten und dem Druck standhielten.

Im Januar 2015 werden also andere Richter urteilen?

Ja, wenn es wirklich zu einer Revision im Ríos Montt-Verfahren kommen sollte, dann werden andere Richter und Staatsanwälte urteilen. Derzeit sind die Perspektiven alles andere als rosig.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 21. November 2013


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