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Völkermord in Guatemala: Urteil gegen Montt aufgehoben

Verfassungsgericht verweist auf angebliche Verfahrensfehler / Ex-Diktator im Krankenhaus *

Das guatemaltekische Verfassungsgericht hat das Urteil gegen den früheren Machthaber Efraín Ríos Montt am Montagabend (Ortszeit) aufgehoben und einen neuen Prozess angeordnet. Während der mündlichen Verhandlung seien der Strafkammer Verfahrensfehler unterlaufen, zitierte die Zeitung „El Periódico“ aus der Begründung. So seien die Rechte der Verteidigung beschnitten worden.

Ríos Montt war am 10. Mai wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 80 Jahren Haft verurteilt worden. Während seiner Herrschaft von März 1982 bis August 1983 soll er für Mord, Folter und die Zwangsumsiedlung tausender Indios verantwortlich gewesen sein.

Menschenrechtsaktivisten hatten das Urteil gegen Ríos Montt als historisch gefeiert. Nie zuvor wurde ein de facto Ex-Staatschef von einem einheimischen Gericht wegen Völkermordes verurteilt.

Die Anwälte von Ríos Montt hatten allerdings bereits während des Verfahrens eine ganze Reihe von Beschwerden eingelegt. Unter anderem monierten sie, dass nicht alle Entlastungszeugen gehört worden seien. Direkt nach dem Urteil legten sie Berufung ein. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts muss nun die mündliche Verhandlung wiederholt werden. Der 86-jährige Ríos Montt wird wegen Bluthochdrucks und Problemen mit der Prostata seit rund einer Woche in einem Militärkrankenhaus behandelt.

* neues deutschland, Dienstag, 21. Mai 2013


Diktator lacht wieder

Guatemala: Verfassungsgericht hebt Verurteilung von früherem Machthaber Ríos Montt auf. Verfahren muß neu aufgerollt werden

Von Santiago Baez **


Entsetzen bei den Opfern von Krieg und Militärherrschaft in Guatemala. Das Verfassungsgericht des zentralamerikanischen Landes hat am Montag (Ortszeit) das Urteil gegen den früheren Diktator Efraín Ríos Montt aufgehoben. Dieser war am 10. Mai von der Vorinstanz zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Richter hatten ihn für schuldig befunden, für die Ermordung von 1771 Ixil-Indígenas durch die Armee verantwortlich gewesen zu sein.

Der heute 86jährige hatte Guatemala nach einem Putsch 1982 und 1983 beherrscht, der blutigsten Zeit des Krieges zwischen dem Regime und der Guerilla. Eine nach Ende der Militärdiktatur in den 90er Jahren mit Unterstützung der Vereinten Nationen eingerichtete Wahrheitskommission beschuldigte Ríos Montt, der nach 17 Monaten Amtszeit von seinem damaligen Verteidigungsminister Óscar Humberto Mejía Victores gestürzt worden war, für durchschnittlich 800 Morde im Monat verantwortlich gewesen zu sein. Insgesamt wird die Zahl der während der Diktatur und des Krieges getöteten Menschen auf 250000 geschätzt, die große Mehrheit von ihnen Indígenas und andere Zivilisten. Die UNO stellte fest, daß 93 Prozent der Verbrechen von den regulären Streitkräften und paramilitärischen Todesschwadronen begangen wurden.

Drei der fünf Verfassungsrichter kamen nun zu dem Schluß, daß Ríos Montt vor seiner Verurteilung nicht angemessen verteidigt worden sei. Kurz nach Eröffnung der Verhandlung war sein Verteidiger nämlich am 19. April kurzzeitig von dem Verfahren ausgeschlossen worden.

Für den früheren Herrscher ändert sich zunächst wenig. Er bleibt wie bisher in Untersuchungshaft, während die Justizbehörden entscheiden müssen, ob sie das Verfahren an die Vorinstanz zurückverweisen oder ein neues Gericht benennen. Sicher scheint zu sein, daß alle nach dem 19. April aufgenommenen Zeugenaussagen und Beweise noch einmal eingebracht werden müssen. Unklar ist hingegen, wie mit den Angaben von fast 100 Ixil-Indígenas umgegangen wird, die schon vor diesem Datum gehört worden waren.

Opfer der Diktatur und Angehörige der Ermordeten hatten schon vor dem jetzigen Urteil den massiven Druck kritisiert, der auf die Richter ausgeübt worden sei. So hatte Guatemalas Unternehmerverband die 80jährige Haftstrafe für den früheren Diktator scharf kritisiert und deren Aufhebung gefordert. Politiker der guatemaltekischen Rechtsparteien warfen den Klägern, unter ihnen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, eine »Verletzung des Friedensabkommens« von 1996 vor, mit dem die Regierung und die URNG-Guerilla den 36jährigen Krieg beendet hatten. Auch der amtierende Staatschef Otto Pérez Molina, der während der Diktatur den Militärgeheimdienst geleitet hatte, bestritt, daß es in Guatemala einen »Genozid« gegeben habe, wie dies in dem Schuldspruch der Vorinstanz festgestellt worden war.

Dieser hatte in Guatemala, wo die Verbrechen der Diktatur und des Bürgerkrieges bislang praktisch straffrei geblieben waren, für Hoffnung auf späte Gerechtigkeit gesorgt. Nach der Verkündung der 80jährigen Haftstrafe für Ríos Montt hatten dessen Opfer ausgerufen: »Ja, es gab einen Genozid« und ein Lied des guatemaltekischen Dichters Otto René ­Castillo angestimmt: »Wir wollen hier nur Menschen sein: Essen, Lachen, uns verlieben, das Leben leben und nicht sterben...« Gegenüber dem spanischen Onlinemagazin »eldiario.es« hatte Sandino Asturias vom Studienzentrum Guatemalas noch vor wenigen Tagen betont, daß ein Ende der Straffreiheit für die Gewalttaten der Diktatur notwendig sei, um auch für Verbrechen der Gegenwart eine Bestrafung durchsetzen zu können.

Guatemalas Menschenrechtsorganisationen rufen nun dazu auf, den Druck auf die Behörden zu erhöhen, um doch noch eine Bestrafung von Ríos Montt durchzusetzen. »Der Diktator lacht wieder über seine Opfer«, beklagte ein Aktivist am Montag abend im Internet, während ein anderer die internationale Öffentlichkeit aufrief, nun nicht wieder den Blick von seinem Land abzuwenden.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. Mai 2013


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