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"Regierung ist leider nicht an das Ergebnis gebunden"

Informelles Referendum in Thessaloniki: 98 Prozent gegen Privatisierung der Wasserbetriebe. Gespräch mit Claus Kittsteiner *


Claus Kittsteiner ist ATTAC-Mitglied und war Delegierter der »Bürgerinitiative Berliner Wassertisch« (berliner-wassertisch.net) für das Referendum in Griechenland.


Am vergangenen Sonntag waren Sie Wahlbeobachter bei einem Referendum in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki. Worum ging es?

In Griechenland soll aufgrund der Troika-Vorgaben alles verscherbelt werden, was sich verkaufen läßt. Dazu gehören auch die kommunalen Wasserbetriebe in der Hauptstadt Athen sowie in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes. Dort wurde der kommunale Betrieb »Eyath« 1997 in eine GmbH umgewandelt. 1999 wurden 5,4 Prozent der Anteile an den französischen Suez-Konzern verkauft, weitere 21 Prozent wurden privater Streubesitz.

Die Troika will nun, daß 51 Prozent von »Eyath« an einen privaten Käufer gehen, der auch die Verwaltung übernehmen soll. Dabei sind die Betriebe gewinnbringend, der Nettogewinn betrug 2013 18 Millionen Euro. Verkauft werden sollte für 110 Millionen Euro, doch Suez hat den Preis angeblich auf 80 Millionen heruntergehandelt. Bei unserem informellen Referendum haben dann 213508 Bürger – 98 Prozent der Abstimmenden – gegen diesen Ausverkauf gestimmt.

Also wird nicht weiter privatisiert?

Das ist die Frage, die Regierung ist nämlich juristisch leider nicht an das Ergebnis gebunden. Moralisch natürlich schon, immerhin stehen Wahlen bevor. Niemand weiß, wie es weitergeht. Die Troika wird aber bestimmt alles tun, um ihren Privatisierungsplan durchzuziehen.

Es gibt aber Hoffnung: Denn zum ersten Mal wurde jetzt in Griechenland ein so großer Teil der Bevölkerung mobilisiert. Das wird landesweit ansteckend sein – und davor fürchtet sich die Regierung.

Hat sie sich eigentlich gegen die Zumutungen der Troika gewehrt?

Die konservative Regierung von Antonis Samaras behauptet, sie sei »gezwungen«, alle wertvollen Unternehmen unter Preis zu verkaufen. Sie hat sich aber nicht einmal dagegen gewehrt und macht sich sogar von sich aus für Privatisierungen stark – im Gegensatz zu den elf Gemeindebürgermeistern Thessalonikis. Sie haben sich deshalb zusammengeschlossen und mit anderen Gruppierungen besagtes Referendum auf den Weg gebracht.

Wie ist die Regierung damit umgegangen?

Sie hat zunächst abgewartet, was in Thessaloniki passiert. Nachdem sich aber rund 1500 Freiwillige in die Wahlhelferlisten eingetragen hatten, wurde das Referendum per Fax an die Bürgermeister verboten. U.a. hieß es darin, die Verwendung der amtlichen Wählerlisten werde mit Verhaftungen und Gefängnisstrafen geahndet.

Wie wird Ihrer Meinung nach der Suez-Konzern als Anteilseigner auf das Referendum reagieren?

Diane d’Aras, eine Sprecherin des Konzerns, sagte nach dem Referendum, es gehe doch gar nicht um Privatisierung, sondern um eine Partnerschaft zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Die Privatisierung habe bisher nirgends zu höheren Wasserpreisen geführt – was bekanntlich falsch ist. Es gibt ungezählte Gegenbeispiele, in Portugal etwa stieg der Preis in manchen Städten um 400 Prozent!

Suez will jedenfalls im Geschäft bleiben: Die 5,4 Prozent Anteile an »Eyath« waren wohl nur der Einstieg, um bei weiteren Privatisierungen schneller am Ball sein und Bedingungen stellen zu können. Die bisherigen Erfahrungen mit der Privatisierung von Wasserbetrieben zeigen, daß an Investitionen gespart und die Wasserqualität schlechter wird – der Preis steigt aber. In London z.B. wurden die Wasserrohre nicht mehr erneuert, weil die mitunter bis zu 100 Jahre halten. Warum also schon vorher sanieren? Das gäbe doch nur Ärger mit den Aktionären ...

Die Rendite wird auch mit Hilfe von Entlassungen aufgebessert – früher hatte »Eyath« 640 Beschäftigte, heute sind es noch 240. Auch nach der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe im Jahre 1999 gab es Entlassungen.

Interview: Ben Mendelson

* Aus: junge Welt, Samstag, 24. Mai 2014


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