Eine endliche Geschichte
Miniaufschub für Athen bei Rückzahlung an Internationalen Währungsfonds. Eine Lösung der Krise ist nicht in Sicht, ein Ende schon
Von Rainer Rupp *
Am Mittwoch abend kamen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der niederländische Finanzminister und Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem mit Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras zusammen. Das als »privat« deklarierte Treffen in Brüssel wurde nach außen hin als »allerletzte Chance« verkauft, Hellas vor der seit Jahren drohenden Staatspleite zu bewahren. Es hat offenbar wenig gebracht, die Konkursverschleppung geht weiter.
Trotz netter Floskeln wurde am Donnerstag klar, dass man sich in der Sache keinen Schritt näher gekommen war. Einem bereits für Freitag erneut drohenden »Default« (Zahlungsausfall) – Athen musste 300 Millionen Euro an den IWF überweisen – umging man »elegant« dadurch, dass das Problem vertagt wurde. Der Washingtoner Fonds erklärte sich einverstanden, dass die Griechen ihre im Juni fälligen Rückzahlungen von insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro erst am Monatsende im Block leisten dürfen. Das ist zwar ein Miniaufschub, aber es gelang den Beteiligten mit diesem Trick, eine Auseinandersetzung zur Schuldenkrise beim G-7-Gipfel am Sonntag und Montag in Bayern zu vermeiden.
Vor dem, was dann kommen könnte, hatte der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bereits am Dienstag gewarnt. Ein »Grexit«, wie das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Verbund genannt wird, könnte ungeheure Folgekosten nach sich ziehen. Damit hat er zweifellos recht. Im Fall eines Staatsbankrotts werden jene Bürgschaften fällig, die auch Deutschland für die »Hilfen« geleistet hat. Von den Geldern haben die Griechen so gut wie nichts bekommen. Sie waren fast ausschließlich dazu benutzt worden, um die privaten Banken zu retten, die sich beim Geschäft mit hellenischen Staatspapieren verspekuliert hatten.
Im Falle einer Pleite würden die Bürgschaften fällig. Die deutsche Staatsschuld würde sich quasi über Nacht um 60 bis 80 Milliarden Euro erhöhen – ein Ergebnis des Handelns überforderter Parlamentarier und skrupellose Regierungen, die freihändig mit Milliardensummen operieren und sich um die Folgen nicht scheren müssen. Bisher sind die Kosten dieser Politik fast ausschließlich der griechischen Bevölkerung aufgebürdet worden. Ausgeblutet durch die »Sparpolitik« der zurückliegenden Jahre, ist die Belastungsgrenze jetzt offenbar überschritten. Im Südosten der EU droht womöglich ein weiterer »failed State«. Die Geschichte der Griechenland-Krise ist gefühlt unendlich. Jetzt können oder wollen die Menschen dort nicht mehr zahlen. In der Folge sind auch schwere innenpolitische Verwerfungen in den »Geberländern« zu erwarten. Und selbstverständlich werden alle verantwortlichen Politiker beteuern, dass sie stets nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hätten. Dem stark angeschlagenen Euro und dem von Großmannssucht geprägten imperialen Projekt eines Konsumentengefängnisses Konzerneuropa dürfte das den Rest an Glaubwürdigkeit nehmen. Vielleicht hat Gabriel bei seiner Warnung gerade daran gedacht?
Wie weiter? Von Zahlungstermin zu Zahlungstermin werden die Fragezeichen immer größer. Selbst die vergleichsweise kleine Summe von 300 Millionen Euro scheint die Kasse Griechenlands derzeit zu überfordern. Berichten zufolge waren zuletzt die griechischen Botschaften rund um die Welt angewiesen worden, ihre Finanzreserven nach Hause zu schicken. Die »Institutionen« (vorher »Troika« genannt, weil aus EU, Europäischer Zentralbank und IWF zusammengesetzt) blockierten weiter die Auszahlung einer letzten Tranche aus dem 2012 eingerichteten »Hilfsfonds« in Höhe von 7,2 Milliarden Euro. Die Regierung Tsipras hat sich bis jetzt standhaft geweigert, die geforderten Ausgabenkürzungen als »Reform« zu akzeptieren. Zum Ärger Berlins und Brüssels vertritt Athen die Position, dass Griechenland nicht in der Lage ist, jemals die gesamten Schulden zurückzuzahlen. Gefordert wird ein radikaler Schuldenschnitt. Den aber lehnen die Gläubigerstaaten strikt ab. Nicht nur, weil andere überschuldete Länder wie Portugal oder Irland zur Nachahmung verleitet würden, sondern auch weil – ähnlich wie bei einem Staatsbankrott – ein solcher Schritt eine Abschreibung eines großen Teils ihrer Forderungen bedeuten würde, mit den bereits oben genannten politischen Folgen in den »Geberländern«.
Überraschend gab es jetzt Hilfestellung vom IWF. Nicht von dessen politischer Spitze, sondern vom Stab. Eine aktuelle Forschungsarbeit des Fonds kam zu dem Schluss, dass es besser sei, bei niedrigen Zinsen mit hohen Verbindlichkeiten zu leben, statt sie zurückzuzahlen. »Wer seine Wirtschaftsstruktur verzerrt, nur um bewusst seine Schulden abzubauen, vergrößert letztlich die Schuldenlast«, heißt es in dem internen Forschungsbericht.
* Aus: junge Welt, Samstag, 6. Juni 2015
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