Deutsche Schulden in Athen
Griechenland legt Zahlen über ausstehende Entschädigungen vor
Von Heike Schrader, Athen *
Auf 278,7 Milliarden Euro beziffert der griechische Rechnungshof ausstehende Entschädigungszahlungen Deutschlands für die in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs begangenen Nazi-Verbrechen. Ein sechsköpfiges Team hatte über Monate unter anderem mehr als 50.000 teilweise von den Deutschen selbst verfasste Dokumente über die Zeit der Besatzung in Griechenland ausgewertet.
Das Ergebnis hatte der stellvertretende Finanzminister Dimitris Mardas am Wochenende bei der Eröffnung der neugegründeten Expertenkommission zur Untersuchung der »Wahrheit über die öffentlichen Schulden« vorgestellt. Anschließend soll sie klären, inwieweit es bei der Entstehung der mehr als 320 Milliarden Euro staatlicher Außenstände an ausländische Gläubiger überall mit rechten Dingen zugegangen ist.
Bei den knapp 279 Milliarden deutscher Kriegsschulden dagegen handelt es sich zum größten Teil um Entschädigungszahlungen für die Opfer der von den Nazis verübten Massaker. Die Berechnung berücksichtigt auch die durch die Ausplünderung des Landes verschuldete Hungersnot, der Hunderttausende Griechen zum Opfer gefallen waren.
Ein kleiner Teil von 10,3 Milliarden Euro betrifft ein dem damaligen griechischen Staat aufgezwungenes Darlehen, das bis heute nicht zurückgezahlt wurde. Hinzu kommt Schadensersatz für die von den Besatzern weitgehend zerstörte Infrastruktur des Landes. Eine Aufzeichnung der dem Land geraubten Kulturgüter und Kunstschätze war vom griechischen Kulturministerium zur Verfügung gestellt worden.
Der Rechnungshof habe »hervorragende Arbeit geleistet« und die Erkenntnisse würden nun jeder »zuständigen Institution« zur Verfügung gestellt werden, erklärte Mardas bei der Vorstellung des Ergebnisses. Gleichzeitig erinnerte der stellvertretende Finanzminister daran, dass die Höhe der Reparationen für Griechenland auf der Pariser Konferenz von 1946 auf 341,2 Milliarden US-Dollar festgelegt worden war.
In der Vergangenheit hat der deutsche Staat jeden Vorstoß für eine Entschädigung Griechenlands abgeblockt. Während die Linkspartei s
eit Jahren auf die Begleichung der Schulden drängt, sprachen sich erst unlängst auch Politiker der Grünen und der SPD für eine Wiedergutmachung für die Opfer aus.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. April 2015
Historische Amnesie
Griechische Reparationsansprüche
Von Bernd Riexinger **
Die griechische Linksregierung steht mit dem Rücken zur Wand. Mit medialen Hetzkampagnen wurde ein völlig einseitiges Bild von Griechenland in die Köpfe der Deutschen gestanzt. Die Kettenhunde des neoliberalen Mainstreams fletschen die Zähne und beißen alles weg, was ihren Dogmen von Privatisierung und Liberalisierung in die Quere kommen könnte. Wen interessiert da, dass Deutschland seine Schulden noch immer nicht beglichen hat? Der Streit über die Reparationszahlungen an Griechenland schwelt seit Jahrzehnten. Die Linksregierung will die Bundesregierung nun aus ihrer historischen Amnesie erwecken. Denn, so formulierte es Alexis Tsipras in seiner Rede vor dem griechischen Parlament, »wir sind es unserer Geschichte schuldig, wir sind es Europa und seinen Völkern schuldig, die ein Recht auf Erinnerung haben«. Ist die Forderung nach Rückzahlung der Zwangsanleihe, die Nazideutschland 1942 der Bank von Griechenland abgepresst hat, erledigt? Nein. Es wurde nichts gezahlt. 70 Jahre nach Kriegsende brennen in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte, marschieren jeden Montag Tausende gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes. 70 Jahre nach Kriegsende sitzen mit der AfD Politiker in deutschen Parlamenten, die ungestraft rassistischen Mist von sich geben dürfen. 70 Jahre nach Kriegsende erleben wir, wie scheinheilig Justiz und Behörden im NSU-Prozess mit Rechtsextremen umgehen. Die Bundesregierung muss ihr selektives Geschichtsbewusstsein aufgeben. Die Begleichung der Schulden wäre zugleich eine Warnung an heutige Kriegstreiber, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht mit inoffiziell gemurmelten Entschuldigungen abgetan werden können, sondern der Schädiger – so mächtig er inzwischen sein mag – auch finanziell für das angerichtete Unrecht gerade stehen muss, und das auch noch nach 70 Jahren. Es geht nicht um: Deutsche gegen Griechen. Es geht um Gerechtigkeit gegenüber allen Völkern Europas, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft, ihr Blut gelassen und ihn schließlich besiegt haben. Die griechische Regierung führt einen Kampf gegen das neoliberale System, welches als Alptraum in Europa herrscht. Auch hier geht es nicht um Deutsche gegen Griechen. Es geht um einen Kampf zwischen den sozialen Interessen in ganz Europa und einer neoliberalen Elite, die Politik im Interesse des einen Prozents der Superreichen macht. Aber: einen Kurswechsel kann Syriza nicht allein erkämpfen. Die Sozialdemokratie hingegen sieht wohlgenährt und träge dabei zu, wie in ganz Europa soziale Errungenschaften und Rechte abgebaut werden. Es ist die Aufgabe von Die Linke, weiter Druck zu machen gegen die erpresserische Austeritätspolitik. Solidarität mit der griechischen Bevölkerung heißt, der neoliberalen Politik der Bundesregierung entschlossen Paroli zu bieten!
Bernd Riexinger ist neben Katja Kipping Bundesvorsitzender der Linkspartei.
** Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. April 2015
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