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Athen legt 26-seitige Reformliste vor

Athen: Werden pünktlich an IWF zurückzahlen / DGB-Chef Hoffmann bei Premier Tsipras: Kritik an "blankem Populismus" in Deutschland / Aprilscherz mit Varoufakis: "Es reicht, wir stellen auf Bitcoin um" *

Update 7.45 Uhr: Während aus Brüssel immer noch kolportiert wird, es gebe bisher keine umfassende Liste mit Reformmaßnahmen aus Athen, liegt offenbar ein 26-seitiges Papier der SYRIZA-geführten Regierung mit Maßnahmen vor. Zuvor hatte etwa die Deutsche Presse-Agentur noch berichtet, in EU-Kreisen werde bemängelt, dass nur einzelne Reformschritte diskutiert würden, ohne dass es bisher ein Paket gebe. Derweil weiß die »Financial Times« über eine umfassende Liste mit Reformen zu berichten, die am Mittwoch in Brüssel eingereicht worden sei.

Darin sind Maßnahmen aufgeführt, die zu Mehreinnahmen in Griechenland in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro noch in diesem Jahr führen könnten. Die Liste enthalte unter anderem Pläne gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Das Dokument enthalte »die erste vollständige Übersicht über alle Reformen und gesetzgeberischen Maßnahmen, die von der griechischen Regierung unternommen werden«, um die Vereinbarung vom 20. Februar mit der Eurogruppe zur Verlängerung des Kreditprogramms umzusetzen, heißt es darin unter anderem.

Mit Blick auf die umstrittene Frage von Privatisierungen heißt es in der Liste, man werde alle abgeschlossenen Verkäufe respektieren und die bereits laufenden Verfahren zu Ende bringen. Was neue Privatisierungen angeht, werde die Regierung »alle rechtlichen mittel« nutzen, um staatliche Beteiligungen zu erhalten, Mindestinvestitionen und einen Mindestschutz für die Beschäftigten zu vereinbaren. Ziel sei nicht bloß die einmalige Einnahme von Geld, sondern ein langfristiger Nutzen für das Gemeinwesen. Die Regierung werde deshalb jeden Einzelfall prüfen.

Für 2015 wird in der Liste mit Einnahmen aus Verkäufen und Verpachtungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro gerechnet; ursprünglich hatten die Gläubiger der Regierung in Athen das Ziel aufgeladen, bis 2016 50 Milliarden Euro einzunehmen - allerdings waren die bisher erreichten Summen viel niedriger. Die SYRIZA-geführte Regierung stoppte zunächst auch einige Privatisierungsvorhaben. Innerhalb der Linkspartei gibt es Stimmen, die weiterhin auf den völligen Verzicht der Veräußerung öffentlichen Eigentums pochen.

Die Liste werde den europäischen Partnern als Schritt zum vorgesehenen Abschluss des laufenden Programms präsentiert. Im Laufe des Monats April werde die griechische Regierung weitere Einzelheiten zu den vorgestellten Projekten zur Konsolidierung des Haushalts, zur Stärkung der Wirtschaft und zu den sozialen Reformen vorlegen. Neben zahlreichen steuerlichen Maßnahmen, worunter etwa auch die Erhöhung der Einnahmen aus der Luxussteuer zählen, will die griechische Regierung zum Beispiel die Einnahmen erhöhen, die aus den Kulturschätzen des Landes erzielt werden. Dabei werde man die Tatsache voll respektieren, dass es sich um öffentliche Güter handelt. Aber derzeit seien die Einnahmen aus Museen und archäologischen Fundstätten zu gering. Auch das Online-Spielen soll besser reguliert werden. Es geht hier wie in vielen anderen konkreten Punkten um vergleichsweise geringe Beträge - deren Summe aber entscheidend sei.

Auf der Reformliste stehen auch Schritte zur Erneuerung des Arbeitsmarktes und bereits bekannte Maßnahmen zur Bekämpfung der humanitären Krise in Griechenland - etwa die Ausgabe von Essenmarken, die Zuweisung von Stromkontingenten und Hilfen für die ärmsten Haushalte.

Die SAYRIZA-geführte Regierung legt nach ihren Worten mit dem Papier »eine umfassende Liste von Steuer-, Verwaltungs- und politische Reformen vor, die im Einklang mit den Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern und der griechischen Bevölkerung« stünden. Athen fordert auf der Basis dieser Reformliste »einen zügigen und erfolgreichen Abschluss der Prüfung« durch die Vertreter der Gläubiger - »so dass die kurzfristigen Finanzierungsprobleme gelöst und die aktuell lähmenden wirtschaftlichen und finanziellen Unsicherheiten beendet werden können«. Dies, heißt es in dem Papier mit Blick auf die anstehenden Rückzahlungsverpflichtungen und den finanziellen Handlungsspielraum der Regierung in Athen, sei »eine dringende und notwendige Voraussetzung für den Erfolg der Wirtschafts- und Reformprogramms«.

Die Reaktion in deutschen Medien auf die Liste vom Mittwoch war mehrheitlich negativ. »Die Maßnahmen gleichen großteils denen, die bereits auf der ersten Reformliste von vergangenem Freitag standen und auf wenig Begeisterung stießen«, heißt es bei der Polit-Illustrierten »Spiegel«. In Brüssel misstraue »man ohnehin den Zahlen, die die Regierung als geplante Einnahmen ihrer Reformmaßnahmen erhofft, manche der Vorschläge seien zudem völlig unkonkret«.

Athen: Werden pünktlich an IWF zurückzahlen

Berlin. Griechenland will seine Verpflichtungen gegenüber dem Internationalen Währungsfonds fristgerecht am 9. April erfüllen. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen des Athener Finanzministeriums am Mittwoch. »Das Geld ist da. Wir werden rechtzeitig zahlen«, sagte ein Mitarbeiter des stellvertretenden Finanzministers Dimitris Mardas am Telefon. Es geht um eine Summe in Höhe von knapp 456 Millionen Euro.

Am Mittwoch hatte der griechische Innenminister Nikos Voutzis angekündigt, dass die SYRIZA-geführte Regierung in Athen womöglich eine Verschiebung für eine im April fällige Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragen werde, falls bis dahin nicht die ausstehende Zahlung aus dem laufenden Kreditprogramm erfolgt. In deutschen Medien hieß es daraufhin, »Athen droht mit Zahlungsstopp« - tatsächlich unterstrich die Regierung lediglich andere Prioritäten: »Wenn bis 9. April kein Geld fließt, werden wir zuerst die Gehälter, Renten und Pensionen hier in Griechenland zahlen und bitten dann unsere Partner im Ausland um Einvernehmen und Verständnis, dass wir die 450 Millionen Euro an den IWF nicht pünktlich zahlen werden«, wurde Voutzis laut einer Vorabmeldung des »Spiegel« zitiert. Eine mögliche Verschiebung der 450 Millionen Euro umfassenden Zahlung an den IWF solle »im Einverständnis geschehen, damit kein Zahlungsausfall eintritt.«

Bisher hat die SYRIZA-geführte Regierung alle Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern pünktlich und umfassend erfüllt. Ein Blick in die vergangenen Wochen: Am 20. März flossen 348,5 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds zurück. Zuvor waren allein im März in zwei Tranchen insgesamt rund 650 Millionen Euro an den IWF zurückgezahlt worden. Zur Bedienung der eigenen Schulden habe man keine neuen Kredite aufgenommen, sondern finanziere diese derzeit ausschließlich aus kurzfristigen Anleihen beziehungsweise aus den Reserven der öffentlichen Institutionen und der Sozialkassen, heißt es in Athen.

Nach früheren Medienberichten soll Griechenlands Regierung nur noch bis 8. April ausreichend liquide sein. Vom 9. April an werde die Finanzsituation des Landes in der EU-Kommission wegen der anstehenden Zahlung an den IWF als »kritisch« eingestuft. Der griechische Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis sagte nun griechischen Medien: »Auf gar keinen Fall wird Griechenland seine Verpflichtungen gegenüber dem IWF am 9. April nicht erfüllen.«

Den Vertretern der Gläubiger fehle aber weiter Gewissheit, ob Griechenland in der kommenden Woche die IWF-Rückzahlung stemmen kann, hieß es bei der Deutschen Presse-Agentur. Die Staatssekretäre der Finanzministerien der 19 Euroländer schnitten zwar am Mittwoch bei ihrer Telefonkonferenz die Liquiditätslage an, gingen dabei aber nicht ins Detail, hieß es zuverlässig in Brüssel. Es gebe immer noch keine umfassende Reformliste aus Athen, sei zudem in EU-Kreisen bemängelt worden.

Derweil hat der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, der deutschen Politik in der Griechenland-Frage zu mehr Zurückhaltung geraten: »Wir müssen in Deutschland endlich mit dem Populismus aufhören und verbal deutlich abrüsten«, sagte er der »Rheinischen Post«. Es sei doch beeindruckend, dass die Griechen trotz des Kürzungskurses der Vergangenheit immer noch zu 70 Prozent zur EU und zur Währungsunion stünden. Hoffmann kritisierte den Vorschlag von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), 500 deutsche Finanzbeamte nach Athen zu entsenden: »Minister Schäuble sollte sich solchen blanken Populismus sparen. Er hat ja nicht mal genügend Leute, um die Einhaltung des Mindestlohns hierzulande zu kontrollieren.«

Entwicklungschancen sieht der DGB-Chef für Griechenland vor allem im Energiesektor: »Derzeit wird der Strom auf vielen Inseln noch mit alten Dieselkraftwerken erzeugt. Wieso kann man in einem Land mit vielen regenerativen Energien nicht eine ordentliche Versorgung mit dezentralen Solar- und Windkraftanlagen hinbekommen?« Das wären Projekte, bei denen sich die Jugend einbringen könnte und die sich etwa genossenschaftlich organisieren ließen, so Hoffmann. »Griechenland könnte insgesamt unabhängig werden von Ölimporten - und von russischen Gaslieferungen.«

Hoffmann hatte sich Anfang der Woche in Athen mit Griechenlands Premier Alexis Tsipras getroffen. »Die griechische Regierung wird es nicht darauf ankommen lassen, dass die nächste Hilfstranche nicht bezahlt wird. Das hat der Premier mir eindeutig signalisiert«, sagte Hoffmann. Ein Grexit - also der Austritt aus der Eurozone - sei für Tsipras keine Perspektive.

Trotz der Krise bleiben auch in Griechenland Aprilscherze nicht aus. Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis wolle sein Land im Falle eines Scheiterns der Gespräche mit der Eurogruppe auf die virtuelle Währung Bitcoin umstellen - berichtete die Website Greek Reporter am Mittwoch. »Es reicht, wir stellen auf Bitcoin um«, habe Varoufakis demnach bei einem »geheimen Treffen« gesagt, bei dem die Griechen sich angeblich auf ein Scheitern der Verhandlungen mit ihren Gläubigern vorbereiteten. Bitcoins sind ein im Jahr 2009 eingeführtes digitales Zahlungsmittel, dessen Verfügbarkeit im Unterschied zu analogen Währungen nicht von einer Zentralbank gesteuert wird.

Bei dem Treffen soll der Finanzminister seinem »verblüfften« Publikum laut dem Bericht erklärt haben, die Griechen könnten sich mittels einer als »elektronisches Portemonnaie« dienenden Chipkarte der virtuellen Währung bedienen. So könnten zudem alle finanziellen Transaktionen im Land »in Echtzeit verfolgt« werden, freute sich Varoufakis laut Greek Reporter. Durch die neue Währung könne den Griechen zudem künftig niemand mehr sagen, »was sie tun oder wie sie leben sollen«, zitierte die Website den Minister.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. April 2015


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