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Elend statt Hafenromantik

Gewerkschaftsaktivisten in Piräus kämpfen gegen Liberalisierung und wachsende Verarmung

Von Hans-Gerd Öfinger, Piräus *

Ein Teil des Hafens im griechischen Piräus ist bereits seit Jahren privatisiert. Die schlechten Erfahrungen der Arbeiter führen heute zu verstärkten Protesten gegen eine weitere Liberalisierung.

An diesem milden Wintertag zeigt sich die Hafenstadt Piräus von ihrer sonnigen Seite. Bei frühlingshaften Temperaturen ziehen Menschen zum Yachthafen, der – von einer Bucht geschützt – mit einer Vielfalt von Fischrestaurants, Cafés und Tavernen lockt. In der Nähe wagen sich sportliche Griechen am Sandstrand in die milden Fluten des Mittelmeers, andere drehen im Freibad ihre Runden oder trimmen sich an den öffentlichen Fitnessgeräten auf der Uferpromenade. Häuser mit Meerblick und Fernsicht auf Inseln, Ozeanriesen und Fährschiffe gelten hier als exklusive Wohnlage. Kleinwagen süddeutscher Autobauer liegen im Trend, den Vertragswerkstätten für Nobelkarossen aus Stuttgart und München scheint die Arbeit nicht auszugehen. Auf den ersten Blick ist die Krise hier weit entfernt. »Hier ist niemand obdachlos«, meint ein rüstiger Senior, der vor Jahrzehnten nach New York ausgewandert war und jetzt die alte Heimat besucht.

Wenige hundert Meter von Küste und Hafenromantik entfernt zeigt sich in engen Gassen und tiefen Straßenschluchten eine ganz andere Realität. Menschen mit betrübten Gesichtern und kaputten Schuhen, Bettler und Straßenmusiker sind Ausdruck der Armut, die nach statistischen Angaben über ein Drittel aller Griechen erfasst hat und auch vor der Arbeiterstadt Piräus nicht Halt macht. Industriebrachen lassen ahnen, dass hier einst viele tausend Menschen in Lohn und Brot standen.

Piräus ist als historischer Hafen der Hauptstadt Athen groß geworden und weckt bei Schlagerfreunden Erinnerungen an den Evergreen »Ein Schiff wird kommen«. Die Ohrwurm-Melodie gehört auch heute noch zum Repertoire abendlicher Livemusik in den Tavernen. »Drum stehe ich Abend für Abend hier am Kai und warte auf die fremden Schiffe aus Hongkong, aus Djerba, aus Chile und Shanghai«, heißt es in der deutschen Fassung.

Anastasia Frantzeskaki ist in Piräus groß geworden und arbeitet seit 27 Jahren im Hafen. Die Gewerkschaftssekretärin für die Angestellten bei der Hafenbehörde steht auf dem Dach eines Verwaltungsgebäudes und hat die vielen »fremden Schiffe« aus Fernost fest im Blick, die gefüllt mit Containern, Massengütern und Autos rund um die Uhr einlaufen. Der Hafen Piräus ist nicht nur für Griechenland und benachbarte Balkanländer, sondern für die Warenströme zwischen Fernost und Europa ein zentraler Umschlagplatz.

Aus Hongkong und Shanghai sind hier jedoch nicht nur Waren importiert worden, sondern auch Managementmethoden der chinesischen Staatsreederei Cosco, die 2009 den profitablen Containerumschlag übernommen und seither zu einer gewerkschaftsfreien Zone mit »chinesischen Arbeitsbedingungen« umgewandelt hat. Jahrelang hatten sich die traditionsreichen Hafen-Gewerkschaften gegen diese Privatisierung eines Teilbereichs gewehrt, 2009 mussten sie eine Niederlage einstecken.

Zauberwort »Wettbewerb« für Lohn- und Sozialdumping

Anastasia und ihr Kollege Georgios Gogos, örtlicher Sekretär der Hafenarbeitergewerkschaft, wissen, dass ihnen in anderen Hafenbereichen ein ähnliches Schicksal blüht, wenn sie sich jetzt nicht wehren. Georgios wurde in das Hafenmilieu hineingeboren und ist stolz darauf, dass schon sein Vater ein Docker war. 2003 und 2006 wollte die Europäische Kommission mit dem »Port Package« und dem Zauberwort »Wettbewerb« und einer Richtlinie über den Marktzugang für Hafendienste die Tür für eine Prekarisierung, für Lohn- und Sozialdumping im Hafen öffnen. Dahinter steckte das Interesse der Reeder, die Umschlagstätigkeit in den Häfen durch ihre eigenen, meist schlecht bezahlten Seeleute durchführen zu lassen. Die Docker verstanden dies als Kampfansage. Europaweit legten die Hafenbeschäftigten mehrfach ihre Betriebe lahm. Dies zeigte Wirkung. Zweimal bremste das EU-Parlament die EU-Kommission aus. Anastasia und Georgios erinnern sich noch gut an jene Tage, als auch in Piräus die Arbeit ruhte und internationale Solidarität spürbar wurde. Sie sind stolz darauf, dass sie aktiv dabei waren.

Weil die EU-Kommission nun ein neues »Port Package« durchsetzen will, meldet sich Georgios bei einem Abstecher nach Brüssel im EU-Parlament bei einer Anhörung zu Wort. Auf dem Podium begründet er sein striktes »Nein« zu jeglicher Liberalisierung und verweist auf Cosco. Und er übt den Schulterschluss mit Kollegen aus anderen Ecken des Kontinents. Als er erfährt, dass in portugiesischen Häfen unter dem Druck der Troika fest angestellte Docker auf der Straße landen und durch prekäre Arbeitskräfte zu Hungerlöhnen ersetzt werden, steht für ihn fest: »Wenn ich in Piräus zurück bin, rufe ich meine Kollegen zu einer Solidaritätsaktion mit den portugiesischen Kollegen auf.«

Aktivisten wie Anastasia und Georgios und ihre Angehörigen betätigen sich aber nicht nur im Hafen und in übergeordneten Gewerkschaftsgremien. Wenn es der Terminkalender zulässt, engagieren sie sich in lokalen Solidaritätsprojekten zur Unterstützung der Opfer der mit dem Wirtschaftseinbruch einhergehenden Verelendung. Dazu gehören die von Ehrenamtlichen aus einem linken Umfeld organisierte Versorgung bedürftiger Familien mit Lebensmitteln, Kleidung, Spielsachen, Hilfestellung bei Behördengängen, Nachhilfe für Schulkinder und unentgeltlichen medizinischen Diensten. »Aus dieser Solidarität von unten entsteht auch die Keimzelle für eine neue Gesellschaft«, ist sich Anastasia sicher.

Kleiderkammer und Sprachkurse für migrantische Arbeiter

In einem nördlichen Vorort organisieren Aktivisten seit Jahren eine Sonntagsschule. Hier können Migranten aus Asien und Afrika die griechische Sprache erlernen und im Gegenzug ihre Muttersprache lehren. Ein junger Pakistaner, der seit sieben Jahren in Griechenland wohnt, unterrichtet hier nicht nur Urdu, sondern auch Griechisch, das er mittlerweile sehr gut beherrscht. Die Atmosphäre ist bei unserem unangemeldeten Besuch locker und gelöst. Die Sonntagsschule versteht sich indes nicht nur als Einrichtung zur Integration und Bekämpfung rassistischer Vorurteile gegen Migranten. In der Kleiderkammer nebenan lagern gut erhaltene Textilien und Schuhe. »Die sind für Strafgefangene bestimmt«, sagt Vasilis. Schließlich seien die Zustände in griechischen Gefängnissen miserabel. Ein »zweischneidiges Schwert« ist diese Arbeit allerdings für Sofia. »Wir kommen zusammen und praktizieren Solidarität, aber wir nehmen den Staat mit unserer ehrenamtlichen Sozial- und Integrationsarbeit aus der Pflicht«, gibt sie zu bedenken.

Diese Ansicht teilt auch Stamatis Karagiannopoulos. Der bärtige, bedächtig wirkende Enddreißiger wurde jüngst in der auflagenstarken konservativen Zeitung »To Proto Thema« groß mit Namen und Gesicht als »Hardcore-Extremist« eingestuft. Ihm wirft das Blatt vor, als Vertreter der »Kommunistischen Plattform« im Vorstand der von »Gottlosen« beherrschten Linkspartei Syriza für einen Steuersatz von 75 Prozent, eine Vergesellschaftung der Medienkonzerne und die Umwandlung des Militärs in eine Volksarmee einzutreten. Die konservative Partei »Nea Dimokratia« hat dies zum Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage gemacht. So wirft der anstehende Europa- und Kommunalwahlkampf im polarisierten Griechenland seine Schatten voraus. Stamatis bringt dies nicht aus der Ruhe. Er nutzt die unerwartete Publizität, um seine Forderungen detaillierter zu erklären. Seine Zeitung »Epanastasi« (Revolution) erscheint jetzt alle zwei Wochen, liegt in Piräus und Athen in den Kiosken aus und bereichert somit den Blätterwald.

Georgios Gogos hat übrigens Wort gehalten. »Heute früh hat in allen griechischen Häfen die Arbeit aus Solidarität mit unseren portugiesischen Kollegen zwei Stunden geruht«, teilt er uns am Dienstagnachmittag mit. »Wir lassen sie nicht im Stich.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. Februar 2014


Testgelände für die prekäre Arbeitswelt

Die Privatisierung des Containerhafens führt zu moderner Sklaverei

Von Hans-Gerd Öfinger **


Über Jahrzehnte standen griechische Seehäfen unter der Kontrolle des inzwischen abgeschafften Schifffahrtsministeriums, der staatlichen Hafenbehörde und öffentlicher Betreibergesellschaften. Größere Häfen spülten meist Überschüsse in die Staatskasse. Dennoch wurde 2009, also noch vor den »Krisenprogrammen« der Troika, mit dieser Tradition gebrochen: Die konservative Regierung der Partei »Nea Dimokratia« löste den besonders profitablen Containerhafen von Piräus aus dem Verbund heraus und überließ der chinesischen Staatsreederei Cosco den Betrieb per Konzessionsvertrag für die Dauer von 40 Jahren. Für Cosco ist Piräus mit dem Containerumschlag auf der Route von Fernost durch den Suez-Kanal nach Europa ein strategischer Stützpunkt. Im Vertrag setzte Cosco durch, dass im Umkreis von 200 Seemeilen kein vergleichbarer Containerhafen eingerichtet wird. Die Chance, die Privatisierung noch zu stoppen oder wenigstens die Bedingungen neu zu verhandeln, ließ die sozialdemokratische PASOK verstreichen, die im Herbst 2009 die Regierung übernahm.

Mit der Übernahme durch Cos-co wurde der Containerhafen zur gewerkschafts- und tarifvertragsfreien Zone. Kritiker sprechen von einem »barbarischen Betriebsregime« und »chinesischen Arbeitsbedingungen«. Anspruch auf Weiterbildung und wirksamen Gesundheitsschutz gibt es nicht mehr. Ob Arbeitnehmerrechte, Arbeitsschutz- und Umweltbestimmungen eingehalten werden, wird seither nicht mehr durch die griechischen Behörden kontrolliert.

Während sich der heutige konservative Regierungschef Andonis Samaras vom Cosco-Deal chinesische Folgeinvestitionen im Land verspricht, befürchten Kritiker, dass das »Modell Cosco« als Vorbild für die Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten dienen könnte. »Dem griechischen Staat brachte der Konzessionsvertrag 30 Millionen Euro ein, die staatlichen Ausgaben etwa für Abfindungen an die entlassenen Arbeiter und Steuergeschenke an Cosco waren aber viel höher«, kritisiert Anastasia Frantzeskaki, gewerkschaftliche Interessenvertreterin der Angestellten bei der Hafenbehörde. Über ein undurchschaubares Geflecht von Sub- und Sub-Subunternehmen sowie private Arbeitsvermittler hat Cosco neue, billigere Arbeitskräfte angeheuert. Nur eine Minderheit der Belegschaft hat Vollzeit-Arbeitsverträge. Die Mehrheit fristet ein Dasein als flexible »Tagelöhner«, die sich ständig kurzfristig für Arbeitseinsätze bereit halten müssen. Von »moderner Sklaverei« spricht ein ehemaliger Cosco-Beschäftigter, der sich im Betrieb gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen engagierte – und gekündigt wurde.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. Februar 2014


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