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Konfusion um Grexit

Kein Geld. Keine Lösung in Sicht. Keine Unterwerfung Athens: Griechenland-Krise schwelt weiter vor sich hin

Von Rainer Rupp *

Kein Geld: Ohne neue Kredite rückt der Punkt näher, an dem Griechenland bei der Bedienung seiner Schulden in Verzug gerät. Staatspleite. Über deren mögliche Folgen streiten sich die Geister. Hauptsächlich US-amerikanische und britische Banker sowie Politiker warnen, dass der Austritt bzw. Hinauswurf aus der Euro-Zone (»Grexit«) so folgenschwer sein werde wie 2008 die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers. Die hatte das aus komplexen Finanzprodukten konstruierte, globale Schuldenkartenhaus mit in den Abgrund gerissen. Angesichts der finanziell und wirtschaftlich immer noch stark angeschlagenen Euro-Zone seien daher die Gefahren eines »Grexit« sowohl für Europa als auch den Rest der Welt unabsehbar, so die Anglo-Amerikaner. Vor dem Hintergrund der seit 2007 weltweit um weitere 29.000 Milliarden Dollar gewachsenen, meist ungedeckten Verbindlichkeiten könnten sie recht haben.

Keine Lösung: EU-Politiker, angeführt von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Euro-Chefbanker Mario Draghi, behaupten dagegen, die Ansteckungsgefahr eines »Grexit« sei minimal. Doch selbst Draghi scheint »extrem nervös« und zunehmend besorgt, dass man ihm die Schuld für einen Austritt Griechenlands geben könnte, hieß es am Donnerstag im Handelsblatt, das sich auf eine namentlich nicht genannte Quelle in der Europäischen Zentralbank (EZB) berief.

Diese Woche hatte die EZB die ELA-Obergrenze für griechische Banken um 1,5 Milliarden auf rund 75,5 Milliarden Euro erhöht. ELA, oder Emergency Liquidity Assistance, bezeichnet eine Notfall-Liquiditätshilfe. Als Euro-Mitglied hat Griechenland die Funktion seiner Notenbank, Geld zu drucken, an die EZB abgegeben. Die ELA wurde eingerichtet, um vorübergehend illiquide gewordenen nationalen Kreditinstituten gegen Sicherheiten frisches Geld, also Liquidität, zu gewähren. Diese Hilfen müssen durch die EZB genehmigt werden. Viele Griechen fürchten die Zukunft, heben immer mehr Euros ab, um so einem Zwangsumtausch in ein minderwertiges Ersatzgeld zuvorzukommen.

Diese Woche wurde bekannt, dass angeblich auf deutschen Druck im EZB-Rat der Plan diskutiert wird, die Sicherheiten der griechischen Kreditinstitute (die als Grundlage zur Berechnung der ELA-Obergrenze dienen) neu zu bewerten und eventuell um bis zu 50 Prozent herabzusetzen. Das würde für Griechenland den geldpolitischen »Sekundentod« bedeuten. Im Unterschied zu den Banken der anderen Euro-Länder können weder griechische Geschäftsbanken noch die Notenbank Schatzbriefe ihrer Regierung bei der EZB gegen Euros eintauschen. Zugleich wäre durch die Verringerung der ELA-Obergrenze auch die Liquiditätsquelle versiegt. Die noch vorhandenen Euros würden in kürzester Zeit aus dem Wirtschaftskreislauf verschwinden, und Griechenland stünde vor dem Kollaps. Als Ausweg bliebe der Regierung, in eigener Regie neues Geld, z. B. die Nea Drachma einzuführen. De facto wäre das der »Grexit«.

Dieser Fall darf offensichtlich nicht eintreten. Berichten zufolge zerbricht man sich in Brüssel und bei der EZB den Kopf, wie Griechenland trotz Einführung einer neuen, eigenen Währung in der Euro-Zone gehalten werden kann. Wie sich dies mit den Überlegungen zur Herabsetzung der ELA-Obergrenze in Einklang bringen lässt, steht in den Sternen. Gehört das alles zum Verhandlungspoker? Oder herrscht zwischen EU, EZB und Berlin totale Konfusion.

Keine Unterwerfung Athens: Auch im Vorfeld des Treffens der Finanzminister der Euro-Zone am Freitag in Riga herrschte flächendeckende Verwirrung. Während der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis verkündete, man stünde kurz vor einer Einigung, und Ministerpräsident Alexis Tsipras nach seinem Treffen mit Angela Merkel am Donnerstag in Brüssel einen Kompromiss in Aussicht stellte, bekräftigte die Bundeskanzlerin: Deutschland werde seine Euro-Politik nicht ändern. Derweil ließ der griechische Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis wissen, dass ein Staatsbankrott nicht in Frage komme. Aber ohne Kniefall vor Berlin geht das nicht. Auch beim Treffen in Riga erwartet daher niemand eine richtungsweisende Entscheidung über das weitere Vorgehen.

Geschwächt wurde die Verhandlungsposition Athens durch eine am Montag veröffentlichte Umfrage der Universität von Mazedonien. Tsipras Trumpf war bisher die Drohung mit einer Volksbefragung über den weiteren Verbleib im Euro-Verbund. Jetzt haben jedoch 56 Prozent der Griechen auf die Frage, was sie angesichts eines möglichen »Grexit« empfinden, mit dem Wort »Angst« geantwortet. Noch im März waren es 45,5 Prozent. Zugleich dürfte eine Abstimmung im Parlament keine Mehrheit für einen »Grexit« bringen, denn der Großteil der Abgeordneten wird sich lieber seine nicht unbeachtlichen Parlamentsrenten in Euro als in Drachmen auszahlen lassen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 25. April 2015


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