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Kampf um Kredite

Griechenland fordert Rückzahlung von Zwangsdarlehen

Von Heike Schrader, Athen *

Dem Titel der linken Zeitung der Redakteure vom Mittwoch zufolge begab sich der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis mit seiner Teilnahme am Sondertreffen der Euro-Gruppe am Mittwoch abend in Brüssel in die »Höhle des Löwen«. Im Gepäck hatte Varoufakis den griechischen Vorschlag für ein Überbrückungsprogramm, das seinem von Kürzungen gepeinigten Land Zeit und Geld für die Linderung der humanitären Krise geben würde.

In der Nacht davor hatte die Debatte über das Regierungsprogramm mit der für jede neue Regierung obligatorischen Vertrauensabstimmung ihren Abschluss gefunden. Erwartungsgemäß sprachen die 162 Abgeordneten der Koalition aus Syriza und Anel dem Kabinett ihr Vertrauen aus. 137 Parlamentarier der Oppositionsparteien Nea Dimokratia, To Potami, KKE, Pasok und der neofaschistischen »Chrysi Avgi« stimmten dagegen. Der wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft sitzende Parteichef der Neofaschisten weigerte sich abzustimmen.

Um die Aufarbeitung von Faschismus war es auch am Sonntag abend in der Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten gegangen. Dabei bezog sich Alexis Tsipras jedoch nicht auf die einheimischen Neonazis, sondern auf deren historische Vorbilder aus der Zeit der Besatzung Griechenlands 1941 bis 1944. Es sei »die historische Verpflichtung der neuen griechischen Regierung, die Rückzahlung des Zwangsdarlehens aus der Nazibesatzung und die Entschädigungszahlungen einzufordern«, hatte Tsipras am Ende seiner Rede erklärt. Seine Vorhaben bezeichnete er »als moralische Pflicht, nicht nur gegenüber unserem Volk, sondern gegenüber der Geschichte, gegenüber allen Völkern Europas, die gegen den Faschismus gekämpft und ihr Blut gegeben haben«.

Mehr als 30.000 Menschen waren damals von den deutschen Faschisten umgebracht worden, viele Hunderttausende starben an Krankheiten und Hunger, weil das Land von den Nazis systematisch ausgeplündert worden war. Neben Nahrungsmitteln, Bodenschätzen und Kulturgütern raubten die Besatzer dabei auch die Kassen aus: 1942 wurde Griechenland ein Zwangskredit in Höhe von 476 Millionen Reichsmark abgepresst.

Eine Entschädigung haben die Opfer bzw. deren Verwandte bis heute nicht erhalten. Auch der Zwangskredit wurde nicht zurückgezahlt. Versuche der Nachkommen, auf juristischem Wege eine Entschädigung einzuklagen, scheiterten bisher an der der Bundesrepublik zugesprochenen Staatenimmunität, nach der Angelegenheiten eines Staates nicht vor Gerichten eines anderen beurteilt werden können. Nach deutscher Auffassung hat Griechenland mit der Anerkennung des Zwei-plus-vier-Vertrags über die Wiedervereinigung Deutschlands auf Reparationszahlungen verzichtet.

Im Gegensatz dazu geht der griechische Staat davon aus, dass die Reparationsfrage nach wie vor ungeklärt ist. Athen habe den 1990 geschlossenen Vertrag damals lediglich »zur Kenntnis genommen«. Aktiv für eine Entschädigung eingesetzt hat sich jedoch bisher keine griechische Regierung. Im Gegenteil: Ein im Jahr 2000 vor dem Obersten Gerichtshof erwirktes Urteil hatte den Opfern des Nazimassakers von Distomo bzw. deren Nachkommen knapp 29 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen und zur Eintreibung die Pfändung deutschen Staatseigentums in Griechenland angeordnet. Der Pfändungsbeschluss wurde jedoch vom damaligen griechischen Justizminister Michalis Stathopoulos kassiert. Sein heutiger Nachfolger im Amt kündigte jetzt einen Vorstoß zugunsten der Opfer an. »Es wird eine Einforderung der Rückzahlung der Zwangsdarlehen aus der Nazibesatzung und der Entschädigungen mit Hilfe der Umsetzung von Gerichtsurteilen geben«, sagte Nikos Paraskevopoulos im Rahmen der programmatischen Diskussion im griechischen Parlament am Montag.

Deutschland sträubt sich dagegen weiter gegen die Anerkennung der griechischen Ansprüche. Die Frage der Reparationen sei abschließend geregelt worden, erklärte beispielsweise der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel am Montag. Hilfe bekam Berlin dabei einen Tag vor dem Euro-Gruppentreffen auch aus der EU. Die Forderungen des griechischen Ministerpräsidenten seien »wenig hilfreich und werden es nur noch schwerer machen, einen Kompromiss zu finden«, erklärte der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt.

Demgegenüber bezeichnete Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im deutschen Bundestag, die griechischen Forderungen in einer Stellungnahme vom Dienstag als »gerechtfertigt«. Die Bundesregierung solle sich zunächst »selbst an die von ihr aufgestellten Regeln halten«, bevor sie anderen Vorschriften mache, mahnte Jelpke. »Wer ernsthaft vorgibt, die griechische 476-Millionen-Reichsmark-Zwangsanleihe mit einer Zahlung von 115 Millionen DM abgegolten zu haben, sollte beim Thema Schuldenschnitt noch mal gründlich nachdenken und gegenüber der griechischen Regierung nicht den Moralapostel spielen.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Februar 2015


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