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Geld gegen Leben

Referendum, Ersatzwährung, oder doch Staatspleite? Entscheidung zu Griechenland ist überfällig. Die meisten Menschen dort fürchten sich zurecht davor

Von Dieter Schubert *

Die Euro-Finanzminister haben sich getroffen. Das Thema: Griechenland. Am Montag nachmittag stand erneut die Gretchenfrage auf der Tagesordnung der Ressortchefs in Brüssel. Die offiziell so klingt: Gibt es »Fortschritte bei den Verhandlungen um das griechische Reformpaket«? Übersetzt hieße das, unterwirft sich Athen endlich dem Diktat der »Troika« und lässt sich von den »Geldgebern« EU, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Europäische Zentralbank die Bedingungen diktieren? Sollte das nicht entschieden werden gilt es für die Euro-Gruppe erneut, die drohende Staatspleite weiter hinauszuschieben.

»Heute ist kein Ergebnis auf dem Tisch«, sagte Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem am Montag laut dpa vor den Gesprächen. Aber ohne das »Reformpaket« können blockierte Hilfen von 7,2 Milliarden Euro nicht fließen.

EU-Währungskommissar Pierre Moscovici sagte vor dem Treffen der Finanzminister: »Es gibt selbstverständlich immer noch einen großen Abstand (zwischen den Positionen)«. Athen müsse »Reformen« umsetzen. Ansonsten könne dem Land spätestens im Juni das Geld ausgehen. Ein Zahlungsausfall (Default) hätte unabsehbare Folgen.

Obwohl es derzeit kein frisches Geld der »Troika« gibt, will die Regierung in Athen am heutigen Dienstag die nächsten Raten überweisen: 756 Millionen Euro sind fällig, sie gehen an den IWF. Das hatte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis am Montag in Athen bekräftigt. Also noch kein »Default«.

Inzwischen kursieren in Politikerkreisen kuriose Ideen, wie man in Brüssel und Berlin der Krise beikommen will. So hält auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein mögliches Referendum in Griechenland zu den »Reformen« für sinnvoll. Die Entscheidung darüber liege bei der griechischen Regierung, sagte Schäuble vor dem Euro-Gruppentreffen in Brüssel. »Das wäre vielleicht sogar eine richtige Maßnahme, das griechische Volk entscheiden zu lassen, ob es das, was notwendig ist, bereit ist zu akzeptieren, oder ob es das andere möchte«, sagte Schäuble. Er äußerte sich nicht im Detail dazu, um was es genau bei der Volksbefragung gehen könnte. Es scheint, als solle die »Schuldfrage« für jegliche weitere Entwicklung dem zu befragenden Volk zugeschoben werden.

Auch eine Art Ersatzwährung für Griechenland wird diskutiert, wie am Montag das Handelsblatt berichtete. Allerdings scheint dies noch nicht von den Finanzministern goutiert zu werden.

Finanzminister Gianis Varoufakis erwartet indes eine baldige Einigung mit den Geldgebern über die verlangten Reformen. Es gebe bei den Positionen durchaus Gemeinsamkeiten, sagte er ebenfalls vor dem Treffen. Auf die Frage, an welchen Zeithorizont er denke, antwortete der Minister laut dpa: »In den nächsten Tagen, denke ich.«

Varoufakis zeigte sich zuversichtlich, dass es »ein gutes Treffen« werde, an dessen Ende »wir ein Kommuniqué haben werden, das den von uns gemachten Fortschritt feststellt«. Tsipras soll bereit sein, umfangreichen Privatisierungen zuzustimmen. Eine Immobiliensteuer, die eigentlich zurückgenommen werden sollte, könnte in diesem Jahr mehr als 2,5 Milliarden Euro einbringen. Auf 22 der wichtigsten Ägäis-Inseln soll eine bis zu fünf Euro hohe Sondersteuer je Übernachtung erhoben werden. Sogar die »logische« Kürzung von Renten soll angeblich kein Tabuthema für Athen mehr sein.

Wie auch immer eine »Lösung« aussehen wird: Zu erwarten ist in jedem Falle, dass auf den Großteil der Griechen noch erheblich größere finanzielle und soziale Belastungen zukommen werden als in den zurückliegenden Jahren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 12. Mai 2015


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