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Athen am Notausgang

Lösung der Griechenland-Krise gleicht der Quadratur des Kreises. Staatspleite oder "Grexit" scheinen die einzigen Alternativen. Letzterer ist wahrscheinlich

Von Rainer Rupp *

Athen bereitet Kapitalkontrollen vor. Es dürfte ein Schritt Richtung »Endspiel« sein. Die von der Linkspartei Syriza geführte Regierung verfügte in einem Dekret, das am Montag im Blatt für amtliche Veröffentlichungen erschien, dass sie sich wegen eines »extrem dringenden und unvorhergesehenen Bedarfs« genötigt sehe, »alle ungenutzten Barreserven der lokalen Verwaltungseinheiten (Städte und Kommunen) auf ein Regierungskonto der griechischen Zentralbank zu transferieren«. Gegen diese de facto Beschlagnahme der kommunalen Geldreserven hat sich bereits heftiger Widerstand geregt, insbesondere in großen und politisch einflussreichen Städten.

Ministerpräsident Alexis Tsipras und dessen Mannschaft brauchen bis zum Monatsende zwei Milliarden Euro, um die Gehälter und Renten der Staatsbediensteten zu zahlen. Die Teilenteignung der Kommunen soll 2,15 Milliarden Euro in die Kassen spülen, schrieb die US-Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg. Am Dienstag verhandelte Tsipras mit Gasprom-Chef Alexej Miller. Kommt ein Vertrag mit Russland zum Bau einer Pipeline zustande, könnten Vorauszahlungen aus Moskau die Not mildern, das Problem allerdings nicht lösen. Derweil kocht die Gerüchteküche über die Verwendung der beschlagnahmten Einnahmen der Kommunen. Viele, insbesondere Syriza-Anhänger, befürchten, die Regierung könnte mit dem Geld die zwei am 1. und am 12. Mai fällig werdenden Rückzahlungen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von insgesamt 1,1 Milliarden Euro begleichen.

Die vorausgesagte Staatspleite Griechenlands hat inzwischen so lange auf sich warten lassen, dass viele Beobachter glaubten, sie würde nie kommen. Vorherige griechische Regierungen und deren Gläubiger hatten seit Beginn der Krise immer wieder hervorragend zusammengespielt, wenn es um die Vortäuschung von Fortschritt ging. »Pretent and extent«, (so tun, als ob alles gut wird, und dadurch Zeit gewinnen) heißt das im Fachjargon englischer Kommentatoren. Die Tsipras-Regierung wollte dieses für die Bevölkerung immer kostspieligere Spiel nicht länger mitmachen. Daher hat sich in den zurückliegenden zwei Monaten die Lage zwischen Athen einerseits und den Hauptgläubigern von der »Troika« (EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds) derart dramatisch zugespitzt, dass nun der lange erwartete »Grexit« (Ausstieg Griechenlands aus dem Euro-Währungsverbund) zur Realität werden kann.

Die Gegensätze wurden Ende vergangener Woche in Washington deutlich. Dort versammelte sich der Zirkus der internationalen Finanzdiplomatie zur Frühjahrstagung von IWF und Weltbank. Und es wurde viel über Griechenland diskutiert. Exemplarisch dürfte die Aussage des ebenfalls anwesenden griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis sein: »Wir werden uns nicht zur Erfüllung von Zielen verpflichten, von denen wir genau wissen, dass sie auf Grundlage der von unseren Partnern (Troika) vorgegebenen Richtlinien von unserer Wirtschaft nie erreicht werden können.«

Trotz großer Risiken ist der immer wieder für »undenkbar« (und auch undurchführbar) erklärte »Grexit« wahrscheinlich geworden. Ein Staatsbankrott sei »notwendig«, hieß es dann auch in der Londoner Financial Times (FT) am 19. April. Der »einzige Weg, Griechenlands Schuldenlast kurzfristig zu erleichtern« bestünde darin, »die Rückzahlungen an den IWF und die Europäische Zentralbank zu stoppen«. Nicht mehr das »Ob« sondern nur noch das »Wann« wird diskutiert. Heftig umstritten ist nur die Frage, ob von dem Ausscheiden eine »Ansteckungsgefahr« (Contagion) ausgehen werde, also ob die Folgen eines »Grexit« für die europäische und auch globale Finanzindustrie kalkulierbar und – viel wichtiger – auch beherrschbar sind.

EZB-Chef Mario Draghi, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und der Rest der EU-Aristokratie gehen von einer Beherrschbarkeit der griechischen Pleite aus. Denn die Euro-Zentralbank hat die vergangenen Jahre dazu genutzt, dem privaten Bankensystem fast komplett die (im Falle einer Pleite) wertlosen griechischen Schatzbriefe gegen gutes Geld (als wären sie kein Schrott) abzukaufen. Ein »Grexit« würden also die europäischen Geldhäuser kaum erschüttern. Die EZB und die EU-Steuerzahler müssen für die Verluste aus der Pleite aufkommen. Im Kalkül der »Macher« gilt das als einfachste und am wenigsten gefährliche Variante der Krisenlösung. Sollte es dennoch zu Spekulationen gegen den Euro kommen, dann – betonte Draghi jüngst – sei die EZB mit ihren neuen Möglichkeiten, unbegrenzt Euro zu drucken und die Märkte zu überfluten, bestens gerüstet. Im Gegensatz dazu klingen Stimmen aus den USA, wo man die Haltung der EU als Vabanquespiel betrachtet, besorgt. US-Finanzminister Jack Lew, erklärte am Mittwoch vergangener Woche, niemand könne die Folgen eines Ausstiegs Griechenlands aus dem Euro prognostizieren. Angesichts der sich gerade aus einer tiefen Rezession erholenden Weltwirtschaft sei es nicht gut, »diese Art von Unsicherheit einzuführen«. Vor allem aber dürfte Lew dabei an das US-amerikanische Bankensystem denken. Denn ein »Grexit« birgt für die Rentenmärkte erhebliches Ansteckungspotential. Das ist vor allem bei den Credit Default Swaps (CDS, Kreditausfallversicherungen) sehr real. Insbesondere wegen der als »finanzielle Massenvernichtungswaffen« bekannten CDS-Finanzwetten, die auf den offiziellen Staatsbankrott Griechenlands abgeschlossen worden sind, riskieren US-Banken, im Fall, dass die Wette der Spekulanten aufgeht, Hunderte von Milliarden Dollar zu verlieren.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. April 2015


Chef von Gasprom in Griechenland

Athen und Moskau wollen enger zusammenarbeiten. Querschuss aus Brüssel **

Der Chef des russischen Staatskonzerns Gasprom, Alexej Miller, hat sich am Dienstag mit dem Energieminister Griechenlands, Panagiotis Lafazanis, getroffen. Wie das griechische Staatsfernsehen NERIT berichtete, standen die geplante Erweiterung einer Gaspipeline auf griechischem Boden sowie andere Energiethemen im Mittelpunkt der Gespräche. Athen hofft auch auf niedrigere Preise für russische Erdgaslieferungen. Im Anschluss an den Austausch mit Lafazanis traf Miller (nach jW-Redaktionsschluss) mit Regierungschef Alexis Tsipras zusammentreffen.

Die Pipeline ist Teil eines Großprojektes. Sie wäre die Verlängerung der geplanten Leitung »Turkish Stream«, durch die Gasprom ab 2017 seinen Energieträger in die Türkei pumpen will. Die Verlängerung durch Nordgriechenland bis zur Grenze mit Mazedonien soll rund zwei Milliarden Euro kosten. Angeblich hofft Athen bei einem Vertragsabschluss auf Vorauszahlungen in Milliardenhöhe für Durchleitungsgebühren.

Die wirtschaftliche Annäherung der schuldengeplagten Athener Regierung an Russland wird von der EU mit äußerstem Misstrauen beobachtet. So ist es kaum verwunderlich, dass am Tag des Miller-Besuches Gerüchte die Runde machten, wonach EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am heutigen Mittwoch eine formelle Rüge gegen den russischen Gasgiganten aussprechen werde. Diese Maßnahme ist geeignet, die angespannten Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der EU noch weiter zu belasten.

Zugleich billigte Brüssel (Euro-Gruppe) Athen eine Fristverlängerung bei der geforderten Reformliste zu. Die im Februar vereinbarte Vorgabe, bis Ende April eine umfassende Aufstellung zu den Athener Plänen zu haben, sei nur noch äußert schwierig einzuhalten, hieß es. Wichtiger sei eine weitere, die bis zum 30. Juni laufende Frist – dann ende die viermonatige Verlängerung des griechischen Hilfsprogramms.

Dennoch versucht Brüssel den Eindruck zu erwecken, alles ginge einen normalen bürokratischen Gang. Gasprom sei ein ähnlich gelagerter Fall wie der von Google, hieß es. Der US-Konzern missbrauche seine Marktmacht, dies vermutet man auch im Falle des russischen Unternehmens. Wie bei Google stehe hier eine sogenannte Übermittlung der Beschwerdepunkte an. Bedingung ist jedoch, dass Vestager von ihren 27 Kollegen im Brüsseler Kommissionskollegium grünes Licht bekommt.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. April 2015

EU-Attacke gegen Gasprom

Brüssel wirft dem russischen Staatskonzern »Missbrauch von Marktmacht« vor ***

Die EU-Kommission fürchtet sich nicht vor kalten Büros im Winter und scheut auch keine Kritik am Kapitalismus. Das machte sie am Mittwoch deutlich, als sie Westeuropas wichtigsten Energierohstoffversorger Gasprom »Missbrauchs seiner Marktmacht« in Osteuropa vorwarf. Die auch als Wettbewerbshüter fungierende Kommission übermittelte dem weitgehend vom Staat kontrollierten russischen Konzern ihre Beschwerdepunkte. Gasprom verletze nach dem vorläufigen Ergebnis der Untersuchung die EU-Kartellvorschriften, indem das Unternehmen eine umfassende Strategie zur Abschottung der mittel- und osteuropäischen Gasmärkte verfolge, teilte die EU-Behörde mit. Davon betroffen seien Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Bulgarien sowie die drei baltischen Staaten.

»Durch die Trennung der nationalen Gasmärkte konnte Gasprom Preise verlangen, die wir derzeit als nicht angemessen betrachten«, erklärte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die betonte, das Verfahren sei nicht politisch motiviert. Der russische Marktführer nannte die Vorwürfe unbegründet, und Außenminister Sergej Lawrow bewertete die neue Attacke aus Brüssel als »absolut inakzeptabel«.

Die EU-Kommission wirft dem Konzern vor, unter anderem die Möglichkeit seiner Kunden einzuschränken, das gekaufte Erdgas in andere Staaten weiterzuverkaufen. Von dieser Beschränkung ist vor allem die Ukraine betroffen. Die will mehr Gas aus Mitteleuropa erhalten, nachdem die Regierung in Moskau dem Nachbarland bereits zweimal wegen nicht bezahlter Rechnungen den Gashahn zugedreht hat. Ob Kiew das aus der EU umgeleitete russische Gas kostenlos erhält, ist nicht bekannt. Auch verdächtigt Brüssel Gasprom, der Konzern könnte in fünf EU-Ländern unlautere Preise verlangt sowie in Polen und Bulgarien Lieferungen an Zusagen von Großhändlern zur Nutzung von Infrastruktur wie Gaspipelines geknüpft haben, erklärten die Wettbewerbswächter.

Die EU bezieht rund 30 Prozent ihres Erdgases aus Russland. In manchen Ländern Osteuropas liegt die Abhängigkeit bei bis zu 100 Prozent. Brüssel versucht seit langem – mit wenig Erfolg – diese Abhängigkeit durch die Schaffung einer »Energieunion« zu reduzieren.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. April 2015




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