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Brüssel ist unzufrieden

Keine Chance für Syriza-Konzept: EU-Politiker wüten gegen griechisches Ideenpapier zur Milderung der Finanznot und gegen Moskau-Besuch

Von Heike Schrader, Athen *

Es steht weiter schlecht für Griechenland. Geht es nach diversen Meinungsführern in Brüssel (EU-Parlament und -Kommission) bekommt die von der Linkspartei Syriza geführte Regierung keine Chance, ihr Wahlprogramm umsetzen zu können. Seit Wochen wird die »Liste« vorgeschoben, jenes Papier, das die Troika zur Bedingung für die Auszahlung der Restkreditsumme aus ihrem »Hilfsprogramm« von 2012 gemacht hat. Athen solle bitteschön sofort »Reformen« benennen, die auch sofort verwirklicht werden können. Gemeint ist »sparen« sowie schneller und umfassender privatisieren. Es ist das alte Manöver, mit dem Griechenland seit Beginn der »Rettung« durch das Dreiergespann aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, immer tiefer in die Verschuldung, in die Rezession und soziale Verelendung gestoßen worden war. Das lehnt die Regierung von Minsterpräsident Alexis Tsipras bekanntlich ab.

Und sie hält sich an die Vereinbarungen, schickt die angeforderten Listen nach Brüssel, wo sie regelmäßig zerrissen werden. Was genau in der aktuellen Aufzählung vom Wochenende steht, ist der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben worden. Wie Tsipras am Sonntag vor dem Politbüro von Syriza erläuterte, umfasse sie Maßnahmen, die insgesamt 3,5 Milliarden Euro in die Staatskassen spülen sollen – ohne dabei die Wirtschaft noch weiter zu strangulieren. Das sorgt auch jetzt für Ärger.

Griechenland solle endlich »konkrete und belastbare Reformvorschläge vorlegen«, erregte sich via Spiegel online der »CDU-Europaexperte« Gunther Krichbaum. Auch nach Ansicht des SPD-Finanzpolitikers Joachim Poß gehen die an den Interessen der Bevölkerungsmehrheit orientierten Maßnahmen der griechischen Linksregierung in die falsche Richtung. Man sehe der Entwicklung dort »fassungslos zu«, wird der Bundestagsabgeordnete im Handelsblatt zitiert.

Den Luxus des Zusehens haben die Menschen in Griechenland nicht. Sie sind direkt von all dem betroffen, was dem in die Krise getriebenen Staat seit fünf Jahren als alternativlos aufgezwungen wird. »Belastbare Reformen« von Menschen zu fordern, deren Belastbarkeit in diesen Jahren gnadenlos ausgelotet und längst überschritten wurde, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten.

Für Schaum vor dem Mund der Kapitaleinheitsparteienvertreter dürfte auch ein Interview des Sprechers des linken Flügels von Syriza, Panagiotis Lafazanis vom Wochenende sorgen. Angesprochen auf den von den Gläubigern auf Griechenland ausgeübten Druck sprach sich der Minister für wirtschaftlichen Wiederaufbau, Umwelt und Energie, für das unbedingte Festhalten am Programm seiner Partei aus. Im Zweifelsfall müsse man dafür auch den Bruch mit der EU wagen: »Der einzige Realismus in kritischen Momenten wie den derzeitigen ist der Umsturz«, sagte Lafanzanis gegenüber der griechischen Finanzzeitung Capital. Die von Lafazanis geführte Linke Plattform vertritt etwa ein Drittel der Parteimitglieder, deren Zahl angesichts der Ereignisse zunimmt.

Der Minister reiste am Wochenbeginn nach Russland, um die Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem von der EU mit Sanktionen belegten Konkurrenten zu erörtern. Das sorgte für zusätzliche Aufregung bei diversen Herrschaften in Brüssel, die sich immer anmaßender aufführen. Spiegel online zitiert den Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Herbert Reul: »Mitgliedschaft in der EU bedeutet Verlässlichkeit und Vertrauen – und nicht Tricksereien. Wer mit dem Feuer spielt und jetzt Hilfe in Russland sucht, kann sich die Finger verbrennen!«

Bereits in der vergangenen Woche war der griechische Vizeregierungschef Giannis Dragasakis aus denselben Gründen in Peking vorstellig geworden. Während schon die Ankündigung eines Russlandbesuchs von Ministerpräsident Tsipras am 8. April heftige Unmutsbekundungen unter EU-Politikern auslöste, dürften die aus China kommenden Nachrichten in Brüssel für Genugtuung gesorgt haben. Meldungen der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge, hat Dragasakis die chinesische Großreederei COSCO aufgefordert, ein »wettbewerbsfähiges Angebot« für die Übernahme der gesamten Hafenanlage von Piräus abzugeben. Ein Verkauf könne »innerhalb von wenigen Wochen« über die Bühne gehen, wird der Stellvertreter von Ministerpräsident Tsipras zitiert. COSCO besitzt bereits die ertragreiche Containerverladestation im größten griechischen Hafen. Für den Rest rechnet Griechenland nach Presseberichten mit einem Kaufpreis von mindestens 500 Millionen Euro.

Für genaue Informationen müsse man auf die Rückkehr von Dragasakis warten, versuchte der ebenfalls dem linken Flügel von Syriza angehörende stellvertretende Minister für Schiffahrtswesen im Wirtschaftsministerium, Theodoros Dritsas, die (angesichts dieser Kehrtwende in Sachen Privatisierungen) entstandene Unruhe in der Linkspartei zu mindern. Für die Hafenarbeiter ist die Verkaufsankündigung dagegen eine Kriegserklärung. Sie hatten erleben müssen, wie die Löhne in der bereits von COSCO übernommenen Verladestation zusammengeschrumpft wurden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 31. März 2015


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