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"Flächenbombardement"

Euro-Gruppe geht nicht auf Athener Forderung nach Schuldenerlass und Umschichtung von "Rettungsgeldern" ein. EU-Kommission will Griechen weitere "Sparprogramme" oktroyieren

Von Rainer Rupp *

Die Dringlichkeitssitzung der Euro-Gruppe zur Lage in Griechenland endete am späten Mittwoch abend, ohne dass sich beide Seiten auch nur ein Jota nähergekommen wären. Zum ersten Mal in der Geschichte des EU-Gremiums zur Überwachung des Euro-Stabilitätspaktes kam auch keine gemeinsame Abschlusserklärung zustande, nicht einmal eine nichtssagende. Gianis Varoufakis, der Finanzminister der neuen griechischen Regierung, ließ sich durch die massiven Drohungen seines deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble mit einer Staatspleite nicht erpressen. Sein Land sei ohnehin pleite, und die Zahlungen der EU seien nie dafür da gewesen, dem griechischen Volk zu helfen, so Varoufakis. 90 Prozent der »EU-Rettungsgelder« für Athen sind direkt an ausländische Banken gegangen. Das will die neue Regierung ändern: keine gigantischen »Hilfen« mehr für die Banken, sondern nur ein wenig Geld, um der notleidenden Bevölkerung unter die Arme zu greifen und den Wirtschaftskreislauf wieder in Gang zu setzen.

Am Donnerstag gingen die Verhandlungen auf dem EU-Gipfel in Brüssel weiter, an dem Ministerpräsident Alexis Tsipras zum ersten Mal teilnahm. Wegen seines Widerstands gegen den Druck des EU-Establishments musste er sich sogar von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Vorwurf anhören, »unsolidarisch« zu sein. Tsipras’ Mangel an Solidarität liegt offensichtlich darin, dass er nicht gewillt ist, seine Wähler zu betrügen. Vor seinem Aufbruch nach Brüssel hatte er vom Parlament in Athen Rückendeckung für sein Versprechen bekommen, auf keinen Fall einer Verlängerung des von der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) diktierten Verarmungsprogramms zuzustimmen.

Bereits nach seinen ersten Gesprächen mit Eurokraten und Troika-Kredithaien hatte Finanzminister Varoufakis die Lage mit den Worten zusammengefasst, er sei hier mit »ahnungslosem« politischen Personal konfrontiert, »das sich weigert, die systemischen Ursachen der Krise zu erkennen und dessen Politik darauf hinausläuft, die Wirtschaften stolzer europäischer Nationen mit einem Flächenbombardement zu überziehen und dabei vorzugeben, diese zu retten«.

Gleichwohl zeigte sich Tsipras am Donnerstag abend kompromissbereit. »Niemand will so etwas wie einen Bruch«, sagte er am Donnerstag abend und fügte hinzu: »Unser Projekt wird die europäischen Regeln respektieren.« Er kündigte an, seine Regierung werde Reformen vorschlagen, die auch die Staatseinnahmen erhöhten. So will sein Kabinett Korruption und Steuerflucht bekämpfen. Die bisherige Kürzungspolitik sei allerdings tabu, denn: »Die Medizin, die Griechenland mit der Budgetsanierung eingenommen hat, hat das Land verwüstet.«

Am Freitag begannen Vertreter griechischer Behörden und Fachleute von EU und IWF Vorgespräche über ein verändertes Rettungsprogramm. Die Euro-Finanzminister wollen am Montag in Brüssel darüber beraten.

Die Europäische Union ist nur dem Namen nach eine Union. Ohne demokratische Legitimation schreibt Brüssel jetzt sogar vor, wie die nationalen Haushalte aussehen sollen und welche Sozialausgaben noch gekürzt werden müssen. Die EU ist ein Raubtierkäfig, in dem jeder gegen jeden kämpft und letztlich der Stärkste, also Deutschland, gewinnt. Der Euro dient dabei als Gitter. Wenn erst einmal einer erfolgreich ausgebrochen ist, werden andere folgen, und das ist für Brüssel die große Gefahr.

Die Politik der EU und der Troika gegenüber Griechenland ist mörderisch. Menschen sterben, weil in den Krankenhäusern ganz normale Medikamente fehlen, nur weil die »Sparpolitik« dafür kein Geld mehr erlaubt. Eine ganze Generation junger Menschen steht ohne Perspektive da, die Hälfte von ihnen ist arbeitslos. Der deutsche Finanzminister Schäuble und Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem verkaufen dieses skrupellose Vorgehen als kluge Sparpolitik.

Mit den sogenannten Griechenland-Rettungsaktionen haben sie die Finanzkonzerne u.a. in Deutschland vor der Pleite gerettet, weil denen aus ihren spekulativen Einsätzen im Kasino Athen hohe Verluste drohten. In Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Eliten der Vorgängerregierungen von Tsipras wurden die Kosten der »Rettung« den Hellenen aufgebürdet. Damit soll nun Schluss sein. Dafür drohen Berlin und Brüssel den Griechen nun mit noch mehr Auflagen und Sozialkahlschlag.

Unterdessen teilte das europäische Statistikamt am Freitag mit, die griechische Wirtschaftsleistung sei im vierten Quartal 2014 erneut geschrumpft – um 0,2 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Quartal. Volkswirte hatten mit einem Wachstum von 0,4 Prozent gerechnet. Zuvor hatten EU und Bundesregierung den erstmaligen Minianstieg des Bruttosozialprodukts seit Beginn der Krise 2008 – vorangegangen war eine jahrelange extreme Rezession – als Erfolg der Troika-Politik gefeiert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 14. Februar 2015


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