Ein Währungsraum von Schäubles Gnaden
Klaus Ernst über die deutsche Grexit-Drohung, die ihre Wirkung zeigte; Schäubles Drohung funktionierte: Die griechische Regierung muss mit einem Forderungspaket, das deutlich über die griechischen Positionen der vergangenen Woche hinausgeht, den Kniefall vor den Gläubigern machen
Klaus Ernst war stellvertretender Vorsitzender der LINKEN und sitzt nun für sie im Bundestag.
Offiziell steht sie zwar nicht mehr auf dem Papier, die bislang dümmste und gefährlichste Forderung Wolfgang Schäubles, Griechenland solle doch für fünf Jahre den Euro verlassen. Aber die Drohung hat offensichtlich funktioniert: mit einem Forderungspaket, das deutlich über die griechischen Positionen der vergangenen Woche hinaus geht, muss die griechische Regierung den Kniefall vor den Gläubigern üben, damit diese sich überhaupt erst dazu herablassen, mit ihnen über weitere Hilfen zu verhandeln. Über Hilfen, die auch erforderlich geworden sind, weil die bisherige brutale Kürzungspolitik gnadenlos gescheitert ist.
Das sogenannte Verhandlungsergebnis zeigt darüber hinaus im Wesentlichen drei Dinge:
Moderate Stimmen in der Verhandlungsgruppe wie die italienische, die österreichische oder die französische konnten sich gegen die brutalen Forderungen Schäubles und der Bundesregierung nicht durchsetzen. Die Machtverteilung innerhalb der Euro-Gruppe tritt klar zutage: ökonomische Schwergewichte setzen kleine Partner unter Druck und nutzen ihr Gewicht, um ihr eigenes, kurzfristiges Interesse durchzusetzen. Die offene Drohung Schäubles, Griechenland andernfalls aus dem Euro zu werfen, ist zwar nicht mehr Gegenstand der Verhandlungen. Dennoch ist klar: Zumindest der deutsche Finanzminister wird den Knüppel jederzeit wieder aus dem Sack holen, wenn eine ihm missliebige Regierung andere ökonomische Konzepte vertritt als er. Der Euro wird so zur Verhandlungsmasse und ist nicht mehr unhinterfragbare Währung von EU-Mitgliedstaaten. Griechenland, Spanien, Portugal und anderen Ländern, die unter den Folgen der internationalen Finanzkrise, der brutalen Sparpolitik und der scharfen deutschen Exportorientierung zu leiden haben und die jetzt oder nach anstehenden Wahlen möglicherweise eine andere ökonomische Linie verfolgen werden, soll so offensichtlich klar gemacht werden, dass die Bundesregierung das unter keinen Bedingungen zulassen wird. Die Euro-Zone und die EU haben an diesem Wochenende schwersten Schaden genommen. Es wird Zeit, dass die Regierungskoalition Konsequenzen zieht und den unkalkulierbaren Risikofaktor im Finanzministerium aufs Altenteil schickt.
Für die Bundesregierung – und allem Anschein nach gilt das auch zumindest für Teile der SPD – ist die EU und mit ihr die Euro-Zone kein Projekt Gleicher unter Gleichen mehr. Die Suche nach gemeinsamen Lösungen ist ausgetauscht worden gegen das Recht des Stärkeren, der Schwächere in unerträglicher Weise demütigt. Die falschen Entscheidungen der Starken stürzen die Schwachen in Not, in der den Hilfsbedürftigen für die Aussicht auf Rettung weitere Zugeständnisse abverlangt werden, die die Not unweigerlich vergrößern. Griechenland akzeptiert die formulierten Bedingungen nicht, weil sie gut sind, sondern, weil ihnen die Pistole an die Schläfe gesetzt wurde. Vermutlich – und das scheint der Bundesfinanzminister genau zu wissen, andernfalls hätte er nicht so erfolgreich mit dem Grexit drohen können – erwartet die griechische Regierung von einem Euro-Austritt noch schlimmere wirtschaftliche Folgen als die ihr nun abgetrotzten Zugeständnisse befürchten lassen. Die Entwicklungen in Griechenland in der vergangenen Wochen dürften da ein Vorgeschmack gewesen sein.
Die Institutionen schrecken nicht davor zurück, faktisch die Souveränität eines Landes auszuhebeln. Sie wollen Griechenlands Souveränität zerstören, weil ihnen die Regierung nicht passt. Künftig muss Griechenland für jeden Schritt die Zustimmung der Institutionen einholen. Griechenland wird zum Mündel gemacht. Zwar darf das griechische Parlament noch abstimmen, aber die Kugel ist schon im Lauf, falls die Entscheidungen nicht genehm sind. Wahlen der Bürger oder Volksentscheide werden zur Makulatur. Nicht weil die Griechen es so wollen, sondern weil ihnen mit wirtschaftlichem und sozialem Aus droht, herbeigeführt durch Entscheidungen der sogenannten Partner in der Europäischen Union. Wer solche Freunde hat braucht keine Feinde mehr.
Betrieben werden die Erpressungen von einem Gremium, das nach den Europäischen Verträgen keinerlei Entscheidungsbefugnis hat: Formell ist die Euro-Gruppe ein informeller Treff der Euro-Staaten - nichts weiter. Die bezeugte Arroganz, man erwarte von Griechenland, zerstörtes Vertrauen wieder aufzubauen, indem innerhalb zweier Tage das Mehrwertsteuersystem umgebaut, das Rentensystem neu strukturiert und automatische Ausgabenkürzungen festgeschrieben werden, falls der Primärüberschuss unter den diktierten Grenzen bleibt, ist dann fast nur noch eine Randnotiz. Hinzu kommen Forderungen zur »Modernisierung« des Tarifsystems und eine weiter reichende Privatisierung. Und all das nur, um über ein weiteres Hilfspakt überhaupt erst zu reden.
Dies sind zerstörerische Tage für das europäische Projekt. Die Macht triumphiert über die Demokratie. Hoffentlich trägt die europäische Idee länger als die gnadenlosen Betonköpfe der Bundesregierung - gemäß dem Motto »Habe immer mehr Träume als die Realität zerstören kann.«
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 14. Juli 2015
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