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Griechenland: Die Faschisten ante portas

Von Conn Hallinan *

Wenn ungefähr 70 Mitglieder der neo-Nazi Organisation Goldene Morgendämmerung irgendwann in diesem Frühjahr vor Gericht stehen werden, dann stehen da nicht nur Straßenschläger und faschistische Ideologen auf dem Gerichtsterminkalender, sondern auch ein verwobenes Netz von Verbindungen, das wohl die griechische Polizei, die nationale Sicherheitsbehörde, reiche Oligarchen und die politischen Parteien des Mainstream umfasst. Während die Goldene Morgenröte mit ihrer Holocaust-Leugnung, ihren Hakenkreuzen und Heil-Hitler Grüßen zwar so aussieht, als ob sie an den Rändern beheimatet ist, so reicht die Organisation in Wirklichkeit doch mit ihren Wurzeln bis tief ins Herz der griechischen politischen Kultur.

Was sie dann auch so gefährlich macht.

Die Neigung der Goldenen Morgenröte zu Gewalt war es, die zur Beschuldigung, dass es sich um eine kriminelle Organisation handele, geführt hatte. Sie wurde mehrerer Morde beschuldigt, sowie Angriffen auf Immigranten, Linke und Gewerkschaftler. Bei Durchsuchungen wurden Waffenverstecke entdeckt. Ermittler haben ferner Informationen geliefert, die nahelegen, dass die Organisation enge Verbindungen unterhält zu reichen Reedern, wie auch dem griechischen Geheimdienst und kommunalen Polizeibehörden. Mehrere Anwälte, die zwei Opfer von Gewalttaten der Mitglieder der Organisation vertreten – einen 27-jährigen pakistanischen Immigranten, der letztes Jahr erstochen wurde und einen afghanischen Immigranten, der 2011 mit einem Messer angegriffen wurde – behaupten, dass ein hochrangiger Offizieller von des griechischen Geheimdienstes (EYP), der für die Überwachung der Goldenen Morgenröte zuständig ist, über Verbindungen zu dieser Organisation verfügt. Diese Enthüllungen erzwangen im letzten September den Rücktritt von Dimos Kouzilos, dem Leiter der dritten Abteilung der Gegenspionage.

Es gab mehrere Warnzeichen über Kouzilos, als er vom Vorsitzenden der rechten Neuen Demokratie Partei, Premierminister Antonis Samaras, zum Leiter der Geheimdienstabteilung ernannt wurde. Kouzilos ist ein Verwandter eines Parlamentsmitgliedes der Goldenen Morgenröte, der seinerseits die Verbindung der Partei zur Schiffsbauindustrie darstellt. Kouzilos steht weiterhin einer Gruppe von Polizei-Offizieren in Nikea nahe, gegen die derzeit wegen Verbindungen mit der Goldenen Morgenröte Ermittlungen laufen. Ermittler behaupten, dass die Polizei von Nikea sich weigerte, Beschwerden von Flüchtlingen und Immigranten entgegenzunehmen, die von Parteimitgliedern verprügelt worden waren, und der Polizeichef, Dimitris Giovandis, gab der Partei Hinweise über die gegen sie laufende Überwachung.

Bei der Übergabe ihrer Untersuchungsergebnisse sagten die Anwälte: “Wir glauben, dass diese Informationen einen Überblick geben über die langfristige Durchdringung und die Aktivitäten der kriminellen Nazi-Bande mit dem EYP und der Polizei.“ Ein Bericht des Büros der Internationalen Untersuchungen dokumentiert 130 Fälle, in denen die Goldene Morgenröte mit der Polizei kollaborierte.

Es sollte also kaum eine Überraschung darstellen, dass es enge Verbindungen zwischen der extremen Rechten und den griechischen Sicherheitskräften gibt. Die gegenwärtige rechts-links Spaltung geht zurück auf das Jahr 1944, als die Briten versuchten, die Kommunistische Partei zu verdrängen – das Rückgrat der griechischen Widerstandsbewegung gegen die NS-Okkupation. Die Spaltung führte schließlich zum Bürgerkrieg von 1946-49, in dem Kommunisten und andere Linke gegen Royalisten und andere Kollaborateure mit den deutschen Besatzern um die Macht kämpften. Der Westen allerdings sah den Bürgerkrieg durch die Brille des entstehenden Kalten Krieges und, auf britische Aufforderung, stellten sich die USA auf die Seite der Rechten, um die Linke zu besiegen. Im Prozess dieser Intervention – damals als die Truman-Doktrin bezeichnet – stellten die US-Geheimdienste enge Verbindungen mit dem griechischen Militär her. Die Verbindungen setzten sich über die folgenden Jahre fort und wurden noch enger, als sich Griechenland 1952 der NATO anschloss. Die Behauptung, dass die USA 1967 den faschistischen Staatsstreich gegen die griechische Regierung unterstützten, ist nie bewiesen worden, aber viele der „Obristen“, die den Umsturz auslösten, hatten enge Verbindungen zu der CIA und dem US-Militär.

Die Goldene Morgenröte wurde gegründet von einigen der Schlüsselpersonen, die während der Junta-Periode 1967-74 Regierungsämter innehatten, und der griechische Diktator Georgios Papadopoulos, der Führer der „Obristen“, die den Staatsstreich anführten, baute den Parteigründer und jetzigen Führer, Nikos Michaloliakos auf. Papadopoulos war ein Nazi-Kollaborateur und diente in deutschen „Sicherheits-Bataillonen“, die während des Zweiten Weltkrieges 130.000 griechische Zivilisten exekutierten. Papadopoulos wurde von der US-Armee ausgebildet und von der CIA rekrutiert. Er war somit der erste CIA-Angestellte, der ein europäisches Land regierte.

Das Festhalten der Goldenen Morgenröte an Hitler, den Nazi-Symbolen und dem Führerprinzip, das den Führer der Partei mit absoluter Autorität ausstattet, ist es, was die Partei, zumindest teilweise, in Schwierigkeiten gebracht hat. Laut einer Untersuchung durch den stellvertretenden Staatsanwalt des Obersten Griechischen Gerichts, Haralambos Vourliotis, ist die Goldenen Morgenröte gespalten in zwei Flügel, einen politischen, der für die rechtliche Fassade der Partei zuständig ist, und einen operationellen zum „Ausführen der Angriffe auf die, die als Feinde der Partei eingeschätzt werden.“ Michaloliakos leitet beide Flügel.

Die Staatsanwälte werden versuchen nachzuweisen, dass Angriffe und Morde nicht Taten einzelner Individuen sind, die zufällig Mitglieder der Goldenen Morgenröte sind, weil eigenständige Aktionen im Widerspruch zum Führerprinzip stehen. Bei vielen der Angriffe waren führende Mitglieder der Goldenen Morgenröte, und gelegentlich auch Abgeordnete des Parlaments, herausragend beteiligt. Und in der Tat, seit sich die Führung und die Kerntruppe der Partei in Haft befinden seit letzten September, sind die Angriffe auf Ausländer und Linke deutlich zurückgegangen.

Es gibt ferner auch traute Beziehungen zwischen der Goldenen Morgenröte und einigen Geschäftsleuten, bei denen die Partei als eine Art „Thugs (Schläger)-R-Us“ Organisation dient. Ermittler behaupten, dass kurz nach dem Besuch zweier Parlamentsabgeordnete der Partei in den Schiffswerften von Piräus eine Bande von Goldener Morgenröte Kommunisten attackierte, die Gewerkschaftler dort unterstützten. Die Goldene Morgenröte versuchte auch, eine betriebliche Gewerkschaft zu organisieren, die Verringerung Bezahlung und anderer betrieblicher Leistungen für die Beschäftigten zur Folge gehabt hätte. Als Gegenleistung spendeten die Werfteigentümer 240.000 Euros an die Goldene Morgenröte.

Die Ermittler beschuldigen die Partei ferner, dass sie Mittel erwirbt durch Schutzgeldeintreibung, Geldwäsche und Erpressungen. Der Journalist Dimitris Psarras, der seit Jahrzehnten über die Goldene Morgenröte forscht und schreibt, argumentiert, dass die Partei erfolgreich ist nicht weil sie die Wirtschaftskrise aufgreift, sondern weil seit Jahren die Regierungen, sowohl der Sozialisten wie der Konservativen, und die Justiz weggeschaut haben beim wachsenden Einsatz von Gewalt durch die Goldene Morgenröte. Es war dann der Mord an dem griechischen anti-faschistischen Rapper/Dichter Pavlos Fyssas, der die Behörden zwang, endlich gegen die Organisation vorzugehen. Das Töten von Nord-Afrikanern war eine Sache, das Töten eines Griechen dann doch etwas anderes.

Anstatt sich bei der letzten Wahl mit der Goldenen Morgenröte auseinanderzusetzen wetterte die Neue Demokratie Partei gegen „Marxisten“, „Kommunisten“ und – unter Benutzung eines Slogans aus dem Bürgerkrieg von 1946-49 – „Banditen“. Sogar Parteien der Mitte, wie die Griechische Sozialistische Partei (PASOK) und die neue Potami Partei, verurteilten beides „Linke und Rechte“, als ob die zwei gleichwertig wären.

Die Neue Morgenröte (diese Bezeichnung taucht hier im Text hier erstmalig auf, ist das der neue Name der Partei?) erlebte eine Verringerung ihrer Wählerbasis von 426.025 aus der Wahl von 2012 auf 388.000 in der Januarwahl, die die linke Partei Syriza an die Macht brachte. Nun ist allerdings die Neue Morgenröte weniger interessiert an Zahlen als am Ausüben von Gewalt ihrerseits. Laut Psarras steht auf der Agenda der Partei „ein Klima des Bürgerkrieges zu schaffen, eine Spaltung, bei der die Menschen eine Entscheidung zu treffen haben zwischen Linken und Rechten.“

Einige der Mainstream Parteien haben der Goldenen Morgenröte den Weg erleichtert, indem sie die Angriffe der Partei auf den Nahen/Mittleren Osten und afrikanische Immigranten und Muslime übernahmen, wenn auch in einer weniger aufhetzenden Art und Weise. Aber, worauf Psarras hinweist, „Politikwissenschaftliche Forschung hat seit langem nachgewiesen, dass wann immer konservative europäische Parteien in Wahlkämpfen Elemente der Rhetorik und Politik der äußersten Rechten übernehmen, das Resultat eine Stärkung der Parteien der extremen Rechten ist.“

Das war sicherlich der Fall in den letzten Wahlen zum Europäischen Parlament, als sich Mitte- und Rechtsparteien in Frankreich und Großbritannien weigerten, den Rassismus und die Islam-Phobie der extrem rechten Parteien zu deutlich kritisieren, nur um dann zu erleben, dass letztere starke Stimmenzugewinne hatten.

Laut Vourliotis von Obersten Gericht glaubt die Goldene Morgenröte dass „diejenigen, die nicht der Volksgemeinschaft angehören, untermenschlich sind. Unter diese Kategorie fallen ausländische Immigranten, Roma, diejenigen, die den Ideen der Partei nicht zustimmen und sogar Menschen mit mentalen Problemen.“ Die Partei leugnet den Holocaust: „Es gab keine Krematorien, das ist eine Lüge. Oder auch Gaskammern“, sagte Michaloliakos in einem national ausgestrahlten TV-Interview 2012. Dabei wurden etwa 60.000 Mitglieder der jüdischen Bevölkerung Griechenlands während des Zweiten Weltkriegs in die Todeslager verschleppt und ermordet.

Der Prozessbeginn ist auf den 29. April gelegt, er könnte aber verzögert werden. Mitglieder der Goldenen Morgendämmerung, einschließlich Michaloliakos und viele Parlamentsabgeordnete, wurden am 18. März entlassen, und zwar weil sie vor Prozessbeginn nicht länger als 18 Monate in Untersuchungshaft gehalten werden können. Die Partei, mit ihren engen Verbindungen zur Geschäftswelt und der „augenzwinkernden“ Beziehung zur Neuen Demokratie“ – diese rechte Partei des Mainstream druckte offensichtlich die Wahlbroschüren der Goldenen Morgendämmerung – verfügt über beträchtliche Ressourcen, um sich gegen die Anklage zur Wehr zu setzten. Die Neue Morgenröte hat über 100 Anwälte angeheuert.

Bei einer Verurteilung könnte den Neue Morgenröte Mitglieder bis zu 20 Jahre Gefängnis drohen, aber unter den anti-faschistischen Kräften besteht kein großes Vertrauen in die griechische Justiz. Die Gerichte sind bisher stumm geblieben angesichts des gesteigerten Einsatzes von Gewalt seitens der Goldenen Morgenröte, und einige Kommunalbeamte sind beschuldigt worden, mit der Organisation zu sympathisieren.

Eines der Gesetze, gemäß dem die Partei angeklagt wird, ist Artikel 187A, was sich als recht knifflig erweisen kann. Die Goldene Morgenröte wird angeklagt wegen ihres Charakters als krimineller Organisation, Mordes, Körperverletzung und illegalem Waffenbesitzes; allerdings greift Artikel 187A nur, wenn diese Verbrechen eine politische Dimension annehmen und ein Ausmaß erreichen, das eine Einschüchterung einer Gruppe von Menschen oder Teilen der Bevölkerung darstellt. Dies ist aber ein unsicheres Konzept, denn die Staatsanwaltschaft wird eine „Absicht“ nachweisen müssen. Das gibt der Verteidigung eine Menge Gelegenheit, in einemrechtlich undefinierten Gebiet zu operieren, insbesondere wenn die Verteidigung über gute Finanzmittel verfügt und die Gerichte verständnisvoll sind.

Thanasis Kampagiannis warnt, dass die Partei nicht von sich aus verschwinden wird. „Viele haben den Eindruck dass das Problem irgendwie verschwinden wird, wenn wie aufhören über die Goldene Morgenröte zu reden. Das ist aber nicht der Fall. Zwar hat die Wirtschaftskrise die Partei aufpoliert, aber es gibt andere Ursachen, die zu ihrer Existenz und Prominenz beigetragen haben, wie z.B. die verschärfte staatliche Repressionen und die Institutionalisierung des Rassismus durch die herrschenden Parteien.“

Aber Gerichte sind politische Institutionen und reagieren auf Strömungen in der Bevölkerung. Anti-Faschisten rufen die Griechen und die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Druck aufrecht zu erhalten und zu verlangen, dass der Neuen Morgenröte der Prozess gemacht wird.

Die Deutschen haben diese Gelegenheit damals mit der NSDAP verpasst und einen schrecklichen Preis dafür bezahlt.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Eckart Fooken

* Original: Greece: Fascists At The Gate, 23.03.2015; erschienen in: Dispatches From the Edge; March 23, 2015 ; https://dispatchesfromtheedgeblog.wordpress.com/


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