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"Der Druck von unten ist entscheidend"

Die griechische Regierung unterwirft sich der herrschenden Klasse Europas, obwohl es Alternativen gäbe. Gespräch mit Nikos Kanellis *


Nikos Kanellis ist Sprecher der Organisation Xekinima und Stadtrat in Volos, Griechenland. In das Amt wurde er über eine Liste der Syriza gewählt.

Was denken Sie über die Einigung zwischen der EU und der Syriza-Regierung?

Es handelt sich dabei um einen Rückschritt im Vergleich zu den gemachten Wahlversprechen. Zum einen weil die Schulden in voller Höhe zurückgezahlt werden sollen. Vor den Wahlen hat Syriza noch einen Schuldenschnitt gefordert. Zum anderen muss weiterhin jede Maßnahme der Regierung von der Troika akzeptiert werden – nur dass die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds und die EU nun »die Institutionen« genannt werden. Und mehr noch: Das Kabinett verpflichtet sich, keine Maßnahmen umzusetzen, die den bisherigen beschlossenen Abmachungen widersprechen, welche aus harten Austeritätsmaßnahmen (Kürzungen, jW) bestehen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Regierung einer permanenten Erpressung der Troika ausgesetzt sein wird.

Gab es für Premierminister Tsipras und Finanzminister Varoufakis eine Alternative zur Zustimmung angesichts des enormen Drucks von Schäuble und Co.?

Die gab es! Die große Mehrheit der Bevölkerung hätte eine »harte Haltung« unterstützt. Deshalb fanden im ganzen Land, selbst auf kleinen Inseln, Massendemonstrationen zur Unterstützung der Regierung statt. Im »Kampf« mit der Troika haben 70 bis 80 Prozent die griechische Regierung unterstützt. Xekinima und andere Kräfte aus der Linken, auch einige Syriza-Abgeordnete, haben vorgeschlagen, dass Tsipras ein Referendum durchführt zur Frage: »Euro und Austerität oder eine Politik gegen Kürzungen im Interesse der Arbeiterklasse und der Drachme?« Wir sind fest davon überzeugt, dass in dieser Situation sich die Mehrheit für einen Bruch mit dem Euro ausgesprochen hätte.

Gleichzeitig haben wir erklärt, dass die Wiedereinführung der Drachme für sich allein noch keine Lösung der kapitalistischen Krise darstellt und einhergehen müsste mit der Durchsetzung sozialistischer Politik, um die Wirtschaft wieder auf einen Wachstumskurs im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu bringen.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung? Wird die Unterstützung für Syriza nun zurückgehen?

Ein großer Teil der griechischen Gesellschaft befürwortet die Syriza weiterhin, weil sie sie mit der verhassten Vorgängerregierung vergleicht, die die schlimmste arbeiterfeindliche Politik zu verantworten hatte. Die Menschen sind auch erleichtert, dass erst einmal keine neuen Kürzungen auf der Agenda stehen.

Gleichzeitig ist vielen klar, dass die Regierung unter dem Druck der herrschenden Klasse Europas, Deutschlands und Griechenlands zurückweicht und ihre Wahlversprechen nicht einhält. So gibt es in großen Teilen der Gesellschaft eine gewisse Verwirrung und Enttäuschung, was an der schwächeren Teilnahme an den letzten Demonstrationen zu erkennen ist.

Was sollte die Regierung und insgesamt die griechische Linke nun tun?

Nötig sind unmittelbare Maßnahmen gegen die massenhafte Verarmung, wie die versprochene Wiedereinführung der Tarifverträge, die Erhöhung des Mindestlohns und die Abschaffung der heftigen Immobiliensteuer für Arbeiterfamilien, die sich diese nicht leisten können und Gefahr laufen ihre Häuser zu verlieren. Auch wenn das nicht sehr weitgehende Schritte sind, würden sie von der griechischen Bevölkerung enthusiastisch unterstützt werden.

Gleichzeitig sollte Tsipras erklären, wer für den hohen Schuldenstand tatsächlich verantwortlich ist und auf dieser Basis die Rückzahlung einstellen. Dann sollte die Regierung sozialistische Politik umsetzen, wie die Verstaatlichung der Banken und entscheidender Wirtschaftsbereiche unter Kontrolle und Verwaltung der Arbeiterklasse und Gesellschaft, öffentliche Investitionsprogramme und Wirtschaftsplanung. Die Volkswirtschaft sollte geschützt werden vor Profitstreben und Sabotage des Kapitals. Leider geht Tsipras einen anderen Weg. Deshalb ist der Druck von unten entscheidend.

Interview: Sascha Stanicic

* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. März 2015


Neue Pokerrunde

Euro-Gruppenchef Dijsselbloem stellt Griechen rasche Zahlung bei »Reformen« in Aussicht. Varoufakis spekuliert über Zahlungsaufall

Von Dieter Schubert **


Wenig Bewegung, aber viele Wortgefechte in der Griechenland-Krise: Die Euro-Gruppe verspricht der Regierung in Athen eine zügige Überweisung der im verlängerten »Hilfspaket« vereinbarten Kredittranchen. Der Vorsitzende des Gremiums der Finanzminister, der niederländische Ressortchef Jeroen Dijsselbloem, nannte am Montag die Voraussetzung: Athen müsse mit der Umsetzung von Reformen beginnen. Auf der anderen Seite hat der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis erneut die Verletzlichkeit der Währungsunion vorgeführt. Mit einer Warnung vor einem bevorstehenden Zahlungsausfall sorgte der Minister für Unruhen bei diversen Finanzmarktakteuren (Börsenkurs minus 2,8 Prozent in Athen) – die in solchen Fällen nach Brüssel, nicht nach Athen schauen. Varoufakis hatte am Wochenende in einem TV-Interview die Rückzahlung von Staatsanleihen in Höhe von 6,7 Milliarden Euro in Frage gestellt. Diese (Papiere) werden von der Europäischen Zentralbank (EZB) gehalten und im Sommer fällig. »Wenn wir das Geld hätten, würden wir bezahlen«, sagte der frühere Ökonomie-Professor: »Sie wissen, dass wir es nicht haben.«

Bei der neuen Runde der alten Pokerpartie Brüssel-Athen geht es erneut darum, wer die Tagesordnung schreibt. Brüssel (und die Regierung in Berlin im speziellen) will »Reformen« sehen. Das heißt, zumindest Teile der längst in Athen vorliegenden Forderungsliste der Geldgeber müssen abgearbeitet, oder wenigstens damit begonnen werden. Sonst verlieren EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds (Troika) ihr Gesicht und Teile ihrer Handlungsfreiheit. Varoufakis weiß um den Druck der Finanzmarktakteure auf das inzwischen »Institutionen« genannte Dreiergespann. Das reizt der Minister im Sinne seines Mandats konsequent aus. Sein Ziel dürfte weiterhin sein, neue Zusagen für Zahlungen zu erhalten - ohne die derzeitigen »Troika«-Konditionen. Das tatsächliche Ass im Ärmel der griechischen Regierung ist und bleibt die panische Angst Brüssels – und Washingtons – vor einem »Grexit«, wie ein unfreiwilliger oder freiwilliger Ausstieg Griechenlands aus dem Euro-Verbund genannt wird. »Scheitert der Euro, scheitert Europa« hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel 2010 gesagt. Das ist kein Propagandageschwätz mehr, das ist Doktrin der deutschen »Europapolitik« (falls man das Gewürge so nennen darf). Berlins »Partner« haben das begriffen, auch weil ihnen klar ist, dass das deutsche Kapital am stärksten von der Währung profitiert. So konsequent wie Varoufakis hat das indes bisher noch kein Bundesgenosse thematisiert. Allerdings muss die von der Linkspartei Syriza geführte Regierung besonders auf die Innenwirkung ihrer Verhandlungen achten. Eine Weiterführung des Troika-Diktats – mit welchen Umschreibungen auch immer – könnte problematisch für die weitere Akzeptanz der Truppe um Premier Alexis Tsipras werden.

Fakt ist, laut einer mit den Geldgebern am 13. Februar in Brüssel erzielten Vereinbarung über die viermonatige Weiterführung des 2012 ausgehandelten »Hilfsprogramms« muss das Land bis Ende April einen detaillierten Reformplan vorlegen, um das vereinbarte Geld zu bekommen. Dijsselbloem sagte der Financial Times: »Meine Botschaft an die Griechen lautet: Versucht das Programm zu starten, bevor die gesamten Verhandlungen beendet sind.« Denn es gebe »Elemente, mit denen bereits heute begonnen werden kann. Wenn ihr das tut, dann könnte es irgendwann im März eine erste Überweisung geben. Das aber würde Fortschritt erfordern und nicht bloß Absichten.«

Aktuell geht es noch um die Zahlung von 7,2 Milliarden Euro aus dem laufenden Programm des »Rettungsfonds« EFSF und des IWF. Darin enthalten sind auch Zinsgewinne der EZB aus ihren Hellas-Anleihen, die wieder zurück nach Athen fließen sollen. Um bereits im März eine erste Abschlagszahlung zu bekommen, müssten Tsipras und Varoufakis ein paar Kröten schlucken. Vordringliche Reformen »prior actions« müssten begonnen und von den auch weiterhin aktiven »Reformkontrolleuren« der Troika/Institutionen bestätigt werden. Erst dann soll Geld fließen. Und damit steht auch (wieder einmal) Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (EU)im Wort. Der hatte am Wochenende in der ARD Athen erneut gewarnt: »Sobald er (Varoufakis) die erste Zahlung nicht leistet, ist das ein sogenannter Default (Zahlungsausfall, also Pleiteauslöser), und was dann für Griechenland passiert, das möchte ich an seiner Stelle nicht verantworten.«

Im März muss Griechenland Medienangaben zufolge einen Kredit des IWF von rund 1,6 Milliarden Euro zurückzahlen, im April 800 Millionen Euro für Zinsen aufbringen. Im Juli und August benötigt das Land dann 7,5 Milliarden Euro für die EZB und für andere Zinsverpflichtungen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 3. März 2015


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