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Kein Abs für Athen

Der Deutsche-Bank-Manager verhalf mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 den Bundesdeutschen zu Wohlstand und Wirtschaftswunder – für Griechen ist so was nicht zu vertreten

Von Otto Köhler *

Jahrelang hat die außerplanmäßige Professorin Ursula Rombeck-Jaschinski das alles wissenschaftlich erforscht und wußte es darum am vorletzten Mittwoch auf Spiegel-online ungeheuer genau: »Deutschland hat alles getan, um zu zeigen, dass es ein zuverlässiger Schuldner ist. Griechenlands frecher Ton ist völlig anders.«

Die Fachfrau ist Gattin des Fachmanns Siegfried Jaschinski. Der schrieb 1981 seine Dissertation über »Alexander und Griechenland unter dem Eindruck der Flucht des Harpalos« – der Schatzmeister des großen Makedonen floh mit viel Geld und entkam durch Bestechung der Bestrafung. Jaschinski seinerseits wurde 1986 bei der Deutschen Bank (Ehrenvorsitzender damals: Hermann Josef Abs, 1901–1994) engagiert und hörte 2009 als Präsident des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands und als Vorstandsvorsitzender der bekannten Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) auf. Dort hatte der »Ackermann der Landesbanken« (Stuttgarter Zeitung) die notleidende Sachsen-LB aufgenommen und auch sonst alljährlich ordentliche Milliardenverluste erzielt und musste deshalb eine Haussuchung bei der LBB und im Heim der Jaschinskis über sich ergehen lassen. Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der schweren Untreue durch kreative Bilanzführung wurde, nachdem das Landgericht Stuttgart einen geeigneten Gutachter gefunden hatte, gegen Zahlung von 50.000 Euro im April 2014 eingestellt.

Zu dieser Zeit hatte sich Ehefrau Ursula längst schon mit ihrer staatsbürgerlich wertvollen Arbeit an der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf habilitiert, Titel: »Das Londoner Schuldenabkommen. Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg«, erschienen 2005.

Ihr Fazit: »Die Erfolgsgeschichte des Londoner Schuldenabkommens war sozusagen der finanzökonomische Teil des deutschen Wirtschaftswunders, der sich in stiller Effizienz weitgehend unbemerkt vollzog.« Held dieser Erfolgsgeschichte: Hermann Josef Abs. »Dass die Abwicklung der immensen deutschen Auslandsverschuldungen aus der Vor- und Nachkriegszeit derart problemlos vonstatten gehen würde, war während der langen und schweren Schuldenverhandlungen nur von notorischen Optimisten erwartet worden. Hermann J. Abs hatte stets zu denen gehört, die ihren Zukunftserwartungen ein positives Szenarium zugrundelegten.«

Aufsichtsrat für IG Auschwitz

Tatsächlich war Hermann Josef Abs der ideale deutsche Verhandlungsführer zur Regelung ungeklärter Vermögensfragen. Schon seit 1938 war er als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank zuständig für die »Arisierung« jüdischer Vermögen. Eine offizielle Biographiensammlung über die Männer der IG Farbenindustrie (Jens Ulrich Heine: »Verstand und Schicksal«) nennt das 1990 so: »Hilfeleistung durch Rettung von Vermögensteilen bei der ›Arisierung‹ der deutschen Wirtschaft durch die NSDAP für die Inhaber des von der Deutschen Bank übernommenen Berliner Bankhauses Mendelssohn & Co. sowie für andere jüdische Bankiers und Unternehmer.«

Abs hatte die deutsche Wirtschaft so erfolgreich vor der »Arisierung« durch die NSDAP geschützt, dass ihm sein Banker-Kollege Baron Kurt von Schröder – der, in dessen Villa Hitler am 4. Januar 1933 in die Regierung vermittelt wurde – 1945 bestätigte: »Abs erwies sich für die Partei und die Regierung als sehr wertvoll, indem er seine Bank benutzte, um die Regierung bei Geschäften in okkupierten Ländern und im sonstigen Ausland zu unterstützen.«

Seit 1940 war er im Aufsichtsrat der IG Farben, also auch über die IG Auschwitz, die am 7. April 1941 gegründet wurde, als ein »fester Eckpfeiler für ein gesundes Deutschtum im Osten«. In dieser Position war er Angehöriger der Interessengemeinschaft Auschwitz, wo im Rahmen des Programms »Vernichtung durch Arbeit« die SS der IG für ihr Werk in Auschwitz KZ-Häftlinge zur Verfügung stellte, bis die so entkräftet waren, dass sie zwecks Entlastung, wie es im Jargon von Wirtschaftsleuten heißt, der SS in ihre Gasöfen rücküberstellt werden konnten. Auch Abs trug für Zwangsarbeit direkte Verantwortung. Im Aufsichtsrat der IG stimmte er am 30. Mai 1942 zu, dass der Arbeitskräftemangel durch verlängerte Arbeitszeit und durch den Einsatz von Frauen, Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen ausgeglichen werden solle.

Die mit den Ermittlungen gegen die Deutsche Bank beauftragte Sektion der US-Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands hatte 1947 empfohlen, dass »1. die Deutsche Bank liquidiert wird, 2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden, 3. die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben ausgeschlossen werden«.

Daraus ist leider nichts geworden – der Kalte Krieg kam dazwischen. Und Abs, der nicht zuletzt gemeint war, arbeitete, während diese US-Empfehlung niedergeschrieben wurde, längst in der britischen Zone am Wiederaufbau der Deutschen Bank, die sich allerdings bis 1957 – zufälligerweise war da die Remilitarisierung abgeschlossen – unter anderen Namen verstecken musste. Abs, der dann den Vorstandsvorsitz offiziell übernahm, war 1945 von Berlin nach Hamburg geflohen und hatte von dort die Untergrundtätigkeit der Deutschen Bank gelenkt.

Ganz schnell stieg Abs nun auch zum finanzpolitischen Berater der ersten Bundesregierung auf, begründete aber auch zwecks moralischer Erneuerung des deutschen Volkes zusammen mit Konrad Adenauer die von den Nazis unterdrückte deutsche Komturei der Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem neu. Im Auftrag des Bundeskanzlers führte er die deutsche Delegation bei der Konferenz über die Regelung der deutschen Auslandsschulden 1952 in London. Nachdem 1951 das Gesetz zur Wiedereinstellung von ehemaligen Angehörigen der NSDAP nach Artikel 131 des Grundgesetzes mit dem Erfolg verabschiedet worden war, dass in vielen Ämtern der Bundesrepublik mehr – dieser mutmaßlich ehemaligen – NSDAP-Mitglieder saßen als vor 1945, wollte Adenauer zur Beruhigung der Weltöffentlichkeit eine Erklärung zur – wie er das nannte – »Judenfrage« abgeben. Er tat das am 27. September 1951 in einer feierlichen Sitzung des Bundestages. Quintessenz: »Hinsichtlich des Umfangs der Wiedergutmachung (...) müssen die Grenzen berücksichtigt werden, die der deutschen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung der zahllosen Kriegsopfer und der Fürsorge für die Flüchtlinge gezogen sind.« Ursprünglich sollte an dieser Stelle – aber darauf verzichtete man dann doch lieber – eine Formulierung über Einschränkungen durch die bittere Notwendigkeit der Wiederaufrüstung stehen.

Und so begannen, etwa gleichzeitig mit den Londoner Verhandlungen über die deutschen Auslandsschulden, in Den Haag Gespräche mit Israel und mit jüdischen Organisationen über eine »Wiedergutmachung«. Später, in seinen Erinnerungen, gibt Abs vor, dass er diese Verhandlungen für »eine moralisch-politische Aufgabe von höchster Wichtigkeit« gehalten habe. In Wahrheit hat er damals mit aller Kraft gegen ihr Zustandekommen gekämpft, Seite an Seite mit Fritz Schäffer. Der seinerzeitige Bundesfinanzminister, ein alter Nazisympathisant und wüster Antisemit, war nach dem Krieg erster bayerischer Ministerpräsident und wurde, wie nach ihm Ludwig Erhard, als bayerischer Wirtschaftsminister von der US-Besatzungsbehörde abgesetzt. Beide hatten fast nur alte Nazis in die Regierung geholt.

Wütend über die Wiedergutmachungsgespräche mit Israel schickte Abs am 22. Februar 1952 seinem sehr verehrten Herrn Bundeskanzler – »Streng vertraulich!« - einen Brief: »Wenn nun, wie ich aus der Presse und im Anschluss daran durch Rückfrage bei Ihnen am 20. Februar erfahren habe, am 17.3. ds. Js. offizielle deutsche Verhandlungen mit Vertretern Israels über Festlegung und Tilgung der von Israel beanspruchten Forderungen beachtlichen Ausmaßes eröffnet werden sollen, so würden derartige Verhandlungen der oben genannten Rechtslage widersprechen.«

Er forderte, vor Abschluß der Londoner Konsultationen dürfe es keine Zahlungen an Israel geben und sah schließlich sogar durch die mäßigen jüdischen Wiedergutmachungsforderungen »die Versorgung der Bundesrepublik mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln und Rohstoffen wesentlich« beeinträchtigt. Abs drohte: »Sie werden verstehen, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, dass ich unter diesen, meine Verhandlungsführung in London infrage stellenden Umständen, meinen Auftrag, für die Bundesrepublik in der Aufbringungs- und Transferfrage hinsichtlich der Vor- und Nachkriegsschulden das Bestmögliche herauszuholen, nicht erfüllen kann.«

Gewiss, der gute »Arisierer« war sich nach 1945 der »Notwendigkeit einer Wiedergutmachung« für das »den Juden unter dem NS-Regime Angetane« bewusst, beziehungsweise, so formulierte er vorsichtig, das war »nach Kriegsende vielen bewußt«. Und auch Adenauer fand es zweckmäßig, sich mit den Juden zu »versöhnen«, gab dazu feierliche Erklärungen ab und heckte mit Abs eine Idee aus: Man könne doch Israel als Wiedergutmachung für den Holocaust ein Krankenhaus im Wert von zehn Millionen Mark spendieren.

Leiter der BRD-Delegation für die Verhandlungen mit Israel war der ordoliberale Ökonomieprofessor Franz Böhm, Offizier im Ersten Weltkrieg und späterer CDU-Bundestagsabgeordneter. Von Abs wurde er noch 1991 als Verräter der deutschen Sache denunziert: »Er verstand sich weniger als Leiter einer deutschen Delegation mit dem Auftrag, einen vernünftigen Interessenausgleich zu vereinbaren, sondern in erster Linie als der Anwalt der israelischen Interessen.«

Die kundige Professorin Rombeck-Jaschinski schließt sich dem an. Böhm verlangte, so schreibt sie, »den israelischen Ansprüchen grundsätzlich eine gewisse Priorität zuzubilligen«. Eine Frechheit. »Mit diesem Ansinnen«, so formuliert sie in ihrer Habilitation, »stieß Böhm jedoch auf die entschiedene Ablehnung von Abs.«

»Juden betrögen uns ja doch«

Stellvertreter Böhms war der – schon verdächtig – 1933 entlassene Richter Otto Küster, Wiedergutmachungsbeauftragter von Baden-Württemberg. Über den Verlauf einer Kabinettssitzung, zu der er zusammen mit Böhm am 5. April 1952 vorgeladen war, notierte Küster in sein Tagebuch: »Es beginnt flau und bös; Adenauer fällt Böhm ins Wort, die Zahlen könnten wir uns sparen, die Juden betrögen uns ja doch; Abs läßt mich nicht ausreden, ich muß, von Hallstein ermuntert, förmlich darauf bestehen, vollständig gehört zu werden.«

Davon steht bei Rombeck-Jaschinski kein Wort. Wohl aber beanstandet sie einen FAZ-Artikel, in dem vom »unüberwindbaren Widerstand der verantwortlichen Stellen gegen eine ausreichende Wiedergutmachung« die Rede war. Die außerplanmäßige Professorin in ihrer Habilitationsschrift: »Dies war starker Tobak an der Grenze zum Rufmord.« Eine große wissenschaftliche Leistung, mit der sie bewiesen hat, dass sie ihr Fach ganz nach Vorschrift in voller Breite in Forschung und Lehre vertreten kann – jedenfalls in der Bundesrepublik.

Erstaunlich nur: Das von dem Juristen Küster notierte Adenauer-Wort – die Juden betrögen uns ja doch – kommt bei ihr nicht vor. Es mag ihr Recht sein, das nicht zu zitieren. Aber jede Wissenschaft hört auf, wenn die eigentlich doch sehr planmäßige Professorin in ihrem ausführlichen Literaturverzeichnis sehr umsichtig gleich die ganze Quelle unterschlägt, der es entnommen ist. Zumal sie selbst klagt, dass wenig Literatur zu ihrem Thema existiere und angibt, die erste wissenschaftliche Monographie geschrieben zu haben. In ihrer Einleitung erwähnt sie ausführlich alle Arbeiten zum Londoner Schuldenabkommen und den damit verbundenen Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel, denen sie ein ausführliches Kapitel widmet. Nur diesen einen Aufsatz verzeichnet sie nicht: »Versöhnung mit Israel? Die deutsch-israelischen Verhandlungen bis zum Wiedergutmachungsabkommen von 1952«. Er steht im vierten Heft 1986 der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, deren Existenz zur Kenntnis zu nehmen Ursula Rombeck-Jaschinski schon als Studentin nicht vermeiden konnte, wenn sie je ein Historisches Seminar betrat. Verfasst hat den Aufsatz Kai von Jena. Der ist vielleicht nicht so habilitiert wie unsere selektionsfähige Autorin, wohl aber sachkundiger Referatsleiter im Bundesarchiv.

Böhm und Küster verlangten an jenem 5. April 1952, man müsse Israel gegenüber wenigstens anerkennen, dass ihm Eingliederungskosten in Höhe von 4,5 Milliarden Mark entstanden sind, von denen die BRD zwei Drittel, also 3 Milliarden zu leisten hatte. Diese sehr niedrige Summe von 9.000 Mark für jeden der 500.000 jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland hatten ausgerechnet Sachverständige des Bundesvertriebenenministeriums benannt. Abs drohte sofort und zum wiederholten Mal mit seinem Rücktritt von der Leitung der Londoner Verhandlungsdelegation, wenn den Israelis bei den Gesprächen in Den Haag auch nur irgendeine Ausgangssumme genannt werde. Adenauer, vom US-Hochkommissar John Jay McCloy am Vortag unter Druck gesetzt, stimmte schließlich zu, die Summe als unverbindlichen rechnerischen Ausgangspunkt zu nennen, keineswegs jedoch als Angebot. In Den Haag durften Böhm und Küster lediglich erklären, sie würden der Bundesregierung empfehlen, drei Milliarden zu zahlen, könnten jedoch keine festen Zusagen machen.

Am selben Tag erschien in der FAZ ein vom Adenauer-Berater Herbert Blankenhorn lancierter Bericht, wonach Böhm und Küster mit ihrer Erklärung über die ihnen erteilten Vollmachten hinausgegangen seien (Adenauer-Intimus Blankenhorn, ehemaliges NSDAP-Mitglied aus dem von der SS beherrschten Auswärtigen Amt, war Leiter der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission im Bundeskanzleramt). Daraufhin brachen die Israelis, denen nicht entgangen war, wie sehr ihre beiden deutschen Verhandlungspartner schon vorher von der Bundesregierung desavouiert worden waren, die Verhandlungen ab. Abs 1991: »Dennoch war der internationale Druck auf die Bundesregierung nicht übermäßig stark. Das Interesse, zunächst die eigenen Ansprüche in London befriedigt zu sehen und von der Bundesrepublik einen angemessenen Verteidigungsbeitrag zu erhalten, überwog offensichtlich.«

Unverschämter Hornochse

Abs hatte einen üblen Trick angewandt. Er hatte auf der Londoner Schuldenkonferenz erklärt, die Israelis wollten zwölf Milliarden DM. In Wahrheit verlangten sie nur 4,2 Milliarden, dazu kamen noch 500 Millionen, die von der jüdischen Hilfsorganisation Claims Conference für geraubtes jüdisches Vermögen gefordert wurden, insgesamt also 4,7 Milliarden.

Am 17. Mai 1952 trat Otto Küster zurück, Franz Böhm folgte ihm zwei Tage später. Die Reaktion der Weltmeinung über diesen Protest der deutschen Verhandlungsführer gegen die Adenauer-Regierung schreckte Bonn jetzt doch ein wenig auf, wie Adenauers Staatssekretär Otto Lenz am 23. Mai 1952 in kleinem Kreis zugab: »Was das Auslandspresse-Echo anging, Donnerwetter, da waren wir doch alle ziemlich bestürzt!«

In Abs’ Memoiren wird die Dramatik der Auseinandersetzungen nur gelegentlich zwischen den Zeilen deutlich. Er sagt Böhm und Küster nach, sie erweckten den Eindruck, »über allen trivial anmutenden finanziellen Fragen zu stehen und allein den Aspekt der Wiedergutmachung im Auge zu haben«. Aufschlussreicher ist da doch die Tagebuchaufzeichnung von Lenz am 20. Mai: »Es kommt dann die Sprache auf den Rücktritt Küsters als stellvertretender Delegationsführer in den Verhandlungen mit Israel. Finanzminister Schäffer berichtet über eine Unterredung mit Böhm und Küster, in der Küster sehr unverschämt gewesen wäre. Nach dieser Unterredung habe Küster seinen Rücktritt erklärt. Vizekanzler [Franz] Blücher behauptet, dass man von der Seite immer mehr verlangen werde, als uns möglich wäre. Böhm sei von der Kollektivschuld Deutschlands überzeugt. [Landwirtschaftsminister Wilhelm] Niklas hat ihn als einen Hornochsen bezeichnet (...) [Arbeitsminister Anton] Storch schimpft dann noch einmal kräftig auf Böhm; er behauptet, dass er einen Vorschlag Abs' entweder mißverstanden habe oder böswillig gewesen sei.« Etwas später in der Kabinettssitzung kommt der Bundeskanzler noch einmal auf das zu sprechen, was Lenz »die jüdische Frage« nennt: »Es entspinnt sich eine erregte Debatte über die Berechtigung der jüdischen Forderungen.«

Das Echo im Ausland zwingt Adenauer, den Parteifreund Böhm zu bitten, doch wieder die Verhandlungsführung mit Israel zu übernehmen. Am 10. September 1952 wurde nach langen Auseinandersetzungen das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel in Luxemburg unterzeichnet. Seine Umsetzung wurde dank der Interventionen von Abs ein gutes Geschäft für die bundesdeutsche Industrie. Denn Israel bekam weniger Geld als vielmehr Warenlieferungen aus deutscher Produktion. Auch so wurde mit dem Erbe von Auschwitz die bundesdeutsche Wirtschaft angekurbelt. Diese »Wiedergutmachungs«-Lieferungen an Israel kamen, wie der Adenauer-Historiker Hans-Peter Schwarz einräumt, »volkswirtschaftlich gesehen, einer aus Steuermitteln geleisteten Hilfe für die beteiligten deutschen Unternehmen gleich«.

Für »völlig unzweckmäßig« hielt es Adenauer, seinem erfolgreichen Verhandlungsführer Böhm das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Und Bundespräsident Theodor Heuss – er hatte zum Ausgleich für das den Juden »Angetane« das gut verträgliche und preiswerte Wort »Kollektivscham« erfunden – lehnte das auch ab, denn »die Auffassung, Böhm habe die Verhandlungen nicht mit dem nötigen Nachdruck geführt, sei sehr verbreitet. Auf der anderen Seite würde die Auszeichnung Böhm sicherlich im arabischen Lager, das mit Mühe nunmehr von seinen Boykottabsichten zurückgehalten werden konnte, neuen Anlaß zu Diskussionen geben.« (Konrad Adenauer und Theodor Heuss: Unter vier Augen. Gespräche aus den Gründerjahren 1949–1959, S. 120)

Jedem das Seine: Abs, der Aufsichtsrat von IG Auschwitz, bekam für seinen »Endsieg« bei der Aushandlung des Londoner Schuldenabkommens am Tag der Bundestagswahl, dem 6. September 1953, von Heuss das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Und Adenauer gab ihm zu Ehren am Vorabend ein großes Essen im Palais Schaumburg.

Der Allzweckbankier hatte es verdient – allein schon wegen des auch heute hochgeschätzten Artikels 5 Absatz 2 jenes von ihm ausgehandelten Londoner Schuldenabkommens, das die Kreditfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft wiederherstellte und das »Wirtschaftswunder« erblühen ließ.

Dieser Artikel 5 Absatz 2 beschäftigt sich mit den »Nicht unter das Abkommen fallenden Forderungen« und verlegt sie in eine ungewisse Zukunft: »Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrag des Reichs handelnde Stellen oder Personen einschließlich der Kosten der deutschen Besatzung, der während der Besetzung auf Verrechnungskonten erworbenen Guthaben sowie der Forderungen gegen die Reichskreditkassen, wird bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt.«

Und diese »Regelung« blieb einem Friedensvertrag mit allen am Zweiten Weltkrieg beteiligten Mächten vorbehalten. Den hat es nie gegeben. Ersatzweise benannte die Bundesregierung den Zwei-plus-vier-Vertrag zur Herstellung der deutschen Einheit. Den aber hatten nur zwei von deutscher Besatzung getroffene Länder unterschrieben: für Frankreich François Mitterrand, der trotz anfänglichen Widerstrebens von der Dampfwalze Helmut Kohl breitgequetscht wurde. Und Michail Gorbatschow, der Liquidator der Sowjetunion, der sich für wenig Geld die DDR abkaufen ließ. Die Unterschrift aller anderen unter deutscher Besatzung ausgeplünderten und in Elend und Inflation getriebenen Staaten Europas fehlt, auch die Griechenlands.

Aber nun kommen die frechen Griechen unter Tsipras und wollen – samt Zins und Zinseszins – elf Milliarden Euro Rückzahlung für einen Kredit, den die Reichsbank während der Besatzungszeit in Athen aufgenommen hat. Eine Reparation wäre das kaum, sondern lediglich die ordentliche Abwicklung eines Kredits, für die die Bundesrepublik als höchst legitime Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches aufzukommen hat.

Reparationen nie beabsichtigt

Am Montag vergangener Woche war der Journalist Frank Plasberg von der ARD-Öffentlichkeit höchst erstaunt, dass es diesen Kredit gegeben hat. Er hätte sich z. B. schon am 19.Mai 2012 in der jungen Welt hier an dieser Stelle informieren können.

Egal, Kredit oder Reparation, die bellizistischen Gedankengängen stets zugeneigte Zeit, konterte am vergangenen Donnerstag mit gesamthistorischer Aufrechnung. Wenn die Griechen von den Deutschen solche »Reparationen« verlangen, könnten das dann nicht auch »die Schlesier von Polen, vielleicht sogar die Deutschen von Schweden (wegen des Dreißigjährigen Krieges)?«

Reparationen? Die waren nie beabsichtigt, allenfalls über die Leiche von Hermann Josef Abs. Professorin Rombeck-Jaschinski von der Kampfgruppe gegen das freche Griechenland würdigt in ihrer Monographie über das Schuldenabkommen: »In seiner Schlußansprache am Ende der Hauptkonferenz hatte der deutsche Delegationsleiter Abs mit aller Entschiedenheit darauf aufmerksam gemacht, dass eine vertragsgemäße Durchführung des Londoner Schuldenabkommens nur unter der Voraussetzung möglich sein würde, dass keine weiteren Reparationsansprüche gegen Deutschland geltend gemacht werden dürften.« Die – westlichen – Besatzungsmächte hätten angesichts der Belastungen durch Wiedergutmachung und, so unterstreicht Rombeck-Jaschinski, angesichts von »künftigen Verteidigungsaufgaben« zugestimmt.

Schon sieben Jahre nach Hitlers Tod war festgeschrieben worden: keine Reparationen für die von den Deutschen ausgeplünderten Länder Europas, dafür aber die Wiederauflage der Wehrmacht unter dem Label Bundeswehr.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Februar 2015


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