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Zorn auf die Zocker

Krach im Kabinett: Griechenlands Regierung uneins über die Forderungen der Eurogruppe

Von Anke Stefan, Athen *

Flitterwochen - Fehlanzeige: Bereits kurze Zeit nach den Parlamentswahlen zeigt die griechische Dreiparteienregierung die ersten Brüche.

Auf Antrag des Vorsitzenden der sozialdemokratischen PASOK, Evangelos Venizelos, trafen sich am Mittwochabend die Vorsitzenden der Regierungsparteien Nea Dimokratia (ND), PASOK und DIMAR zu einer Lagebesprechung im Anschluss an das Treffen der Finanzminister der Eurogruppe vom Dienstag. Nach vorab bekannt gewordenen Informationen sollte es beim Treffen um die unterschiedlichen Ansichten zu den Forderungen der Eurogruppe gehen.

Insbesondere der PASOK-Vorsitzende Evangelos Venizelos ist demnach unzufrieden mit der von Finanzminister Giannis Stournaras öffentlich geäußerten Einschätzung, vor etwaigen Neuverhandlungen müsse zunächst die »aus dem Gleis gelaufene« Umsetzung der Vereinbarungen mit den Gläubigern wieder auf den Weg gebracht werden. Venizelos hatte in seiner Rede im Parlament am Wochenende dagegen für eine Verlängerung des Programms zur Schuldenrückzahlung um mindestens zwei Jahre plädiert.

»Was der PASOK-Vorsitzende im Parlament gesagt hat, konnte er auch bei seinem Treffen mit den Spitzenvertretern der Troika wiederholen«, erklärte PASOK-Pressesprecherin Fofi Gennimata am Dienstagabend. »Wir sind sicher, dass dies letztendlich auch die Strategie des Landes sein wird.«

Beim Treffen der Finanzminister der Eurogruppe war Griechenland dagegen aufgefordert worden, unverzüglich die Umsetzung bereits beschlossener, aber bisher nicht in Kraft getretener Maßnahmen einzuleiten. Bis zum nächsten Kontrollbesuch der Troika-Vertreter am 24. Juli sollen danach mindestens drei Milliarden Euro in die klammen Staatskassen eingetrieben werden. Davon soll der Löwenanteil in Höhe von 2,2 Milliarden aus der Verlängerung der bereits im Vorjahr erhobenen Sondersteuer auf Immobilienbesitz kommen. Allerdings konnten schon 2011 Hunderttausende zum Teil durch die Krise verarmte kleine Wohnungsbesitzer die zusätzliche Steuer nicht aufbringen. Die Haltung Stournaras' auf der Sitzung der Eurogruppe sei alles andere als vielversprechend gewesen, kommentierte die Abgeordnete der Linksallianz SYRIZA Rena Dourou die Sitzung in Brüssel. »Von der ›Neuverhandlung‹ wurde zur ›Aktualisierung‹, danach zur ›Abänderung‹ und zuletzt zur ›Bestätigung‹ des Finanzministers übergegangen, ›das Programm wieder aufzulegen‹«, klagte die Vertreterin der stärkten Oppositionspartei.

Die »sogenannte Neuverhandlung innerhalb der EU, die dem Volk eine Erleichterung von den Memoranden und den Folgen der Krise hätten verschaffen sollen, hat sich als ein Betrug von Anfang an herausgestellt«, kommentierte die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) die Sitzung der Eurogruppen-Finanzminister.

Schon vor dem Treffen des Vorsitzenden des Nea Dimokratia, Ministerpräsident Antonis Samaras, mit den Führern der beiden anderen Koalitionsparteien, Venizelos und Fotis Kouvelis (DIMAR), am Mittwoch hatte die Regierung einen ersten Verlust zu verzeichnen. Wegen seiner »persönlichen Überzeugung, dass die Neuverhandlungen mit der Troika und die Korrektur wichtiger Fehlentwicklungen in Fragen von Arbeitsrechten, Renten, Sozialversicherung und Fürsorge von Anfang an sichtbar auf den Diskussionstisch hätten gelegt werden müssen«, war bereits am Montag der Staatssekretär im Arbeitsministerium Nikos Nikolopoulos zurückgetreten. Der als ND-Abgeordneter im Parlament verbleibende Nikolopoulos wurde von Parteichef Samaras durch den Parteikollegen Nikos Panagiotopoulos ersetzt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. Juli 2012


Schritt zur Lösung

Griechenland: Vollversammlung der streikenden Stahlarbeiter fordert Wiedereinstellung von Entlassenen

Von Heike Schrader, Athen **


Am Dienstag traf sich die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) mit dem Betriebsrat der seit fast 260 Tagen streikenden Belegschaft der griechischen Stahlwerke Halyvourgia. »Wir fordern alle Parteien im Parlament auf, den jüngsten Beschluß der Vollversammlung der streikenden Stahlarbeiter zu unterstützen«, erklärte Aleka Papariga im Anschluß an das Treffen. In diesem hatten die Beschäftigten die sofortige Wiedereinstellung von mindestens 40 der insgesamt 120 entlassenen Arbeiter der Werke gefordert. Für die übrigen solle dann ein neues Arbeitsverhältnis »innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens« mit der Unternehmensleitung diskutiert werden. Bevor nicht alle gekündigten Kollegen wieder eingestellt worden seien, dürfe es keine Beschäftigung anderer Arbeiter geben, so der Beschluß. Bei einer Einigung auf diese Bedingungen könne die Arbeit im Werk wieder aufgenommen werden, so das Angebot an die Unternehmensleitung.

Der Beschluß enthalte Vorschläge, »die auf jeden Fall nach einem so lange Monate geführten Streik erfüllt werden können und sollen«, kommentierte Papariga nach dem Treffen mit dem Betriebsrat der Halyvourgia. Sie forderte den griechischen Arbeitsminister auf, ein Treffen zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung anzusetzen, damit »bei einer Zusammenkunft eine Lösung gefunden wird«. Die Arbeiter hätten einen Schritt hin zu einer solchen Lösung geleistet, sagte Papariga. »Nun hängt alles vom Minister, der Unternehmensleitung und den Parteien ab.«

»Wir machen unser Angebot im Bewußtsein unserer Verantwortung, mit ruhigem Gewissen und erhobenen Hauptes«, heißt es in dem am vergangenen Freitag gefaßten Beschluß der Streikenden. »Wir haben getan, was getan werden mußte, das Richtige«, so das Papier. »Wir haben getan, was auch die anderen Arbeitenden hätten tun müssen«, denn »arbeitslos sind nicht nur die 120 Stahlarbeiter«, sondern »1,5 Millionen, und bald werden weitere Tausende dazukommen«.

Sie seien nicht die einzigen gewesen, die für die Wiedereinstellung entlassener Kollegen gekämpft hätten, erklären die Streikenden. Allerdings habe ihr Widerstand nicht genügend Nachahmer gefunden. »Wir haben von Anfang an gesagt, daß die substantielle Solidarität und Hilfe für unseren Kampf darin gelegen hätten, denselben großen Schritt auch in anderen Betrieben und Branchen, ganz Griechenland zur Halyvourgia zu machen.« Auch wenn das diesmal nicht geklappt habe, so werde es in Zukunft geschehen, dafür habe man »viel Dünger gestreut«. »Die Arbeiterklasse wird sich daran immer erinnern und dies anerkennen.«

Der längste Streik in der jüngeren Geschichte des Landes hatte am 1. November begonnen, nachdem die Unternehmensleitung die Reduktion der Arbeitszeit auf fünf Stunden täglich bei 40prozentiger Lohnkürzung angekündigt hatte. Andernfalls werde man 180 Arbeiter entlassen. Der von der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME dominierte Betriebsrat hatte sich jedoch nicht erpressen lassen und die Arbeitszeit- und Lohnreduktion abgelehnt. Die daraufhin innerhalb von zwei Tagen vorgenommenen Entlassungen von zunächst 34 Kollegen beantwortete die Belegschaft geschlossen mit dem bis heute eingehaltenen Streikbeschluß.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Juli 2012


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