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Linke Erfolge in Athen

Bonussitze retten Konservative *

Bei den Parlamentswahlen am Sonntag haben die Wähler in Griechenland der bisherigen Regierungspolitik eine klare Absage erteilt. Am härtesten traf es die Sozialisten (PASOK), die mehr als zwei Drittel ihrer Wähler von 2009 verloren und mit knapp 831 000 Stimmen und 13,2 Prozent auf dem dritten Platz landete. Sie verfügt damit nur noch über 41 Sitze (2009: 160 Sitze) Die zweite Regierungspartei, Nea Dimokratia, wurde zwar stärkste Partei und bekommt damit die vom Wahlrecht vorgesehenen 50 Bonussitze im 300köpfigen Parlament. Gegenüber 2009 (knapp 2,3 Millionen Stimmen, 33,5 Prozent) verlor sie jedoch knapp die Hälfte ihrer Wähler und erzielte mit 1,2 Millionen Stimmen 18,2 Prozent, was inklusive der Bonussitze 108 Mandate ergibt. Die ultrarechte LAOS-Partei verlor ebenfalls die Hälfte ihrer Wähler und scheiterte an der Drei-Prozent-Hürde.

Gewinne konnten dagegen alle Parteien verbuchen, die auf die eine oder andere Weise ein Ende der Austeritätspolitik einfordern. Den stärksten Stimmzuwachs erzielte dabei die griechische Linksallianz SYRIZA. Sie wurde zweitstärkste Partei und konnte ihr Ergebnis von 2009 (4,6 Prozent) mit 1,05 Millionen Stimmen und 16,77 Prozent mehr als verdreifachen. Die 2010 nach einer Spaltung von SYRIZA gegründete Demokratische Linke bekam 385 000 Stimmen und kommt mit 6,1 Prozent auf 19 Sitze. Die Kommunistische Partei Griechenlands verbesserte ihr Ergebnis von 2009 (7,5 Prozent) auf 8,5 Prozent.

Die neue nationalistische Partei der Unabhängigen Griechen erzielte 10,6 Prozent und 33 Sitze. Die faschistische Chrysi Avgi zog erstmals mit sieben Prozent ins Parlament ein.

19 Prozent entfielen auf Parteien, die an der Drei-Prozent-Hürde scheiterten, darunter die Ökologen-Grünen mit 2,93 und die Demokratische Allianz von Ex-Außenministerin und Nea-Demokratia- Aussteigerin Dora Bakogianni (2,6 Prozent). Knapp 35 Prozent der fast 9,9 Millionen Wahlberechtigten gingen nicht zur Urne.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Mai 2012


Das Volk hat die Dinge geändert

Linkspartei SYRIZA spricht von der "Botschaft einer friedlichen Revolution"

Von Anke Stefan, Athen **


Nach dem Wahldebakel der beiden bis dato stärksten Parteien in Griechenland sehen diese ihre Vorstellungen einer relativ bequemen Regierungsbildung vorerst durchkreuzt. Dem Vernehmen nach wollte Präsident Karolos Papoulias am gestrigen Montag den Vorsitzenden der Nea Dimokratia, Antonis Samaras, damit beauftragen. Die erstarkten Gegner des Griechenland aufgezwungenen Spardiktats in die Kabinettsbildung einzubeziehen – daran möchte die etablierte politische Klasse in Athen nicht einmal denken.

Alexis Tsipras hatte allen Grund zur Freude. Die von ihm als Spitzenkandidaten vertretene Linksallianz SYRIZA ist die eindeutige Siegerin der griechischen Parlamentswahlen vom Sonntag. Mehr als eine Million Wähler gaben SYRIZA ihre Stimme und katapultierten die Linksallianz damit von 4,6 Prozent im Jahre 2009 auf 16,8 Prozent und Platz 2 der im neuen Parlament vertretenen Parteien. In der fast ein Drittel der Wähler stellenden, die Hauptstadt Athen einschließenden Provinz Attika sowie in der zweitgrößten Stadt Thessaloniki wurde SYRIZA sogar stärkste Kraft. Die Wähler hätten die »Botschaft einer friedlichen Revolution« verkündet, erklärte Tsipras unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses. »Die europäischen Führungen und insbesondere Frau Merkel sind verpflichtet zu begreifen, dass ihre Politik, die Austeritätspolitik, eine vernichtende Niederlage erlitten hat.«

Eine griechische Linksregierung scheitert dennoch zum einen an den fehlenden Partnern, denn sowohl die Kommunistische Partei Griechenlands (26 Sitze), als auch die Demokratische Linke (19 Sitze) haben eine Koalition mit SYRIZA (52 Sitze) ausgeschlossen, zum anderen an der Mandatszahl der Linken, die insgesamt auf 97 Sitze kommen.

Aber auch die beiden stark geschrumpften ehemaligen Regierungsparteien werden Schwierigkeiten haben, eine Parlamentsmehrheit zu finden. Als stärkster Partei fallen der Nea Dimokratia (108 Sitze insgesamt) zwar die 50 Bonussitze im 300-köpfigen Parlament zu, zusammen mit der PASOK (41 Sitze) werden die erforderlichen 151 Mandate für eine einfache Mehrheit jedoch knapp verfehlt. »Ich habe um eine klare Mehrheit gebeten, das griechische Volk hat jedoch anders entschieden«, begründete Antonis Samaras noch in der Wahlnacht die Rücknahme seiner im Wahlkampf als »unumstößlich« bezeichneten Aussage, für keine wie auch immer geartete Koalition zur Verfügung zu stehen. Er kündigte Gespräche mit »allen Kräften« an, »die für den europäischen Weg des Landes und die Notwendigkeit einer Änderung der Wirtschaftspolitik einstehen«.

Neben der PASOK kämen dafür auch die Unabhängigen Griechen (AE) von Nea-Dimokratia-Aussteiger Panos Kammenos in Frage. Auf eine entsprechende Frage von Journalisten antwortete der AE-Chef Sonntagnacht jedoch, seine Worte, er stünde nicht einmal »als Toter« für eine solche Koalition zur Verfügung, hätten »ewige Gültigkeit«. »Wir arbeiten nicht mit Kollaborateuren zusammen, wir koalieren nicht mit den Agenten der Banker.«

»Das griechische Volk hat die politischen Verhältnisse des Landes heute grundlegend geändert«, lautete der erste Kommentar des Vorsitzenden der PASOK zum Ergebnis. »Wir respektieren seine Entscheidung«, fügte Evangelos Venizelos hinzu. Das Volk hätte weder einer einzelnen Partei noch »einer Koalition europafreundlicher Kräfte« die Mehrheit gegeben, konstatierte der PASOK-Chef. »Sinnvoll ist deswegen eine Regierung der nationalen Einheit, unter Beteiligung ausnahmslos aller Kräfte, die auf die eine oder andere Weise ihre europäische Perspektive bekunden, unabhängig von ihrer Haltung gegenüber dem Memorandum und den Schuldenvereinbarungen.«

Mit den Faschisten der Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), die mit 21 Sitzen erstmalig ins Parlament eingezogen sind, will keine andere Partei zusammenarbeiten. Die bekennenden Hitlerverehrer und gewalttätigen Rassisten lieferten bereits einen ersten Eklat, als die Schergen von Parteichef Nikos Michaloliakos die Journalisten beim Auftritt des »Führers« zum Aufstehen aufforderten, worauf die griechischen Medienvertreter unter Protest den Saal verließen und nur eine Reihe ausländischer Kollegen, entweder wegen Nichtverstehens oder Akzeptanz dieser Forderung nach einer Ehrenbezeigung, zurückblieben.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Mai 2012


Ein anderes Europa

Von Anke Stefan, Athen ***

Auch wenn es weder so aussieht noch jedem unbedingt bewusst ist, haben Griechenlands Wähler ein eindeutiges Votum abgegeben: Wir wollen ein anderes Europa, lautet ihre Botschaft. Sie straften alle Parteien ab, die hinter der mit den Gläubigern vereinbarten Austeritätspolitik stehen. Ihre Stimme gaben sie überwiegend Parteien, die sich sowohl für einen Verbleib in Euro und EU als auch für ein Ende der unbarmherzigen Kürzungspolitik ausgesprochen haben. Unter deren Gegnern favorisierte die Mehrheit jene Parteien, die eine Neuverhandlung mit den Gläubigern aus einer linken Perspektive heraus anstreben.

Zwar konnten auch die nationalistische, von »deutscher Besatzung« und »Bestrafung der Volksverräter« schwafelnde Partei der Unabhängigen Griechen sowie die im trüben Teich der rassistischen Fremdenangst fischenden Faschisten ins Parlament einziehen. Weit mehr Griechen stimmten jedoch für das Linksbündnis SYRIZA, das im Wahlkampf unermüdlich für die Option einer linken Regierung aller Memorandumsgegner gekämpft hatte. Die Kommunisten, die sich für einen Austritt aus EU und Euro ausgesprochen hatten, verbuchten lediglich marginale Zuwächse.

Dank der 50 Bonussitze für die stärkste Partei Nea Dimokratia ist die Bildung einer Linksregierung in Athen noch unmöglich. Sollte allerdings eine Regierungsbildung von Nea Dimokratia und PASOK scheitern, könnte sich dies bei dem dann zwangsweise anstehenden erneuten Urnengang ändern.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Mai 2012 (Kommentar)


Siegerlächeln beim Star der Linken

Erfolg für Alexis Tsipras ****

Er ist der jüngste politische Führer Griechenlands, ein frisches Gesicht, das nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse am Sonntag nicht aufhörte zu strahlen. Alexis Tsipras, 37 Jahre alt, ist der eigentliche Sieger der Parlamentswahlen in Griechenland. Unter seiner Führung erlangte das Bündnis der Radikalen Linken (SYRIZA), das sich als Schwesterpartei der deutschen Linkspartei versteht, das beste Ergebnis seit seiner Gründung 2004.

Der studierte Bauingenieur, der Krawatten meidet und gerne Motorrad fährt, gilt als Senkrechtstarter. Als Schüler war er in der Kommunistischen Jugend aktiv, als Student engagierte er sich in der Jugendorganisation der Sy᠆naspismos, mit 25 Jahren übernahm er das Amt des Sekretärs. Nur fünf Jahre später, 2004, wurde er in den Parteivorstand der Sy᠆naspismos gewählt, wo er sich mit den Themen Bildung und Jugend beschäftigte.

Landesweit sorgte er erstmals für Aufsehen, als er 2006 bei der Bürgermeisterwahl in seiner Geburtsstadt Athen auf den dritten Platz kam. Obwohl er unbekannt war, erhielt er damals zehn Prozent der Stimmen. Seit 2008 ist er Chef des Wahlbündnisses SYRIZA, in dem die Synaspismos die größte Partei ist, und seit 2010 ist er zudem Vizepräsident der Europäischen Linkspartei.

Nun hätte Tsipras der Chef einer griechischen Linksregierung sein können - wäre sein Vorschlag einer Zusammenarbeit aller linken Kräfte bei der Regierungsbildung nicht von der Kommunistischen Partei und der Demokratischen Linken abgewiesen worden. In der Gunst der Wähler ist er seit diesem Vorschlag jedoch gestiegen, es ist vor allem die gegenwärtige Regierung mit ihrem strikten Sparkurs, gegen den sich das Volk richtet. Tsipras will sich für eine Besteuerung der Reichen, das Ende der griechischen Schuldenzahlungen und Neuverhandlungen mit den Kreditgebern einsetzen. Griechenland sei zu einem »Protektorat« geschrumpft, ohne Mitspracherecht bei der Handhabung der eigenen Aufgaben, das müsse sich ändern.

Dass der dynamische Politiker sich nicht alles gefallen lässt, zeigte ein aktueller Fall am Rande des politischen Parketts. Gegen die »Bild«-Zeitung, die im Februar titelte »Kommunisten, Judenhasser, Halbkriminelle. Regieren diese Radikalen bald Griechenland?«, reichte er Klage ein. Als »Halbkriminellen«, der »offen mit gewalttätigen Anarchisten« sympathisiere, will er sich nicht beschimpfen lassen. Tsipras fährt gerne auch mal die Krallen aus. Vielleicht ist er bei den gebeutelten Griechen auch deshalb so beliebt.

**** Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Mai 2012


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