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Wahlausgang in Athen ist offen

Linke bündelt ihre Kräfte nicht / Stimmenzuwachs bei Rechtsextremen befürchtet

Von Anke Stefan, Athen *

Es ist die wichtigste Wahl seit Ende der Militärdiktatur 1974. Am Sonntag entscheiden die Griechen nicht nur, wer in den folgenden Jahren regieren, sondern auch, ob das Land die mit den Gläubigern in EU, IWF und EZB getroffenen Vereinbarungen einhalten wird. Der Ausgang der vorgezogenen Parlamentswahl am Sonntag ist vollkommen offen - ebenso wie die Frage, wie sich die künftige Regierungskoaltion zusammensetzen könnte.

Evangelos Venizelos, Vorsitzender der sozialdemokratischen PASOK, formuliert die Frage dieser Wahl so: »Die Griechen müssen entscheiden, ob sie einen europafreundlichen Weg wollen, der sicher und verantwortungsvoll ist, oder etwas anderes.« Für ihn ist der erfolgreiche Weg aus der Krise nur mit der PASOK als stärkster Partei möglich - ein Wahlziel, das bei vorhergesagten 15 bis 20 Prozent der Stimmen für seine Partei allerdings kaum zu erreichen ist.

Stärkste Partei wird aller Voraussicht nach die Nea Dimokratia von Antonis Samaras werden. Obwohl seit letztem November in die Regierung unter dem parteilosen Banker Lucas Papademos eingebunden, gab sich Samaras im Wahlkampf als Oppositionspolitiker. Die PASOK habe das Land durch ihr verfehltes Krisenmanagement erst in die jetzige schlechte Lage gebracht, erklärt der Konservative und verspricht im Falle eines Wahlsieges, das Land durch Ankurbelung der Wirtschaft über Steuersenkungen sowie Maßnahmen gegen Verschwendung im öffentlichen Dienst aus der Krise zu führen. Dazu müsse er aber das Mandat für eine Alleinregierung gewinnen, was die Nea Dimokratia allen Umfragen zufolge nicht erreichen wird. Zwar werden ihr als voraussichtlich stärkster Kraft die 50 Bonussitze im 300-köpfigen Parlament zufallen, aber auch damit dürfte sie nur auf etwa 110 Sitze kommen.

Neben der PASOK, die ihre Bereitschaft zur Fortsetzung der derzeitigen Koalition bereits bekundet hat, gibt es zwei weitere Parteien, die sich politisch nur in Details von der Nea Dimokratia unterscheiden. Da jedoch sowohl die wirtschaftsliberale Demokratische Allianz als auch die rechtspopulistische Partei der Unabhängigen Griechen von Aussteigern aus der Nea Dimokratia gegründet wurden, könnte eine Koalition vor allem an persönlichen Befindlichkeiten scheitern. Während die Demokratische Allianz ohnehin um den Einzug ins Parlament bangen muss, ist den Unabhängigen Griechen bei vorausgesagten acht bis neun Prozent der Sprung über die Dreiprozenthürde sicher.

Für den Verbleib in EU und Euro haben sich mehrheitlich auch die im Linksbündnis SYRIZA zusammengeschlossenen Parteien ausgesprochen. Sein Wahlprogramm aber könnte auch zwangsweise auf einen EU-Austritt Griechenlands hinauslaufen. Denn laut SYRIZA soll die kommende Regierung alle mit den Gläubigern getroffenen Vereinbarungen annullieren und neu über Schuldenstreichungen und Rückzahlungsbedingungen verhandeln. Das Linksbündnis strebt eine Übernahme der Regierung in einer Koalition »aller fortschrittlichen Gegner der mit den Gläubigern abgeschlossenen Memoranden« an, trifft aber bei potenziellen Partnern nicht auf Gegenliebe.

So erteilte die Demokratische Linke (DIMAR) allem Werben von SYRIZA-Spitzenkandidat Alexis Tsipras eine Absage. Der Verbleib des Landes in EU und Euro hat für DIMAR-Parteichef Fotis Kouvelis »oberste Priorität«. Obwohl er im Wahlkampf eine Koalition mit PASOK und Nea Dimokratia genauso ausgeschlossen hat wie ein Zusammengehen mit den beiden anderen Parteien der Linken, ist man in der Demokratischen Linken prinzipiell durchaus zu Gesprächen für eine Beteiligung an der Regierungsverantwortung bereit.

Für die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) wäre jedes Zusammengehen mit den anderen Kräften der Linken »ein Verrat am Volk«, da keine wie auch immer geartete Linksregierung innerhalb der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse eine Änderung herbeiführen könne. Alle drei linken Parteien dürfen mit jeweils etwa neun bis elf Prozent der Stimmen rechnen.

Bedrohlichste Entwicklung der Krise ist der voraussichtliche Stimmgewinn im ultrarechten Lager. Zwar muss die derzeit im Parlament vertretene LAOS-Partei wegen ihrer kurzzeitigen Teilnahme an der Regierung Papademos mit Verlusten gegenüber ihrem Wahlergebnis von 2009 (5,63 Prozent) rechnen. Dafür aber werden der offen faschistischen Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) nach 0,3 Prozent 2009 diesmal um die fünf Prozent vorausgesagt. Beide Partei schieben »den illegalen Einwanderern« die Schuld für die Krise in die Schuhe. Während LAOS-Chef Girogos Karatsaferis jedem »unbescholtenen Griechen« den Besitz einer Waffe ermöglichen will, hat die Chrysi Avgi bereits »Bürgerwehren« gegründet. Die Schlägertruppen der bekennenden Hitler-Verehrer sind für viele, teils tödliche Angriffe auf Migranten verantwortlich.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Mai 2012

Zahlen und Fakten: Das Wahlsystem

36 Parteien bewerben sich am 6. Mai um die 300 Sitze im griechischen Parlament. Bei den letzten Wahlen im Oktober 2009 gelang fünf Parteien der Sprung über die Dreiprozenthürde, diesmal können sich weitere bis zu fünf Parteien Hoffnung auf den Einzug in den ehemaligen Königspalast am Syntagmaplatz machen.

Fast zehn Millionen Wähler sind zur Stimmabgabe aufgefordert. In Griechenland herrscht Wahlpflicht; wer nicht wählt, hat allerdings - anders als in früheren Zeiten - keine Sanktionen mehr zu befürchten. Gewählt wird nicht wie in Deutschland mit einem einzigen Stimmzettel, auf dem die Kandidaten aller Listen stehen, sondern jede Partei hat eigene Stimmzettel, die allerdings im selben Format auf gleichem Papier gedruckt sein müssen. Die Kandidaten werden nicht von regionalen Parteigremien, sondern vom Parteivorsitzenden in Abstimmung mit einer zentralen Wahlkommission der Partei bestimmt, die für diesen Zweck vom Parteichef eingesetzt wurde.

Die stimmstärkste Partei bekommt 50 Bonussitze, die übrigen 250 Sitze werden analog zu den abgegeben gültigen Stimmen an die Parteien verteilt, die die Dreiprozenthürde überwunden haben.

Insgesamt 288 Sitze werden dabei in 48 Regionen mit mehreren Mandaten und 8 mit nur einem Mandat vergeben. Dabei gilt die sogenannte Kreuzwahl, das heißt, einen Sitz erhalten die Kandidaten, hinter deren meist in alphabetischer Reihenfolge aufgelisteten Namen die meisten Wähler ein Kreuz gesetzt haben. Die übrigen zwölf Sitze werden unter besonderen griechenlandweit geltenden Kandidatenlisten verteilt, von denen jede Partei eine aufgestellt hat. Hier kandidieren jeweils die Parteimitglieder, die der Parteivorsitzende für besonders nützlich im Wahlkampf hält. Denn während für die übrigen Kandidaten strikte Limitierungen für Auftritte in landesweiten Medien gelten, dürfen die Kandidaten auf der »Sonderliste« beispielsweise beliebig viele Fernsehinterviews im Wahlkampf geben. A.St.



Die Linke hat eine Pflicht

In Griechenland wird am Sonntag vorzeitig ein neues Parlament gewählt. Umfragen sagen den linken Parteien kräftige Stimmenzuwächse voraus **

Sowohl der Demokratischen Linken (DIMAR), der Koalition de Radikalen Linken (SYRIZA) als auch der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) werden jeweils acht bis neun Prozent vorhergesagt. Damit könnten sie die Zahl ihrer Abgeordnetensitze gegenüber der vorigen Wahl mehr als verdoppeln. Allerdings ist ihr Verhältnis zueinander überaus schwierig. Das war bereits darann festzustellen, dass nd-Korrespondentin Heike Schrader in Athen zu diesem Thema wie zu anderen Aufgaben der Linken in Griechenland trotz mehrfacher Bitten von der KKE keine Auskünfte erhielt; immerhin aber von DIMAR und SYRIZA.

Für DIMAR-Sprecher Andreas Papadopoulos ist eine Regierungsbeteiligung kein Tabu. “Wir sind keine klaustrophobische Linke, die sich nur um sich selbst dreht. Wir wollen die Qualität der Regierungsgewalt beeinflussen. Die Linke ist verpflichtet, ihre politische Präsenz als ‘regierende Linke’ einzufordern, zum Nutzen der Gesellschaft und des Landes”, sagt er im Interview mit “nd”.

Auch Panos Skourletis befürwortet ein gemeinsames Vorgehen der Linken. Der Sprecher von SYRIZA nennt zahlreiche vordringliche politische Aufgaben, die eine Einheit jenseits der bislang etablierten Kräfte voraussetzt. Gegenüber “nd” sagt Skourletis: “Als SYRIZA und als Europäische Linkspartei haben wir eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die auf folgenden Achsen fußen: Neuverhandlung der Schulden im Rahmen einer europäischen Lösung, unmittelbare Kredite von der Europäischen Zentralbank, Maßnahmen für Wirtschaftswachstum, Schutz der Erwerbstätigen, Stärkung des Sozialstaates und produktive Neubildung des Staates.” Weier erklärt der SYRIZA-Sprecher: “Wir haben wiederholt und öffentlich beiden Parteien und weitere Organisationen wie den Ökologischen Grünen eine Zusammenarbeit vorgeschlagen. Wir halten dies für möglich und erforderlich. Leider haben die chronischen Leiden der griechischen Linken diese Zusammenarbeit nicht erlaubt, sie scheitert an dem beharrlichen Bestehen von KKE und DIMAR darauf, zunächst in den Wahlen die eigene Stärke zu zeigen.”

** Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Mai 2012


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