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Athen beugt sich der Troika

Regierung beschließt Sparpaket / Generalstreik heute und morgen

Von Anke Stefan, Athen *

Die Regierungsparteien in Griechenland haben sich auf ein neues Sparpaket geeinigt - kurz vor den Beratungen der Eurogruppe über ein zweites Hilfspaket für das hoch verschuldete Land.

Brüssel, Frankfurt und Washington fordern, Athen liefert. Nicht umstands- und reibungslos, aber letztlich beugt sich Athen seit Krisenbeginn im Herbst 2009 dem Druck der Troika EU, IWF und Europäische Zentralbank.

Griechenlands Ministerpräsident Lucas Papademos hat die Einigung der Parteispitzen auf das neue Sparprogramm bestätigt. »Die Verhandlungen wurden erfolgreich abgeschlossen. Es gibt angesichts der Sitzung der Eurogruppe eine Einigung«, sagte eine Sprecherin des Regierungschefs am Donnerstag. Es blieb aber offen, woher die fehlenden 300 Millionen Euro des verlangten Sparvolumens kommen sollen. Dafür waren Rentenkürzungen vorgesehen und darüber konnten sich die Vorsitzenden der Regierungsparteien während ihrer Sitzung am Mittwoch nicht einigen. Über alle anderen Forderungen der Troika als Voraussetzung für ein 130-Milliarden-Hilfspaket wurde Übereinstimmung erzielt: Der Brutto-Mindestlohn wird von 751 auf 586 Euro, das Arbeitslosengeld von 461 auf 323 Euro im Monat gesenkt. 150 000 Staatsbedienstete werden bis 2015 schrittweise entlassen, alle Branchentarifverträge schrittweise durch den niedrigeren griechenlandweiten Tarifvertrag ersetzt und alle Löhne bis mindestens Ende 2014 eingefroren. In der Koalition, die sich darauf einigte, sitzen die sozialdemokratische PASOK, die konservative Nea Dimokratia und die rechtsextreme LAOS.

Finanzminister Evangelos Venizelos reiste gestern nach Brüssel, um dort die Zustimmung seiner Kollegen in der Eurogruppe für das neue Abkommen einzuholen. Dessen Grundzüge sollen im Eilverfahren bereits Sonntagabend im griechischen Parlament verabschiedet, die konkreten einzelnen Maßnahmen jedoch erst später als Gesetzeserweiterungen eingebracht werden.

Die Regierungskoalition verfügt über 252 der 300 Abgeordneten im griechischen Parlament. Einzelne ihrer Parlamentarier haben bereits angekündigt, die neuen Maßnahmen nicht mitzutragen. Auch die linke Opposition aus Kommunistischer Partei Griechenlands, dem Linksbündnis SYRIZA und der Partei der Demokratischen Linken wird dem Abkommen ihre Stimme verweigern.

Die Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) reagierten mit dem Ausruf eines zweitägigen Generalstreiks für Freitag und Samstag. Nach dem Ausstand am Dienstag ist dies damit der zweite gegen die neuen Einschnitte. Bereits für Donnerstagabend rief die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME zusätzlich zu Demonstrationen in 44 Städten des Landes auf, Basisgewerkschaften und das Linksbündnis SYRIZA mobilisieren zu Kundgebungen in Athen und Thessaloniki. Für Sonntag, den Tag der Abstimmung, sind Protestdemonstrationen vor dem Parlament geplant.

* Aus: neues deutschland, 10. Februar 2012


Griechenland wird 3. Welt

Von Martin Ling **

Ein Ende mit Schrecken ist in Griechenland nicht in Sicht. Stattdessen geht mit dem neuen Sparpaket der Schrecken ohne Ende weiter. Die griechische Regierung hängt am Tropf der Troika und opfert auf dem Altar der Gläubigerinteressen die Interessen von Rentnern, Normalverdienern und Billiglöhnern: Rentenkürzung, Beamtenentlassung, Mindestlohnsenkung.

Der Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank geht es grundsätzlich darum, die Gläubigeransprüche soweit zu retten, wie es das Land eben zulässt, ohne dass die Interessen der Durchschnittsbevölkerung berücksichtigt werden. Griechenland wird ausgepresst wie eine Zitrone. Die geplante Schuldenstreichung wird nur soweit reichen, wie ein Forderungsverzicht wegen Uneinholbarkeit unumgänglich ist. Geschenkt wird den Griechen kein Cent.

In Hellas wird jetzt das praktiziert, was zahlreiche Länder des Südens nach dem Beginn der Schuldenkrise in den 80er Jahren vorexerzieren mussten: ein Strukturanpassungsprogramm auf Kosten der Bevölkerung. Das strukturschwächste Land der EU befindet sich auf dem Weg in die Dritte Welt.

In Argentinien hat eine vom IWF verordnete Rosskur vor zehn Jahren in die Staatspleite und die Revolte geführt, die das Land an den Rand der Unregierbarkeit gebracht hat. Dort kam nach dem Bankrott ein fast chinesischer Aufschwung. Athens Perspektiven und Politik geben das nicht her.

** Aus: neues deutschland, 10. Februar 2012 (Kommentar)


Das Kapital soll zahlen

Von Heike Schrader, Athen ***

Mit einem 48stündigen Generalstreik wollen die Erwerbstätigen Griechenlands heute und morgen (10. und 11. Feb.) auf die erneute Unterordnung ihrer Regierung unter die Forderungen der Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank reagieren. Am Donnerstag vormittag, nur wenige Stunden nach der Einigung der Chefs der drei Regierungsparteien mit Ministerpräsident Loukas Papadimos, riefen die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) zum Ausstand am Freitag und Sonnabend auf.

Angestellte von zwei staatlichen Dienststellen, denen durch die neuen Kürzungen die Auflösung droht, besetzten am Donnerstag morgen (9. Feb.) das griechische Arbeitsministerium. Für den Abend hatten sowohl die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME als auch zahlreiche Organisationen der außerparlamentarischen Linken, Basisgewerkschaften und die Linksallianz SYRIZA zu getrennten Demonstrationen in Athen und anderen Städten des Landes aufgerufen. Aleka Papariga, die Generalsekretärin der KP Griechenlands (KKE), forderte, für die Schulden müßten diejenigen zahlen, die sie zu verantworten haben: Die Regierungsparteien »PASOK, Nea Dimokratia, LAOS zusammen mit den Kapitalisten«.

In der Nacht zum Donnerstag hatten sich die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien mit Ministerpräsident Papadimos weitgehend auf die von den Gläubigern im Gegenzug für ein neues 130 Milliarden Euro schweres Kreditprogramm geforderten weiteren Einschnitte geeinigt. Nachdem es zunächst geheißen hatte, die Gespräche seien an der Frage von Rentenkürzungen gescheitert, verkündete Athen gestern kurz vor Beginn einer Sitzung der Finanzminister der Euro-Zone in Brüssel jedoch, man habe eine »endgültige Einigung« erreicht. Diese sieht dem Vernehmen nach unter anderem die Entlassung von insgesamt 150000 Staatsbediensteten bis Ende 2015 vor. 15000 von ihnen sollen noch in diesem Jahr ihren Arbeitsplatz verlieren. Zudem wird eine vollständige Zerschlagung des Tarifrechts in der privaten Wirtschaft angestrebt. Alle Löhne der nach dem allgemeinen nationalen Tarifvertrag Bezahlten werden um 22 Prozent gesenkt. Damit sinkt der bereits jetzt nicht zum Leben ausreichende Mindestlohn von 751 auf 586 Euro brutto im Monat. Nach Abzug von Sozialabgaben und Steuern bleiben davon 480 Euro netto übrig. Neueingestellte, die jünger als 25 Jahre sind, sollen sogar nur 510 Euro brutto erhalten, das Arbeitslosengeld sinkt von 461 auf 323 Euro. Der 22prozentige Abschlag gilt für alle Lohnstufen im Tarifvertrag. Wer sich also in zehn Jahren Schufterei auf 962 Euro brutto hochgearbeitet hatte, muß nun wieder mit 750 Euro auskommen. Die bisher gültigen stufenweisen Lohnerhöhungen nach jeweils drei Arbeitsjahren werden bis mindestens Ende 2014 ausgesetzt.

Der neue Horrorkatalog soll noch am Sonntag (12. Feb.) im Eilverfahren durch das griechische Parlament gepeitscht werden. Dabei wird zunächst nur über den Rahmen abgestimmt, die einzelnen Maßnahmen sollen später als Gesetzesergänzungen eingebracht werden. Die drei Regierungsparteien verfügen über 252 der 300 Sitze im Parlament. Sowohl die Gewerkschaftsdachverbände als auch Parteien und Organisationen der Linken haben für diesen Tag bereits zu Protesten vor dem Parlament aufgerufen.

* Aus: junge Welt, 10. Februar 2012


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