Er brauchte keine Konsumenten
Wiedersehen mit einem engagierten Genie: Mikis Theodorakis in einem neuen Bildband von Asteris Kutulas
Von Erasmus Schöfer *
Mikis Theodorakis habe ich 1968 kennengelernt. Auf Befehl der Athener
Obristenjunta war er im peloponnesischen Zatouna interniert: ein
Musiker, 21 Wächter. Bilder des in dem einsamen Bergdorf isolierten
Komponisten, die ich mir damals nur vorstellen konnte, finden sich nun,
erstmals veröffentlicht, in einem Fotoband, von dem hier die Rede sein wird.
Wir waren damals fasziniert von dem Künstler, der mit seinen Liedern
eine Militärdiktatur in Gefahr brachte. Meine Frau sang vor Hunderten
begeisterter Münchner bei Veranstaltungen des Ostermarschs die
aufrüttelnden Lieder des Komponisten, und ich schrieb ein Radiofeature
über den bis dahin in Westdeutschland völlig unbekannten Mann, von dem
aus französischen Quellen zu erfahren war, daß er bereits 1944 im
Widerstand gegen die deutsche Besatzung gekämpft hatte und in den Jahren
des Bürgerkriegs, wie der Dichter Jannis Ritsos, mit ungezählten
Patrioten auf die KZ-Inseln der Ägäis verbannt und dort gefoltert worden
war.
Als die Putschisten schon sechs Jahre in komfortablen Gefängnissen
saßen, erlebte ich bei meinem ersten längeren Aufenthalt in
Griechenland, wie aus allen Büros der linken Parteien, getragen von der
unvergleichlichen Stimme der Sängerin Maria Farantouri, die Lieder des
Komponisten über die Plätze Athens schallten. Ein Student mit dem für
meine Ohren sprechenden Namen Asteris, Sohn exilierter
Bürgerkriegskämpfer, der in Leipzig studiert hatte, erzählte mir in
seinem perfekten Deutsch von den stadionfüllenden Konzerten, die
Theodorakis nach seiner Rückkehr aus dem Pariser Exil in ganz
Griechenland und europaweit als Künder des Freiheitswillens seines
Volkes gegeben hatte. Einige Konzerte habe ich später in Deutschland
miterlebt. Eines der ergreifendsten Dokumente des Bildbandes zeigt den
körperlichen Riesen Theodorakis 1975 im Athener Panionion-Stadion
verschwindend klein inmitten seines Orchesters und einer nach vielen
zehntausend zählenden Menge von Zuhörern.
Ich schrieb über diese mich bewegenden Erlebnisse in meinen Romanen,
nicht ahnend damals, daß mir dieser Asteris Kutulas in den kommenden
Jahrzehnten und bis heute noch mehrfach begegnen würde, als Übersetzer
der Schriften von Theodorakis und als Manager und Begleiter der
Konzerte, die Theodorakis mit seinen Sängern in buchstäblich der ganzen
Welt, von Australien bis Kanada, von Chile bis Südafrika, als einen der
erfolgreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts bekannt machen sollten.
Nun, in diesem Jahr 2010, erweist sich der heute in Berlin lebende
Deutschgrieche Kutulas erneut als der intime Vertraute und Kenner von
Werk und Leben des Komponisten. Den Beweis finde ich in dem soeben im
Schott-Verlag erschienenen Band mit dem Titel »Mikis Theodorakis - Ein
Leben in Bildern«. Dieser Titel ist zwar korrekt, insofern Kutulas in
verschiedenen Archiven, einschließlich des persönlichen des Musikers,
aus rund 17000 Bilddokumenten etwa 250, größtenteils unbekannte Fotos
für diese visuelle Biographie ausgewählt hat. Als untertreibend aber
erweist er sich, da den Abbildungen immer wieder, außer den
situationsbezogenen Erläuterungen des Herausgebers, ungewöhnliche
Selbstreflexionen des Komponisten an die Seite gestellt sind, die
außerdem ergänzt werden durch zwei Protokolle umfangreicher Gespräche,
die Kutulas in den letzten Jahren mit Theodorakis in dessen Haus am
Korinthischen Golf geführt hat. In diesen Gesprächen stellt der Jüngere
wie in einem platonischen Dialog wissende Fragen an den Älteren, die in
seinen Kenntnissen dieses Künstlerschicksals gründen und so den Meister
zu einer Art selbstkritischem Lebensrückblick führen.
Es sind das Gedanken, die beginnen bei den jugendlichen musikalischen
Ambitionen des Kreters, die ihn auch in Gefängnis, Lagerhaft und
Verbannung nicht verließen, die ihn von seinen Studien der
westeuropäischen Sinfonik in Paris und dem Abbruch der schon
erfolgreichen Entwicklung sowie Rückkehr nach Griechenland berichten
lassen, wo mit der Entdeckung und künstlerischen Vertiefung der
Volkslieder seine Versuche begannen, seine wachsende Popularität auch in
den Dienst einer demokratischen Erneuerung seines Landes zu stellen. Bis
zum Putsch der Obristen 1967 und dem Verbot seiner Musik in
Griechenland, das erst sieben Jahre später aufgehoben wurde.
Bilder aus den letzten Jahren zeigen einen einsamen, ernsten, fast
bitteren Menschen, und die Gespräche erläutern, weshalb die
kulturpolitischen Anstrengungen des Künstlers an der wieder einsetzenden
Restauration im NATO-Partnerland scheiterten. In dieser späten Periode
seines Lebens entstanden die großen sinfonischen Werke, in denen er eine
Synthese seiner in der Volksmusik gründenden Erfahrungen mit denen der
europäischen Orchestral- und Opernmusik zu erreichen suchte. Seine
früheren Erfolge konnte er mit diesen Werken nicht erreichen. Das wird
detailreich und spannend erzählt. Den Vorwurf, ein politischer Komponist
zu sein, bezeichnet er als Unsinn:
»Ich sah mich gezwungen, für die Durchsetzung der demokratischen
Grundrechte in Griechenland einzutreten, um meine kompositorischen
Ambitionen verwirklichen zu können. Ich tat dies also aus rein 'egoistischen' Gründen - nicht aus ideologischen ...«.
Theodorakis wünschte und brauchte keine Konsumenten, sondern ein in
demokratischen und wirtschaftlich erträglichen Verhältnissen lebendes
Publikum als Partner. Kutulas, in seinem Nachwort, resümiert einen
andern Aspekt dieses außergewöhnlichen Künstlerlebens, dessen großes
Thema der immer neue Versuch war, eine überzeugende Verbindung zu finden
zwischen seinem apollinischen Verstand und seiner dionysischen Seele,
einfacher gesagt: zwischen der abendländischen Musiktradition und der
Volksliedtradition seiner griechischen Heimat.
Der kämpferische und heitere Optimist Theodorakis scheint an seinem
Lebensabend resigniert und erklärt sich doch glücklich, daß er
zeitlebens seiner musikalischen Begabung wie seiner humanistischen
Überzeugung treu geblieben ist. Das Buch seines Vertrauten Kutulas
belegt dies in einer weit reicheren Weise, als ich hier wiedergeben kann.
Asteris Kutulas: Mikis Theodorakis - Ein Leben in Bildern. Schott
Music, Mainz 2010, 160 Seiten, 49,90 Euro * Großformat, mit zwei CDs,
die unbekannte Lieder des Komponisten enthalten, und einer bislang
unveröffentlichten Fernsehaufnahme des »Canto General« auf DVD
* Aus: junge Welt, 29. Juli 2010
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