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"Raus mit EU und IWF"

Generalstreik gegen "Sparpolitik": Zehntausende Griechen beteiligen sich an landesweitem Ausstand. Regierung verständigt sich auf weitere Kürzungen

Von Heike Schrader, Athen *

Griechenlands Lohnabhängige zeigen ihrer Regierung sowie der Troika von EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) die rote Karte, sie wollen weitere Kürzungen bei Löhnen und Renten nicht hinnehmen. Zehntausende Menschen beteiligten sich am Mittwoch am ersten Generalstreik seit dem Amtsantritt des neuen Kabinetts im Juni, um gegen die international angeordnete, immer schärfer werdende »Sparpolitik« zu protestieren. Der von den Gewerkschaftsdachverbänden GSEE und ADEDY ausgerufene Ausstand legte wichtige Bereiche der griechischen Wirtschaft lahm. Im öffentlichen Sektor lief nichts mehr: Behörden, Banken und Schulen blieben geschlossen, in den Krankenhäusern wurden nur Notfälle behandelt. Züge und Schiffe standen still, und auch im Flugverkehr kam es zu schweren Behinderungen. Auch der Verband der Handwerker und Einzelhändler hatte seine Mitglieder aufgerufen, Läden und Betriebe bis zum frühen Nachmittag geschlossen zu halten.

Allein in der Hauptstadt zogen mehr als 50000 Menschen in zwei etwa gleich starken Demonstrationszügen durch das Zentrum und vor das griechische Parlament. »Wir werden uns der Troika nicht fügen«, riefen Demonstranten. »Raus mit EU und IWF!« Auf der Kundgebung der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME erklärte Giorgos Perros, die Arbeiter hätten nicht nur das Recht und die Mittel, »sondern auch die historische Pflicht, das Land aus der Krise und aus dem Joch der Monopole und der EU zu befreien«. Daß dies noch nicht erfolgt sei, läge vor allem an der fehlenden Organisierung in einer einheitlichen Front. Diese Einheit dürfe allerdings nicht derart sein, daß man »gemeinsam den Lohnabhängigen vorgaukelt, ihre Rechte könnten mit den Gewinnen der Großkonzerne harmonisieren«, so das Mitglied des Exekutivkomitees der PAME. Insbesondere schloß Perros eine Einheit mit den Gewerkschaftsvertretern der Linksallianz SYRIZA aus, denen er vorwarf, mit neuen Methoden die bereits von den Dachverbänden GSEE und ADEDY verfolgte Politik einer Unterordnung unter die Kapitalinteressen fortzusetzen. So würden beispielsweise die von SYRIZA unterstützten Netzwerke für Solidarität, darunter selbstverwaltete Gesundheitszentren oder von Stadtteilinitiativen organisierte Kleider- und Lebensmittelsammlungen, nur dazu dienen, daß »die Lohnabhängigen sich mit der Verwaltung des Elends zufrieden geben«.

Für die SYRIZA-Gewerkschafter dagegen sind die selbstverwalteten Solidaritätsnetzwerke Bausteine auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der die Menschen aktiv an deren politischen und wirtschaftlichen Gestaltung teilnehmen. »Streiks und Stadtteilversammlungen kämpfen für dieselben Ziele, kostenfreie, staatliche Bildung, Gesundheitsfürsorge und menschenwürdige Arbeitsverhältnisse für alle«, meinte beispielsweise Giorgos, der als SYRIZA-Mitglied in einer Stadtteilinitiative organisiert ist, gegenüber jW.

Sowohl die PAME-Demonstration, als auch der gemeinsame Marsch der Gewerkschaftsdachverbände, SYRIZA und der außerparlamentarischen Linken verliefen friedlich. Erst im Anschluß an den Protest der Dachverbände kam es auf dem Platz vor dem Parlament zu vereinzelten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und militanten Demonstranten.

Laut einem AP-Bericht verständigten sich Griechenlands Finanzminister Yannis Stournaras und Ministerpräsident Antonis Samaras gestern derweil auf weitere Kürzungen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. September 2012


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