Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Generalstreik light

Ein Protest der Massen blieb in Griechenland angesichts der Urlaubszeit und Angst vor Lohnausfall aus

Von Anke Stefan, Athen *

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im griechischen Parlament über Massenentlassungen im öffentlichen Dienst sind am Dienstag Tausende Staatsbedienstete auf die Straßen gegangen.

»Bei uns ist keiner überflüssig«, steht auf dem Transparent des Blocks der Gemeindearbeiter der Hafenstadt Piräus. Genau das Gegenteil behaupten die griechische Regierung und die Gläubigertroika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank, die im Gegenzug für die Auszahlung jeder neuen Kredittranche die Streichung Tausender Stellen im öffentlichen Dienst fordern. Entsprechend wurde am vergangenen Wochenende allen 3500 direkt den Gemeinden unterstellten Polizisten, den 2200 Wachdienern und etwa 2400 Lehrern an den staatlichen Schulen auf einen Schlag gekündigt – noch bevor Mittwochnacht im Parlament das Gesetz mit den Einzelheiten dieser Massenentlassungen verabschiedet werden soll.

Mit einem Generalstreik, dem dritten des Jahres, wehrten sich die Betroffenen sowie zahlreiche Kolleginnen und Kollegen gegen diesen neuen Schlag in einem nicht enden wollenden Martyrium, dem ein Großteil der griechischen Bevölkerung im Zuge der Krise ausgesetzt ist. Universitäten, Schulen, Behörden, viele Bankfilialen und Großunternehmen blieben geschlossen, die staatlichen Krankenhäuser arbeiteten nur mit Notdiensten. Züge und Schiffe blieben stehen, während Busse und Metro im Einsatz waren, um die Streikenden zu den diversen Kundgebungen und Demonstrationen im Land zu transportieren. Durch die mehrstündige Teilnahme der Fluglotsen am Streik war auch der Flugverkehr beeinträchtigt.

Die Beteiligung an den Demonstrationen blieb aber hinter vergleichbaren Protestaktionen in der Vergangenheit zurück. Trotzdem zogen allein in Athen Tausende Streikende vor das griechische Parlament. »Es wird schwerer, die Menschen zur Teilnahme an Generalstreiks zu bewegen«, meint Leonidas, Gewerkschafter im Gesundheitswesen. Zum einen, weil es sich immer weniger leisten könnten, auch nur einen Tageslohn zu verlieren. Aber auch, weil derartige eintägige Aktionen nicht viel ausrichten könnten. »Es gibt viele, die bereit wären, einen Monat zu streiken, wenn man damit etwas erreicht, sich aber weigern, einen Tageslohn ›für nichts‹ zu verlieren«, sagt der Arzt in Ausbildung am staatlichen Krankenhaus im Athener Stadtteil Patissia. Auch seine Klinik gehört zu den von der Schließung bedrohten staatlichen Einrichtungen.

Einige der Demonstrierenden kommen von weit her. »Wir sind die ganze Nacht mit dem Schiff gefahren«, erklärt Spiridoula von der Insel Santorin. In ihrem Block halten sich die bereits Entlassenen die Waage mit denen, »die sicher bald an die Reihe kommen«, wie es die Betriebsratsvorsitzende am Rathaus der Inselhauptstadt ausdrückt. Sie spielt damit auch auf die Gefahr an, dass neben den über 15 000 bis Ende 2014 zu entlassenden Staatsbediensteten auch die 25 000 Angestellten endgültig arbeitslos werden, die bis Jahresende in eine sogenannte Mobilitätsreserve gehen müssen.

Stefanos, seit drei Tagen entlassener Polizist der Gemeinde Thira, fügt hinzu: »Wir mögen von einer reichen Insel kommen, aber auch bei uns sind die meisten einfache Lohnabhängige. Wenn wir den Job verlieren, geht es uns wie den anderen 1,5 Millionen Arbeitslosen im ganzen Land.« Verbittert, aber entschlossen, nicht aufzugeben, ist auch die ebenfalls von der Insel angereiste Angeliki: »Wir haben es nicht geschafft, die Vergangenheit zu retten oder die Gegenwart zu verändern. Nun müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass diese für uns geplante Zukunft nicht Wirklichkeit wird.«

Zusammen mit Kollegen aller Berufsgruppen wollen die drei nicht nur am Generalstreik, sondern auch an den für Dienstag- und Mittwochabend geplanten Protesten vor dem griechischen Parlament teilnehmen. Und dabei bis tief in die Nacht vor dem Gebäude ausharren, während drinnen die von ihnen gewählten »Volksvertreter« ein Gesetz verabschieden, das die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt.

Trotz nur noch knapper Mehrheit für die regierenden Konservativen und Sozialdemokraten (155 der insgesamt 300 Parlamentssitze) wird nicht damit gerechnet, dass das Gesetz scheitert. Auch danach soll der Kampf weitergehen. Bereits für Donnerstag rufen Gewerkschaften und linke Organisationen zum Protest gegen den Besuch des Bundesfinanzministers auf. Wolfgang Schäuble ist den Griechen als einer der entschiedensten Befürworter der »Sparmaßnamen« bekannt, die so viele von ihnen um Arbeit, Brot und Lebensqualität gebracht hat.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. Juli 2013


Griechischer Protest

Erneuter Generalstreik gegen die Entlassung Tausender aus dem öffentlichen Dienst und gegen die Übertragung staatlicher Aufgaben an Privatunternehmen

Von Heike Schrader, Athen **


Lazaros ist einer von 2200 Wachleuten an griechischen Schulen, denen über Nacht gekündigt wurde. »Am Freitag war ich noch arbeiten, am Samstag arbeitslos«, sagte er gegenüber jW. 15 Jahre hat er Schüler an staatlichen Schulen vor Drogenhändlern, Vandalismus oder auch den Angriffen von Mitschülern beschützt. »Ohne Wächter geht es nicht«, meint Lazaros, der überzeugt ist, daß sein Job in Kürze vom schlecht bezahlten Angestellten einer privaten Sicherheitsfirma übernommen werden wird, deren Inhaber sich die Dienstleistung vom Staat teuer bezahlen läßt.

Gegen die Entlassung Tausender öffentlich Angestellter, gegen die Auslagerung staatlicher Aufgaben an Privatunternehmen setzten sich viele Menschen am Dienstag in Griechenland mit einem neuen Generalstreik zur Wehr. Die Teilnahme an den Demonstrationen am Mittag blieb dabei hinter den Erwartungen der aufrufenden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) zurück. Trotzdem zogen allein in der Hauptstadt zum wiederholten Mal Tausende in zwei getrennten Demonstrationen vor das griechische Parlament. Zusammen mit ihren zwar streikenden, den Protest jedoch nicht auf die Straße tragenden Kolleginnen und Kollegen legten die Gewerkschafter dabei bereits zum dritten Mal in diesem Jahr das öffentliche Leben des Landes weitgehend still. Schulen, Behörden, viele Bankfilialen und andere staatliche Einrichtungen blieben geschlossen, in den Krankenhäusern wurden nur Notfälle versorgt. Während die Nahverkehrsmittel in den großen Städten arbeiteten, um die Streikenden zu den Kundgebungen zu bringen, traten ihre Kollegen bei der griechischen Bahn in den Ausstand. Auch die Schiffe blieben im Hafen, da die Hafenarbeiter für ihre immer noch dienstverpflichteten und damit einem Streikverbot unterliegenden Kollegen auf den Fähren in die Bresche sprangen. Die Fluglotsen legten über die Mittagsstunden ebenfalls die Arbeit nieder, was zu Ausfällen und Verspätungen von Flügen führte.

Der gestrige Generalstreik war Bestandteil einer mehrtägigen Kampagne gegen die Verabschiedung der Konkretisierungsbestimmungen für die Entlassung von 15000 öffentlich Angestellten bis Ende 2014 und die Verschiebung weiterer Zehntausender in eine maximal achtmonatige »Warteschleife«. Wer nach Ablauf der Frist nicht anderweitig vom Staat übernommen wird, landet danach ebenfalls auf der Straße. Opfer dieser neuen Runde in der von einheimischer Regierung und ausländischen Gläubigern ausgearbeiteten Kahlschlagspolitik waren nach den im Juni auf einen Schlag entlassenen etwa 2700 Angestellten der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalt ERT am vergangenen Wochenende alle 2200 Wachmänner an den Schulen, die 3500 direkt den Gemeinden unterstehenden Polizisten und etwa 2400 Lehrer geworden. Ihre Stellen hatte man noch vor der Abstimmung über die Gesetzesvorlage gestrichen.

Bereits seit dem vergangenen Wochenende sind vielerorts die Gemeindearbeiter im Ausstand, die teilweise auch die Rathäuser besetzt haben. Auch der Termin für die nächste große Protestdemonstration steht schon fest – der morgige Donnerstag. Anlaß ist der Besuch eines der Hauptverantwortlichen für die in Griechenland umgesetzte menschenverachtende Austeritätspolitik, des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble in Athen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 17. Juli 2013


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage