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Kein Bus für die Troika

Griechenland: Fünfter Generalstreik seit Jahresbeginn gegen Sozialabbau. Öffentlicher Nahverkehr komplett lahmgelegt

Von Heike Schrader, Athen *

Im Griechenland hat am Dienstag ein zweitägiger Generalstreik begonnen, mit dem die Gewerkschaften gegen ein weiteres Kürzungspaket protestieren, das die Regierung am Montag ins Parlament eingebracht hat. Nach einem Eilverfahren soll diese zwischen dem Kabinett von Ministerpräsident Andonis Samaras und der Gläubigertroika aus EU, IWF und EZB getroffene Vereinbarung am heutigen Mittwoch von den Abgeordneten abgenickt werden. Sie beinhaltet neue Einschnitte unter anderem bei Löhnen und Renten, die drastische Verkürzung von Kündigungsfristen, geringere Abfindungen bei Entlassungen, eine Erhöhung des Renteneintrittsalters um zwei auf 67 Lebensjahre und die Streichung der Kinderfreibeträge bei der Steuer selbst für Geringverdiener.

»Ich habe aufgehört zu zählen«, antwortete Georgia im Gespräch mit junge Welt auf die Frage, zum wievielten Mal sie sich seit den ersten Kürzungsmaßnahmen an einem Generalstreik beteiligte. Die bei dem Athener Vorort Agia Paraskevi Angestellte hat bereits zuvor drastische Gehaltseinbußen hinnehmen müssen. Nun soll ihr wie allen Kollegen im öffentlichen Dienst auch noch der verbliebene Rest von Weihnachts-, Oster- und Urlaubsgeld gestrichen werden. Den ganzen Tag über waren deshalb Schulen, Universitäten, Behörden und viele Banken geschlossen, wurden in den staatlichen Krankenhäusern nur Notfälle behandelt und blieben die Schiffe im Hafen liegen. Wegen der mehrstündigen Teilnahme der Fluglotsen am Streik kam es auch im Luftverkehr zu ernsthaften Behinderungen.

Während bei vorangegangenen Generalstreiks die öffentlichen Verkehrsmittel die Stunden vor und nach den Massenkundgebungen in Betrieb gehalten worden waren, fuhren am gestrigen Dienstag sowohl in Athen als auch in Thessaloniki weder Busse noch Fernzüge, die Metro oder Straßenbahnen. Das machte sich durch deutlich geringere Teilnehmerzahlen bei den Streikdemonstrationen bemerkbar. Daran konnten auch die von verschiedenen Gewerkschaftsorganisationen angemieteten Busse für den Transport der Streikenden nichts ändern. Trotzdem zogen gestern allein in Athen Zehntausende Menschen in zwei getrennten Demonstrationen vor das griechische Parlament. Der Block der Gemeindearbeiter bildete den größten in den von den griechischen Gewerkschaftsdachverbänden GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) organisierten Protestmarsch in der Hauptstadt. Die bei den Kommunen vorgenommenen Kürzungen haben Auswirkungen weit über deren Angestellte hinaus. »Alle sozialen Programme, wie Essen auf Rädern oder die Tagesaufenthalte für Senioren, werden eingestellt«, berichtete Christos aus einem nordwestlichen Vorort Athens, dessen Rathaus seit Tagen »und noch mindestens bis Donnerstag« von den Angestellten besetzt gehalten wird.

Auf der getrennt abgehaltenen Kundgebung der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME appellierte die Generalsekretärin der kommunistischen Partei KKE, Aleka Papariga, an das Volk, »zu systematischem und gut organisiertem Ungehorsam nicht nur gegen die Entscheidungen der Regierung, sondern generell gegen das Systems überzugehen«.

Heute abend, wenn im Parlament in namentlicher Abstimmung über das Paket entschieden wird, werden erneut Zehntausende direkt vor dem Gebäude demonstrieren. Für den Transport zu diesen Kundgebungen haben die Beschäftigten der öffentlichen Verkehrsmittel ihren Streik wieder ausgesetzt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 07. November 2012


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