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Euro nach Athen tragen

Zwei Jahre länger wurschteln: Finanzminister geben Notkredite für Griechenland frei und schließen Finanzierungslücke. Mehrheit im Bundestag in Sicht

Von Dieter Schubert *

Griechenlands Pleite wird weiter verschleppt. Nach langem Wühlen in der Trickkiste brachten die Euro-Finanzminister in der Nacht zum Dienstag ein Maßnahmenbündel ans Licht. Das ermöglicht es nun, den Zeitrahmen für die »Rettung« des Landes um zwei Jahre zu vergrößern. Gleichzeitig taten die Ressortchefs so, als habe Athen bislang alle erteilten Auflagen erfüllt – eine unbedingte Voraussetzung, um weitere Kreditsummen zu überweisen. Allerdings liegt der für diesen Schritt maßgebliche Bericht der Troika-Prüfer offiziell immer noch nicht vor.

Kernstück der vereinbarten Maßnahmen zur Finanzierung in den zusätzlichen zwei Jahren ist offenbar ein Rückkauf griechischer Schuldverschreibungen »am Markt«. Zudem werden Athens Zinskosten aus dem ersten Hilfsprogramm gesenkt, Gebühren im Zusammenhang mit dem zweiten reduziert und die Laufzeit beider Kredite verlängert. Das deckt nach Ansicht der Minister die Kosten für die zeitliche Streckung. Zugleich werden die bereits vereinbarten Kredite zur Auszahlung freigegeben – alles zusammen 43,7 Milliarden Euro. Die werden in Athen dringend erwartet, vor allem, um Schulden zu bedienen.

Die finanziellen Verrenkungen waren notwendig geworden, weil die gesamte Hilfsstrategie zu scheitern drohte. Griechenland, so die offizielle Lesart von Regierungen und Finanzmarktakteuren, sollte damit vor dem Staatsbankrott bewahrt werden und mittelfristig wieder auf die Beine kommen. Die erzielten Ergebnisse indes waren mehr als mau. Erfolgreich war man allenfalls bei der Steigerung der griechischen Wettbewerbsfähigkeit – drastische Lohn- und Sozialkürzungen wirken als Peitsche, jeden Billigjob anzunehmen.

Der Staatshaushalt allerdings blieb defizitär, auch wenn der Schuldendienst von der Betrachtung ausgeklammert wurde. Griechenlands Wirtschaftsleistung ging so stark zurück, daß allein dadurch die Verschuldungsquote – die am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bemessen wird – rasant stieg. Selbst die Verschleierungskünstler in Brüssel, Berlin und Frankfurt am Main konnten nicht mehr kaschieren, daß ein Erreichen der gesteckten »Rettungsziele« illusorisch ist.

Wir haben nichts zu verschenken, lautete das offizielle Credo der Geldgeber – also der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Deshalb wurden deren Kreditzusagen von drastischen Auflagen abhängig gemacht. Etatkürzungen, weniger Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Einschnitte bei Pensionen, Renten und Sozialausgaben und umfangreiche Privatisierungen standen (und stehen) ebenso auf der Troika-Forderungsliste wie die dadurch zu erreichenden Zielmarken.

Eine der wichtigsten davon war, daß das Land im Jahr 2020 »nur« noch Verbindlichkeiten in Höhe von 120 Prozent des BIP aufweisen sollte. Dies galt bei Festlegung als »tragbarer« Verschuldungsgrad. Neueste Berechnungen ergaben nun, daß der unerreichbar geworden ist. Um wenigstens annähernd im Plan zu bleiben, präferierten die Euro-Staaten deshalb besagte Streckung der Zeitspanne um zwei Jahre, der IWF verlangte einen Schuldenschnitt. Doch ein erneuter Teilerlaß der Verbindlichkeiten würde – im Gegensatz zum ersten »Haircut« – diesmal die öffentlichen Kassen treffen. Deshalb wehrten sich zahlreiche Regierungen, darunter die deutsche, gegen diesen Plan. Der Zusammenhalt der Troika schien in Frage gestellt.

Dummerweise ist auch für den in Washington ansässigen Währungsfonds ein Ausstieg schwierig geworden, fast so wie eine Kehrtwendung der EU und der EZB. Der IWF akzeptierte deshalb ein neues Szenario, wonach Griechenlands Verschuldung im Jahr 2020 bei 124 Prozent des BIP angenommen wird. Dafür erwarten die Auguren nun für 2022 eine Quote von 110 Prozent des BIP. So soll Rettung gehen.

Der Deal vom Dienstag schafft aber allenfalls eine Atempause. So liest sich das Vorhaben des Schuldenrückkaufs wie eine Einladung an Zocker. Wenn die Nachfrage nach billigen, also bereits stark im Marktwert gesunkenen griechischen Staatsanleihen plötzlich steigt, kosten sie auch wieder mehr. Sinn macht ein geplanter Erwerb durch Athen nur, wenn ein deutlicher Abstand zwischen Kosten und Nennwert gehalten werden kann.

Natürlich ist auch ein weiterer Schuldenerlaß nicht vom Tisch. Selbst wenn so getan wird, als seien die bisher geflossenen Zahlungen Kredite, so ist abzusehen, daß sich in der Rückschau viele als Subventionierung erweisen werden. Das ist zwar derzeit rechtswidrig, würde zudem lediglich die Steuerbürger schröpfen. Von den Politikern aber ist das längst einkalkuliert.

Jetzt kommen noch die Formalien, beispielsweise in den Parlamenten. Der Deutsche Bundestag wird sie am Donnerstag behandeln und abnicken. Es gibt dort bekanntlich eine mächtige Volksfront zur Unterstützung der Regierenden bei allerlei Rettungsaktionen. Es zeichne sich »eine breite Zustimmung« für den Plan ab, wie es Agenturen am Dienstag formulierten. Keine Überraschung war, das SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ein Ja der Sozialdemokraten andeutete. Auch die Grünen dürften wie gewohnt mitziehen. Lediglich von der Linken und einigen »Abweichlern« ist Widerstand zu erwarten. Der wird dann überstimmt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 28. November 2012


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