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Patriotische Hilfe Gottes

Griechenlands neuer Ministerpräsident spielt mit dem Feuer

Von Heike Schrader, Athen *

Der am Mittwoch vom Erzbischof von Athen, Hieronymus II., vereidigte neue griechische Ministerpräsident Antonis Samaras wünschte sich »Patriotismus« und »die Hilfe Gottes« für sein Amt. Schon das kurze Antrittsstatement des neuen Regierungschefs zeigt damit deutlich, welch Geistes Kind er ist. Wer angesichts des triumphalen Einzugs der mit mörderischem Nationalismus und dem Slogan »Griechenland den Griechen« werbenden faschistischen Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) an den Patriotismus der Griechen appelliert, spielt mit einem Feuer, das sich ohnehin schon zum Flächenbrand auszuweiten droht. Allein in der Hauptstadt Athen vergeht kein Tag mehr, an dem nicht faschistische Schlägerbanden mit Messern und Knüppeln bewaffnet Jagd auf dunkelhäutige Migranten machen. Samaras’ Einstellung zur Religion ist seine Privatangelegenheit, sein Statement jedoch signalisiert ein klares Bekenntnis zur reaktionären griechisch-orthdoxen Kirchenführung, die sich im Wahlkampf eindeutig gegen die »Antichristen« von SYRIZA positionierte. Dessen Forderung nach Trennung von Kirche und Staat müßte in einem modernen Staat eigentlich selbstverständlich sein, ist in Griechenland aber weit von der Wirklichkeit entfernt.

Auch sonst ist von der neuen Regierung nichts Gutes zu erhoffen. Selbst der Begriff »neue Regierung« war bis Donnerstag nachmittag noch übertrieben, denn außer dem Amt des Finanzministers, das mit einem angeblich »unpolitischen Fachmann«, dem bisherigen Chef der National Bank, besetzt werden soll, standen weder weitere Personalien fest, noch waren die inhaltlichen Übereinkünfte der Koalition aus konservativer Nea Dimokratia (ND), der ehemals sozialdemokratischen, nun neoliberalen PASOK und der sozialdemokratischen DIMAR so weit gediehen, daß sie als möglichst vage Festlegungen veröffentlicht werden könnten.

Zu hören sind bisher nur die üblichen Versprechungen, die seit Jahren ihrer Erfüllung harren beziehungsweise im Eiltempo gebrochen werden: konsequente Bekämpfung der Korruption im Staatsapparat und der Steuerhinterziehung, keine weiteren Senkungen von Löhnen und Renten. Wie eine Regierung, deren beide größten Parteien dieses Programm schon in den letzten Jahren nicht umgesetzt haben, nun Erfolg damit haben will, bleibt bis auf weiteres das Geheimnis des ND-Vorsitzenden Samaras und seines Amtskollegen von der PASOK, Evangelos Venizelos. Die kleine DIMAR von Fotis Kouvelis spielt in der Koalition ohnehin nur die Rolle des halblinken Feigenblattes. Ihre 17 Mandate wären im Ernstfall für eine Abstimmung nicht notwendig, da ND und PASOK zusammen bereits über 162 der 300 Sitze im Parlament verfügen.

Andererseits ist aus der jüngsten Vergangenheit bestens bekannt, wie schnell eine scheinbar komfortable Mehrheit abbröckeln kann. So waren der im November vergangenen Jahres an allen demokratischen Gepflogenheiten vorbei installierten Dreiparteienkoalition unter dem früheren Vizechef der Europäischen Zentralbank (EZB), Loukas Papadimos, im Februar bei der Abstimmung über die den Schuldenschnitt begleitenden brutalen Maßnahmen gleich 43 seiner anfangs 252 Parlamentarier auf einmal weggelaufen.

Das neue Kabinett werde die Memorandumspolitik fortsetzen, kommentierte der Sprecher der Linksallianz SYRIZA, Panos Skourletis, die Vereidigung von Samaras am Mittwoch. »Es handelt sich um eine Regierung mit klar konservativem Charakter, dessen Rumpf aus Kräften im Dienste der extremsten antisozialen, neoliberalen Politik besteht, die das Land in den letzten Jahrzehnten erlebt hat.« Gleichzeitig zweifelte Skourletis an der Fähigkeit der Koalition, in Neuverhandlungen mit der Gläubigertroika substantielle Verbesserungen bei den Rückzahlungsbedingungen der griechischen Schulden oder gar eine Wende in der auf ganz Europa angewandten Austeritätspolitik erreichen zu können.

»Die neue Regierung aus ND, ­PASOK und DIMAR wird den unter den Auswirkungen der kapitalistischen Krise leidenden Schichten des Volkes keine Erleichterung verschaffen«, heißt es auch im Kommentar der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE). Was die Koalition als Neuverhandlungen hinstelle, sei nur eine »notwendige Anpassung, die die Vertiefung der Krise in Griechenland und in den wirtschaftlich starken Ländern der Euro-Zone erforderlich macht«.

* Aus: junge Welt, Freitag, 22. Juni 2012


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