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Griechenlands Rentner sollen Zeche zahlen

Deutliche Kürzungen sorgen für immer mehr soziale Härtefälle

Von Anke Stefan, Athen *

Noch immer ist das neue, von der Gläubigertroika aus EU, IWF und EZB mit Athen auszuhandelnde Maßnahmenpaket nicht endgültig geschnürt. Fest steht jedoch, dass auch diesmal vor allem Rentner und Lohnabhängige die Zeche zahlen werden. Dabei gehören Rentner in Griechenland in ihrer Mehrheit bereits seit Langem zu den sozial besonders Benachteiligten.

Wie aus den offiziellen Angaben der größten staatlichen Versicherung für in der Privatwirtschaft Beschäftigen (IKA), abzulesen ist, lag hier die mittlere Rentenhöhe 2009, also vor den ersten Kürzungen, bei 729,09 Euro Brutto Hauptrente im Monat. Mittlerweile ist sie auf 696,94 Euro zusammengestrichen worden. Von den etwas über 1,2 Millionen Rentnern des griechischen AOK-Pendants müssen 55,9 Prozent mit diesem oder einem darunter liegenden Betrag ihr Leben bestreiten, knapp die Hälfte bezieht weniger als 500 Euro Hauptrente Brutto im Monat. Aus eine Zusatzversicherung werden im Mittel 174,29 Euro zusätzlich ausgezahlt, vor den Kürzungen waren es noch 216,63 Prozent. Wobei 37,3 Prozent der Rentner eine Zusatzrente von weniger als 150 Euro Brutto im Monat beziehen.

Von den etwa 220 000 Rentner im öffentlichen Dienst beziehen etwa 90 000 bis 100 000 eine Rente um die 1500 Euro Brutto, erläutert Christos Bourdoukis. In seiner aktiven Zeit hat der stellvertretende Vorsitzende der griechischen Rentnervereinigung im öffentlichen Dienst als Ministerialdirektor im für die Renten der Staatsangestellten zuständigen Ministerium gearbeitet. Seine Auskünfte seien keine offiziellen Angaben, sondern »stützen sich auf meine Erfahrungen als ehemaliger Direktor im öffentlichen Rentenwesen«, betont Bourdoukis im Gespräch mit »nd«. Offizielle Zahlen waren jedoch weder von der Pressestelle des zuständigen Ministeriums noch von der zuständigen Abteilung innerhalb des Ministeriums zu bekommen. Bourdoukis bezieht nach 36,5 Jahren Dienst, 1590 Euro Brutto Haupt- und Zusatzrente, die durch zwei Zuzahlungen in Höhe von 33 und 35 Euro ergänzt werden. Zum Vergleich: Ein bundesdeutscher verbeamteter Gymnasiallehrer bezieht nach den gleichen Dienstjahren eine Pension von über 3000 Euro netto im Monat.

Derartige Beträge erhalten in Griechenland nur ganz wenige. Die in der ausländischen Presse immer wieder zitierten Spitzenrenten von über 5000 Euro sind - beziehungsweise waren - das Privileg weniger hochbezahlter Funktionäre und leitender Angestellter in den ehemaligen staatlichen Großbetrieben, von Richtern und Abgeordneten. Bei den Renten der IKA ist der Spitzensatz von knapp 3200 auf 2800 Euro Brutto im Monat gesunken. Die wenigen Spitzenrentenbezieher unter den 220 000 Rentnern im öffentlichen Dienst beziehen ebenfalls etwa 2800 Euro Brutto im Monat, so Bourdoukis.

In der Vergangenheit ist die große Masse der Rentner von den prozentualen Kürzungen relativ verschont geblieben. Die Schere wurde bei den IKA-Rentner erst ab 1400 Euro Brutto angesetzt, im öffentlichen Dienst wurde oberhalb einer Grenze von 1200 Euro gekürzt. Ähnliches gilt für die Zusatzrenten, wo erst ab Beträgen über 300 Euro abgezogen wurde. Auch in den unteren Rentengruppen musste man allerdings hohe Einbußen durch die Ersetzung der 13. und 14. Monatsrente durch einen Maximalbetrag von 800 Euro jährlich hinnehmen. Nun aber sind Kürzungen ab 700 Euro Haupt- und dem ersten Euro der Zusatzrente im Gespräch, sowie die vollständige Streichung der verbliebenen maximal 800 Euro aus der 13. und 14. Monatsrente. Sogar die Bezieher der wohl eher als Sozialhilfe zu bezeichnenden Bauernrente bleiben diesmal nicht verschont. Ihre 360 Euro monatlich betragende Standardrente soll um 30 Euro und die 13. und 14. Monatsrente gekürzt werden. Die sozialen Folgen sind desaströs.

Es sind vor allem die Beitragsausfälle durch gestiegene Arbeitslosenzahlen sowie die Verluste, die die Kassen durch den Wertverlust bei den von ihnen gehaltenen Staatsobligationen hinnehmen mussten, die die Kassen in eine schwierige Lage gebracht haben. In den Medien wird dagegen vorzugsweise der unrechtmäßige Bezug von Alters- und Invalidenrenten thematisiert. Jahrzehntelang war es hier relativ einfach, etwa die Rente der verstorbenen Eltern widerrechtlich weiter zu beziehen. Erst im Zuge der Krise lässt die Regierung prüfen, wer von den Rentenbeziehern überhaupt noch am Leben ist. Bis zum Stichtag am 30 September hatten sich danach etwa 60 000 der über 1,2 Millionen IKA-Rentner noch nicht gemeldet, im öffentlichen Dienst waren nach Ablauf der Frist 4560 von etwa 220 000 Rentner nicht zur Prüfung erschienen. Sie bekommen ab Oktober automatisch keine Rente mehr, während die Behörden jeden Einzelfall auf eventuelle zivil- und strafrechtliche Konsequenzen untersuchen sollen. »Dieses Mittel hätte viel früher angewendet werden«, meint Christos Bourdoukis und erinnert daran, dass die griechische Rentnervereinigung im öffentlichen Dienst bereits vor Jahren vorgeschlagen hatte, Totenscheine immer auch an die zuständige Rentenkasse weiter zu leiten.

Schwieriger gestaltet sich die Prüfung im Fall der Invalidenrenten. Zwar sind hier längst alle Fristen für den Nachweis des Behinderungsgrades vor eigens dafür eingerichteten Ärztekommissionen abgelaufen. Tausenden wurde allerdings nach Ablauf der Frist die Rente gestrichen, ohne dass sie einen Termin bei der für sie zuständigen Ärztekommission bekommen haben. »Wir Rentner werden aufgefordert, das Kreuz für die Sünden der früheren Regierungen und Verwaltungen auf uns zu nehmen«, bringt Christos Bourdoukis die Stimmung unter den alten Menschen in Griechenland auf den Punkt. In der Bibel folge auf die Kreuzigung die Auferstehung, sagt er, »die große Frage ist, ob es die auch für Griechenland geben wird«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Oktober 2012


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