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Stühlerücken im Kabinett

Regierungsumbildung in Griechenland spült Politfunktionäre nach oben. Kampf um öffentlich-rechtlichen Rundfunkt geht weiter

Von Heike Schrader, Athen *

Die Regierungsumbildung hat in Griechenland die Debatte um die öffentlich-rechtliche Medienanstalt ERT in den Hintergrund gerückt – und das, obwohl der Streit um den Sender die innenpolitische Krise erst eskalieren ließ. Die Demokratische Linke (DIMAR) hatte sich geweigert, der Schließung der ERT zuzustimmen und war aus der Regierungskoalition ausgetreten. Das am Montag vorgestellte neue Kabinett von Ministerpräsident Antonis Samaras stützt sich im 300köpfigen Parlament nunmehr nur noch auf die knappe Mehrheit der 125 Abgeordneten seiner konservativen Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen PASOK von Evangelos Venizelos mit 28 Sitzen.

In der neuen Regierung wurde Venizelos nun zum zweiten Mann hinter Ministerpräsident Antonis Samaras ernannt. Der Vorsitzende der PASOK übernimmt neben dem Amt des Regierungsvize auch das des griechischen Außenministers. Dessen ehemaliger Inhaber Dimitris Avramopoulos wechselt an die Spitze des Verteidigungsressorts, sein Vorgänger dort, Panagiotis Panagiotopoulos, wird neuer Kulturminister. Trotz der Aufspaltung einiger Ministerien blieben insgesamt 13 ehemalige Ressortchefs und Staatssekretäre beim »Reise nach Jerusalem«-Spiel vom orthodoxen Pfingstmontag ohne Stuhl. Die meisten von ihnen mußten den Platz für den Einzug von PASOK-Vertretern räumen. Darunter dominierten altbekannte Politfunktionäre, wie beispielsweise der neue Ministers für Öffentliche Bauten, Michalis Chrysochoidis, die bereits in zahlreichen anderen Regierungen Ministerposten bekleidet hatten. Unter den von der Nea Dimokratia gestellten neuen Regierungsmitgliedern fallen der jüngste Sprößling der Politdynastie Mitsotakis-Bakogiannis, Kyriakos Mitsotakis, und der von der rechtsextremen LAOS-Partei zugewanderte Adonis Georgiadis auf. Ersterer hatte vor einigen Jahren Schlagzeilen im Zusammenhang mit dem Siemens-Skandal erzeugt, weil er »vergessen« hatte, die ihm vom Konzern gelieferte Büroausstattung zu bezahlen. Ein Ministeramt für Georgiadis, dieses Ansinnen war in der Vorgängerregierung noch am Veto der DIMAR gescheitert.

Keine Änderung gibt es im Finanzministerium. Das für die ausländische Gläubigertroika wichtigste Ressort wird nach wie vor vom Finanzfachmann und Exbankenvorsitzenden Giannis Stournaras geleitet. Bereits am Freitag hatte der die Nationale Staatsbank Griechenlands angewiesen, den entlassenen ERT-Angestellten jeweils die erste Rate der ihnen gesetzlich zustehenden Abfindungen auszuzahlen. Gleichzeitig forderte Stournaras die im Athener Sender verbliebenen Angestellten auf, das Gebäude umgehend zu verlassen. Bis zu 2000 der insgesamt 2656 Geschaßten sollen für zwei bis drei Monate bei einer Übergangsmedienanstalt beschäftigt werden. Wie viele danach bei dem von der Regierung geplanten neuen öffentlich-rechtlichen Sender NERIT angestellt werden blieb unklar. Bereits am Freitag hatte der Oberste Verwaltungsgerichtshof Griechenlands eine Klage des Gewerkschaftsbundes in Rundfunk und Fernsehen (POSPERT) abgelehnt und die Schließung der ERT für rechtens erklärt. Gleichzeitig war allerdings angeordnet worden, daß der Sendebetrieb bis zur Einrichtung der Nachfolgerin NERIT mit einer Übergangslösung aufrechterhalten bleiben müsse. Die Regierung hat dies bisher nicht umgesetzt.

»Wir stellen unseren Kampf nicht ein, wenn nicht die ERT vollständig wiederhergestellt wird, so als ob sie nie dichtgemacht worden wäre«, antworteten die ERT-Angestellten in einer Presseerklärung des POSPERT. Sie fordern weiterhin die Rücknahme der Schließung »ohne jede Entlassung, ohne Aushebelung von Arbeiterrechten«. Die Widerständler machen rund um die Uhr ein Programm, das im Internet ausgestrahlt wird. Darüber hinaus rufen sie weiterhin zur Unterstützung ihres Arbeitskampfes insbesondere durch Anwesenheit vor Ort auf, da sie jederzeit mit einer polizeilichen Räumung rechnen. Insbesondere in den Nacht- und frühen Morgenstunden harren auf dem Gelände nur noch wenige Solidarische aus.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. Juni 2013


An Ministern spart Athen nicht

PASOK-Chef Venizelos nun Vizepremier und Außenminister

Von Anke Stefan, Athen **


Seit Montagabend, dem orthodoxen Pfingstmontag, hat Griechenland eine neue Regierung. Die Kabinettsumbildung war nötig geworden, da die Demokratische Linke am vergangenen Donnerstag aus der Koalitionsregierung ausgestiegen war.

Da waren's nur noch zwei: Das neue griechische Regierungsbündnis bilden die rechte Nea Dimokratia (ND) und die sozialdemokratische PASOK. Die »Große Koalition« der beiden Parteien, die Griechenland in den vergangenen Jahrzehnten abwechselnd regiert und in die Krise geführt hatten, verfügt allerdings nur noch über 153 der 300 Parlamentssitze.

Neuer starker Mann unter Ministerpräsident Antonis Samaras (ND) ist der PASOK-Vorsitzende Evangelos Venizelos. Er bekommt nicht nur das neu geschaffene Amt eines Vizepremiers, sondern übernimmt auch das Außenministerium. Zuvor war die PASOK nur mit wenigen, der Partei nahestehenden Persönlichkeiten im Kabinett vertreten gewesen. Außer Venizelos übernehmen nun weitere zehn hochrangige PASOK-Politiker Minister- und Staatssekretärsposten. Der bekannteste ist sicherlich Michalis Chrysohoidis, der unter anderem schon zwei Mal Minister für Öffentliche Ordnung war. Jetzt übernimmt er das vom Wirtschaftsministerium abgespaltene Ministerium für Öffentliche Bauten. An die Spitze des für den Umbau der geschlossenen Medienanstalt ERT geschaffenen Ministeriums für Rundfunk und Fernsehen wurde der Journalist Pantelis Kapsis berufen.

Journalisten sind überhaupt im neuen Kabinett in ungewöhnlich hoher Zahl vertreten: ein Sechstel der insgesamt 41 Minister und Staatssekretäre entstammt der schreibenden Zunft. Einer davon ist Simos Kedikoglou, der Regierungssprecher und Staatssekretär beim Ministerpräsidenten bleibt. Sein Cousin Simeon Kedikoglou von der PASOK bekam dagegen erstmals das Amt des Staatssekretärs im Ministerium für Bildung und Religiöse Angelegenheiten. Der für die ausländischen Gläubiger wichtigste Mann bleibt indes auf seinem Posten: Dem Finanzministerium steht nach wie vor der ehemalige Bankchef Giannis Stournaras vor.

Erstmalig ein Regierungsamt übernimmt Kyriakos Mitsotakis, Sohn des ehemaligen ND-Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis und Bruder der früheren Außenministerin Dora Bakogiannis. Der 45-jährige Mitsotakis gehört zu den jüngsten Ministern, sitzt aber als Ressortchef für Verwaltungsreformen auf einem heißen Stuhl. Denn in seinen Bereich fällt die Entscheidung, wie die Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten bis Ende 2015 vorzunehmen ist.

An Regierungspersonal wird jedenfalls nicht gespart: Die Zahl der Minister ist von 17 auf 19 gewachsen, und keiner davon kann als überparteilich gelten. Als ein »Personenrecycling, das einer zerfallenden Regierung keinen künstlichen Atem verschafft«, bezeichnete die größte Oppositionspartei SYRIZA die Regierungsumbildung. »Das neue Kabinett ist maßgeschneidert für die in den Memoranden (mit EU, Weltwährungsfonds und Europäischer Zentralbank) vorgesehenen Maßnahmen und entspricht den Plänen der Regierung, die politische Plünderung der Einkommen und den Ausverkauf der öffentlichen Leistungen zuzuspitzen«, heißt es in einer Erklärung der Linksallianz.

Die nationalistischen Unabhängigen Griechen messen der Kabinettsumbildung keinerlei Bedeutung bei. »Solange es Kommissionen der Gläubigertroika gibt, die die Herrschaft ausüben (...), hat es keinerlei Bedeutung, welche Namen bei der Regierungsumbildung genannt werden«, erklärte der Vorsitzende der viertstärksten Partei im Parlament, Panos Kammenos.

Die Kommunistische Partei Griechenlands erwartet von der neuen Regierung eine »Zuspitzung des Angriffs zu Lasten des Volkes und der Lohnabhängigen mittels neuer volksfeindlicher Maßnahmen«.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Juni 2013


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