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Massenproteste

Griechenland: Zehntausende demonstrieren gegen neue Kürzungen. Vertreter der Troika in Athen eingetroffen

Von Heike Schrader, Athen *

Am späten Sonntag nachmittag begannen in Athen die entscheidenden Gespräche über das neue, insgesamt fast zwölf Milliarden Euro umfassende Kürzungspaket zwischen dem griechischen Finanzminster Giannis Stournaras und den Vertretern der Gläubigertroika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Die Ergebnisse wurden dann am Abend von den Vorsitzenden der drei Regierungsparteien, Antonis Samaras von der konservativen Nea Dimokratia, dem Sozialdemokraten Evangelos Venizelos (PASOK) und Fotis Kouvelis von der linksliberalen DIMAR, diskutiert.

Bereits am Vortag hatte es Massenproteste der griechischen Bevölkerung gegen die neuen Maßnahmen gegeben. Anläßlich der Eröffnung der Internationalen Messe in Thessaloniki durch Ministerpräsident Samaras zogen am Samstag mehrere zehntausend Betroffene in insgesamt vier Demonstrationen durch das Zentrum der nordgriechischen Stadt. Zu den jeweiligen Protesten hatten die griechischen Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY, die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME sowie zahlreiche parlamentarische und außerparlamentarische Organisationen der Linken und des anarchistischen Spektrums aufgerufen.

Vorgeblich um die Staatskasse zu schonen, hatte Antonis Samaras seinen diesjährigen Auftritt auf der Messe auf eine kurze Ansprache zur Eröffnung beschränkt. Die traditionelle Rede, bei der der jeweilige Ministerpräsident sein Regierungsprogramm für die nächsten zwölf Monate erläutert, entfiel ebenso wie die Pressekonferenz, bei der den in- und ausländischen Journalisten sonst immer Gelegenheit zur kritischen Hinterfragung dieses Programms gegeben wird.

»Der Ministerpräsident hat sich entweder wie ein Dieb auf die Messe geschlichen, da er den produktiven Kräften des Landes, die von seiner Politik auf die Knie gedrückt werden, nichts zu sagen hat«, kommentierte der Vorsitzende der größten Oppositionspartei SYRIZA, Alexis Tsipras, den kurzen Auftritt von Samaras. »Oder weil er sich schämt, in der Stadt um Absolution zu bitten, in der er vor einem Jahr seine letzte (…) Show abgezogen hat«, in der er die Verhinderung weiterer gravierender Einschnitte in den Etat versprochen hatte.

»Samaras hat tatsächlich nichts mehr zu verkünden«, erklärte der Pressesprecher von SYRIZA, Panos Skourletis, zur Rede des Premiers. »Seine Ankündigungen und Lügen im Wahlkampf, als er eine Neuverhandlung des Memorandums zusicherte, wurden ausgesprochen, um das griechische Volk zu täuschen.« Heute, so Panos Skourletis, setze der »den Märkten und Frau Merkel unterstellte« Samaras die »härteste und unsozialste Politik« um, die das Land seit Ende der Militärdiktatur gesehen hätte.

Den Reigen der Proteste hatten bereits am Samstag zu Mittag Tausende Polizisten, Hafenpolizisten und Feuerwehrleute eröffnet. Ihre Gehälter sollen im Zuge der neuen Kürzungen um bis zu 30 Prozent beschnitten werden. Am frühen Abend folgten drei weitere Demonstrationen von Gewerkschaften und linken Organisationen.

»Das Volk kann nicht besser leben, es wird keine Erleichterung von den Lasten der Krise spüren, wenn es nicht einen Entschluß faßt«, erklärte die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) auf der PAME-Kundgebung. Ziel müsse sein, »daß wir uns von den Fesseln der EU und der Monopole in unserem Land lösen. Alles andere, die ganze Medizin ist Gift.« Auf die Rede von Antonis Samaras bezogen erklärte die Pressestelle der KKE: »Unabhängig davon, ob Griechenland in zwei oder vier Jahren aus der Krise kommt, wird das griechische Volk mit den bereits getroffenen und den von Regierung und EU neu ergriffenen Maßnahmen für Jahrzehnte am Boden liegen.« Deswegen laute »die entscheidende Frage für das Volk nicht, mit welcher Politik des Krisenmanagements es den neuen Konkurs bezahlt«. Es ginge vielmehr darum, »mit einer Allianz des Volkes und dem Gegenangriff für eine Loslösung aus der EU, die Vergesellschaftung der Großunternehmen und die einseitige Annullierung der Schulden den blutigen Opfern ein Ende zu machen«.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. September 2012


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