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Bruderzwist in Hellas

Griechische Regierung geht gegen Chrysi Avgi vor und inszeniert sich als Retterin der Demokratie – dabei ist Athen längst auf dem Weg Richtung Autoritarismus

Von Thomas Eipeldauer *

Unabhängig davon, daß sie so spät gehandelt hat, ist die Regierung mit Mut und Kompetenz vorgegangen«, kommentiert der Kolumnist Nikos Konstandaras das Vorgehen der griechischen Regierung gegen die Neonazipartei Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) in der Tageszeitung Kathimerini. Und tatsächlich: Nachdem ein Mitglied der faschistischen Gruppierung am 18. September, offenbar unterstützt von mehreren seiner Kameraden, den antifaschistischen Musiker Pavlos Fyssas ermordet hatte, leitete die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras zum ersten Mal Maßnahmen gegen Funktionäre der notorisch gewalttätigen Chrysi Avgi ein. Zahlreiche Mitglieder wurden verhaftet, darunter ein Großteil der Parteiprominenz.

Die Anklage gegen die Funktionäre der Neonazipartei basiert auf der Einstufung als »krimineller Vereinigung«, der zehn Morde und Mordversuche, Schutzgelderpressungen, Bombenattentate, rassistische Gewalttaten und zahlreiche weitere Straftaten zur Last gelegt werden. Der vorgelegte Ermittlungskatalog reicht bis ins Jahr 1987 zurück.

Schon der Umstand, daß die Behörden offenbar sehr genau über das Treiben der »Goldenen Morgendämmerung« informiert waren – jene Parteisektion, in deren Region Pavlos Fyssas ermordet wurde, wurde z.B. schon seit längerem polizeilich überwacht –, läßt die Frage aufkommen, warum nicht früher gehandelt wurde. Daß Chrysi Avgi in rassistische Gewalttaten verwickelt war, und diese auch systematisch begangen wurden, ist durch zahlreiche Zeugnisse seit langem bestätigt.

Nicht erst seit jener Wahl 2012, als die Neonazis im Sog von Krise und Austeritätsdiktat von 0,3 Prozent (2009) auf sieben Prozent zulegten, haben linke Parteien und antifaschistische Initiativen, Anarchisten und Sozialisten vor dem Erstarken der sich offen auf Hitler und den Nationalsozialismus berufenden Morgendämmerung gewarnt. Samaras und die Seinen allerdings schwiegen. Denn zum einen sind die Faschisten nützliche Idioten, die durchaus eine systemstabilisierende Funnktion im krisengeschüttelten Griechenland erfüllten. Sie binden einen Teil der von den Kürzungsmaßnahmen betroffenen Bevölkerung und hielten diesen von der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken fern.

Zum anderen gibt es zwischen Chrysi Avgi und der Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) mehr Gemeinsamkeiten als Samaras, der sich jetzt als Bewahrer der Demokratie darstellen will, lieb sein kann. Es ist kein Kampf eines bürgerlichen Demokraten gegen den Faschismus, der hier zu beobachten ist, sondern der Bruderstreit zweier antidemokratischer Fraktionen.

Samaras eigenes politisches Projekt kann durchaus als modernere, neoliberale Variante eines Autoritarismus beschrieben werden, der im Interesse des in- und ausländischen Kapitals Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie und der Arbeiterbewegung zerstört. Die Feindbilder der völkischen Bande und der konservativen Nea Dimokratia gleichen einander: Linke Vaterlandsverräter und »illegale Immigranten«. Die von der Regierung mehrfach gegen Arbeitsniederlegungen eingesetzte Notverordnung, die einer Illegalisierung von Streiks entspricht, das harte Vorgehen gegen Demonstrationen, die Inhaftierung von Oppositionellen – all das könnte aus der Feder der Morgendämmerung-Ideologen stammen. Die rassistische Operation »Xenios Zeus« gegen »illegale Einwanderer«, in deren Verlauf Zehntausende »nicht-griechisch« aussehende Menschen schikaniert wurden, und bei der Tausende Festnahmen zu verzeichnen waren, entspricht exakt den migrationspolitischen Vorstellungen der Chrysi Avgi.

Eine vergangene Woche veröffentlichte Studie des britischen Thinktanks Demos (»Backsliders. Measuring Democracy in the EU«) gibt zudem an, daß in allen untersuchten Bereichen, darunter in den Kategorien »Korruption«, »Justizsystem« und »Behandlung ethnischer Minderheiten«, Hellas äußerst schlecht abschneidet. Neben Ungarn sei Griechenland jenes Land, bei dem am deutlichsten ein Demokratieverfall zu beobachten sei. Wenn nun die griechische Tageszeitung To Vima titelt »Die Demokratie fegt die Nazis weg«, vergißt sie, daß die Regierung seit langem dabei ist, die bürgerliche Demokratie wegzufegen. Samaras handelt nicht als Antifaschist, er handelt nach der alten Maxime des CSU-Despoten Franz Josef Strauß: Rechts von uns braucht es keine Partei.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 2. Oktober 2013


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