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Das griechische Paradoxon

Athen verfehlt gerade wegen der verordneten Sparprogramme die Defizitziele

Von Anke Stefan, Athen *

Bereits beim letzten Besuch der Gläubigertroika aus EU, IWF und EZB in Athen im Juni kursierten Informationen, Griechenland liege in 210 von 300 vereinbarten Sparmaßnahmen hinter den Zielvorgaben zurück. Derartige Versäumnisse werden dem angeschlagenen Staat auch während des aktuellen Besuchs der Kontrolleure der »Troika« wieder vorgeworfen.

Griechenland ist immer noch weit von den Oberzielen Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau entfernt, die Differenz zwischen Soll-Vorgaben und Ist-Zustand auf dem Weg dorthin wird sogar immer größer. So klafft schon jetzt eine Lücke von 2,5 Milliarden Euro im Haushalt 2012. Ohne Korrektur führe dies bis Jahresende zu einem Defizit von 17,5 statt der angestrebten 14,9 Milliarden Euro, lautet ein am Donnerstag bekannt gewordenes erstes Zwischenfazit der »Troika«-Kontrollkommission. Entstanden ist das zu hohe Defizit vor allem durch gestiegene Ausgaben für die Sozialversicherung sowie im Gesundheitswesen.

Ein Grund für das Zurückbleiben hinter den Zielen ist der paradoxerweise durch die zahlreichen Kürzungen und Steuererhöhungen verursachte Rückgang der Staatseinnahmen. So spült die in zwei Schritten um satte vier Prozentpunkte erhöhte Mehrwertsteuer seit geraumer Zeit nicht mehr, sondern weniger Geld in den klammen Staatshaushalt, da dies den Konsum bremst. Der Tourismusstandort Griechenland leidet unter einem neuen Wettbewerbsnachteil: Für Lebensmittel gilt seit einigen Monaten nicht mehr der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 13 Prozent, sondern der um zehn Punkte höhere normale Satz, was auch Restaurants belastet..

Auch die veranschlagten Mehreinnahmen von über vier Milliarden Euro durch die Streichung von Steuervergünstigungen und die Erhebung zahlreicher Sondersteuern sind mehr als fraglich. So wird eine aus dem Besitz einer Eigentumswohnung resultierende Zusatzbesteuerung bei Langzeitarbeitslosen vom Fiskus schlicht nicht einzutreiben sein. Bei offiziell weit über einer Million Arbeitslosen und mindestens ebenso vielen seit Monaten auf ihren Lohn wartenden Erwerbstätigen wird es zahlreiche solcher Fälle geben. Gleichzeitig reißen die vertragsgetreu umgesetzten Kürzungen von Löhnen und Renten über sinkende Beiträge riesige Löcher in den Sozialversicherungskassen, die vom Staat ausgeglichen werden müssen. Ganz zu schweigen von den trotz Kürzung des Arbeitslosengeldes steigenden Ausgaben der Arbeitslosenversicherung aufgrund dramatisch steigender Erwerbslosenzahlen.

Vor diesem Hintergrund ist die Weigerung der neuen Regierung, die begonnene Schließung unnötiger staatlicher Einrichtungen mit der Entlassung der dort Angestellten zu verbinden, mehr als verständlich. Ohne soziale Abfederung liefe die von der »Troika« geforderte Entlassung von 150 000 Staatsbediensteten binnen drei Jahren auf den Zusammenbruch der Sozialversicherungskassen, aber auch des Binnenmarktes hinaus, der bereits in den letzten beiden Jahren durch die dramatisch gesunkene Kaufkraft laut der griechischen Handelskammer über 60 Prozent Umsatzrückgang verzeichnete. Von der in Verbindung mit den drastischen Kürzungen versprochenen Rückkehr zum Wirtschaftswachstum ist das seit 2008 in Rezession steckende Land nach wie vor weit entfernt. Nach neuesten Prognosen wird die Wirtschaft 2012 wie im Vorjahr um sieben Prozent schrumpfen.

Aber auch die von vielen als Allheilmittel gesehene Privatisierung von öffentlichem Eigentum liegt weit hinter den Vorgaben zurück. Bis 2015 sollen damit Milliarden Euro eingenommen werden, geflossen sind letztes Jahr gerade einmal 1,7 Milliarden, und für dieses Jahr wird nur mit dem Verkauf der staatlichen Lotterie sowie einer Immobilie in Athen gerechnet. Für das schleppende Prozedere sind indes nicht nur bürokratische Hürden oder ungeklärte Eigentumsfragen verantwortlich - meist fehlt es schlicht und einfach am Interesse von Investoren.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 27. Juli 2012


Troika-Inspekteure wieder in Athen

Griechenland (ebenso wie seine Gläubiger) muß einmal mehr um neue Finanzhilfen bangen: In Athen nahmen am Donnerstag die Kontrolleure der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) Gespräche mit der neuen Regierung auf. Die Vertreter der sogenannten Troika sprachen zunächst mit Finanzminister Yannis Stournaras. Am Abend wollte zudem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Athen mit Regierungs­chef Antonis Samaras zusammentreffen. Barroso hatte Griechenland seit Mitte 2009 nicht mehr besucht.

Im Mittelpunkt der Unterredungen stehen die Fortschritte Athens bei dem von den »Helfern« aus Brüssel, Washington und Frankfurt/Main aufgenötigten strikten »Reformprogramm«. Die griechische Regierung hatte den Geldgebern versprochen, den Etat in den beiden kommenden Jahren um 11,5 Milliarden Euro zu kürzen (»Sparprogramm« genannt) und die Einnahmen um drei Milliarden Euro zu steigern. Damit soll die hohe Staatsverschuldung gesenkt werden. Experten waren zuletzt zunehmend skeptisch, ob Griechenland seine Pläne verwirklichen und in der Euro-Zone bleiben kann. Ein positiver Bericht der Troika gilt als Voraussetzung für weitere internationale Finanzhilfen an das kleine Land, das weiterhin der Staatspleite nahe ist.

Angekündigte neue »Sparmaßnahmen« dürften Pensionen und Löhne von Staatsangestellten weiter beschneiden sowie erneute Streichungen in den Bereichen Gesundheit und Soziales bedeuten. Arbeitsminister Yiannis Vroutsis muß voraussichtlich den Großteil der Einschnitte exekutieren und verantworten. Vor einem für nächste Woche geplantem Treffen mit der Troika sagte Vroutsis, die Kürzungen sollten »so gerecht wie möglich« umgesetzt werden.

Seit gut zweieinhalb Jahren erleben die Griechen eine Kürzungsrunde nach der anderen. Proteste dagegen ziehen sich mittlerweile durch breite Teile der Gesellschaft. (dapd/jW)

** Aus: junge Welt, Freitag, 27. Juli 2012


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