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Neuer Anlauf - alte Probleme

Griechische Konservative führen Gespräche zur Regierungsbildung

Von Katja Herzberg *

Krisenszenarien mussten nicht bemüht werden. Die Parlamentswahl in Griechenland ergab eine Mehrheit für die konservative Nea Dimokratia und ermöglicht eine Regierungsbildung. Ein Euro-Austritt gilt als abgewendet.

Die Wahlempfehlungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker haben gefruchtet. Die konservative Nea Dimokratia (ND), hat die griechische Parlamentswahl am Sonntag für sich entscheiden. Sie lag nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit knapp 30 Prozent vor dem Linksbündnis SYRIZA (26,9 Prozent).

Die ND, die die mit der Gläubigertroika ausgehandelten Sparauflagen nachverhandeln will, könnte nun mit der sozialistischen PASOK, die auf 12,3 Prozent kam, eine Regierungskoalition eingehen. SYRIZA-Chef Alexis Tsipras schloss eine Zusammenarbeit mit der ND aus. »Wir werden in der Opposition sein«, sagte Tsipras, der die Aufkündigung der Kürzungen versprach, nach einem Treffen mit Samaras. Ihm erteilte Präsident Karolos Papoulias gestern den Auftrag zur Regierungsbildung. Der 61-Jährige hat nun drei Tage Zeit, um eine Koalition zu schmieden.

Die Börsen in Asien und Europa haben auf den Sieg der Konservativen in Griechenland am Montag kurzzeitig mit Erleichterung reagiert. Dann jedoch ließ ein neues Rekordhoch bei den Renditen spanischer Staatsanleihen die Gewinne wieder verpuffen. Analysten bezweifeln, dass sich die Unsicherheit an den internationalen Finanzmärkten rasch legen wird.

Zufriedenheit über den Wahlausgang zeigte auch die Europäische Union und forderte eine rasche Regierungsbildung. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso teilten mit, sie seien sich der Opfer bewusst, die von den Griechen zur Reform der Wirtschaft verlangt würden. Die nächste Kreditrate wollen die internationalen Geldgeber erst freigeben, wenn Athen eine handlungsfähige Regierung habe. In einem Monat, heißt es in griechischen Medien, könnte der Staat Gehälter und Pensionen nicht mehr zahlen.

Das Europaparlament hat einer neuen griechischen Regierung seine »konstruktive Zusammenarbeit« versprochen. »Wenn Griechenland zu seinen Verpflichtungen steht, dann kann die EU prüfen, was noch weiter getan werden kann, um die Krise zu überwinden«, hieß es von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD).

Für Verwirrung sorgten Aussagen von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Inhaltlich seien die Reformvereinbarungen, die Griechenland mit den EU-Partnern und dem Weltwährungsfonds geschlossen hat, nicht verhandelbar. Man sei aber »bereit, darüber zu reden, was den Zeitplan angeht«. Vizeregierungssprecher Georg Streiter widersprach wenig später solchen Überlegungen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Juni 2012


Zwischen Sorge und Stolz

SYRIZA sieht eine Schlacht verloren, doch aufgeben will die griechische Linke nicht

Von Anke Stefan, Athen **


Aufatmen in Westeuropa: »Die Griechen« hätten sich für Euro und EU entschieden, indem sie die rechte Nea Dimokratia zur stärksten Partei im Parlament machten. Das Schreckgespenst einer Regierung unter linker Führung scheint gebannt. Und was denken »die Griechen« selbst?

Am Tag nach der Wahl halten sich Optimisten und Pessimisten die Waage. Knapp 50 Prozent von 1650 Befragten einer nicht repräsentativen Erhebung des wichtigsten griechischen Nachrichtenportals (in.gr) schauen nach dem Wahlsieg des Konservativen Antonis Samaras »weniger optimistisch« in die Zukunft. Etwas mehr als 45 Prozent versprechen sich vom Wahlergebnis dagegen Besserung für das Land. Tsipras verspricht kämpferische Opposition

Dabei steht nicht einmal fest, ob es diesmal gelingt, eine Regierung zu bilden. Wie bereits beim ersten Urnengang dieses Jahres im Mai erteilte Staatspräsident Karolos Papoulias am Montagvormittag dem Vorsitzenden der Nea Dimokratia (ND) das Mandat für Sondierungsgespräche mit möglichen Koalitionspartnern. Antonis Samaras holte sich aber bereits im ersten Gespräch eine Absage: Alexis Tsipras, Vorsitzender der abermals als zweitstärkste Partei ins Parlament eingezogenen Linksallianz SYRIZA, wird sich getreu seinen Wahlaussagen mit der Rolle des Oppositionsführers begnügen. SYRIZA legte bei diesen Wahlen um mehr als zehn Prozentpunkte zu. Diesen Kraftzuwachs werde die Linksallianz »nicht den Anhängern der Memorandumspolitik schenken«, sagte Tsipras bereits am späten Sonntag. Stattdessen wolle man »aus der Position einer verantwortlichen und kämpferischen Opposition heraus« für Veränderungen im Interesse der Bevölkerung wirken. Als »Memorandum« werden in Griechenland die Vereinbarungen mit EU, Europäischer Zentralbank und Weltwährungsfonds bezeichnet, die Bevölkerung und Wirtschaft zu strangulieren drohen.

Sein zweites, aussichtsreicheres Sondierungsgespräch wollte Samaras am Montagabend mit dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen PASOK, Evangelos Venizelos, führen. Zwar hätten ND und PASOK zusammen eine Mehrheit im Parlament, doch Venizelos wird vermutlich mit aller Kraft versuchen, mindestens einen weiteren Partner in die Verantwortung zu nehmen, um die Koalition als »Regierung der nationalen Rettung« darstellen zu können. Als Anwärter kämen jedoch - wie bereits im Mai - nur die Demokratische Linke (DIMAR) und die nationalistischen Unabhängigen Griechen (ANEL) in Frage. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) schließt eine Regierungsbeteiligung in jeder Form nach wie vor kategorisch aus, die faschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) dagegen wird von keiner anderen Partei akzeptiert.

Während der für den Fall eines SYRIZA-Wahlsiegs befürchtete Sturm auf die in der Krise ohnehin reichlich geschmolzenen Bankguthaben am Montag ausblieb, gaben die Faschisten bereits in der Nacht zum Montag einen weiteren Vorgeschmack darauf, wie sie ihre parlamentarische Vertretung auf der Straße auszunutzen gedenken. Unmittelbar nach einer Motorraddemonstration, mit der Anhänger der »Goldenen Morgendämmerung« den Wiedereinzug ihrer Partei feierten, griff eine Gruppe von etwa 50 Motorradfahrern eine Wahlfeier der Linksallianz in der Hafenstadt Piräus an. Dabei wurde ein Gemeinderatsmitglied der Linken bewusstlos geschlagen.

Ernste Gefahren drohen von Faschisten

Schon nach dem außerordentlichen Zugewinn von mehr als 400 000 Stimmen im Mai - im Jahre 2009 hatte die Partei noch magere 20 000 Stimmen bekommen - waren die Faschisten fast täglich siegestrunken in den Straßen der Hauptstadt aufmarschiert. Nach eigenen Angaben wurden sie in etlichen Stadtvierteln wie »Mitglieder einer Befreiungsarmee« gefeiert. Gleichzeitig war es fast jede Nacht zu gewaltsamen Angriffen auf Einwanderer gekommen, die von der Chrysi Avgi als Verursacher allen Übels gebrandmarkt werden. Dass auch die Faustschläge des faschistischen Pressesprechers gegen eine kommunistische Abgeordnete dem Ruf der Partei in den Augen ihrer Wähler nicht schadeten, verheißt nichts Gutes für Toleranz und Demokratieverständnis eines nicht unerheblichen Prozentsatzes der griechischen Bevölkerung.

Im linken Teil des politischen Spektrums mischen sich Empörung über das Erstarken des Faschismus und Enttäuschung über die verfehlte Chance, eine links orientierte Regierung zu bilden, mit der Freude über den neuerlichen Zuwachs für SYRIZA. Der wurde immerhin trotz aller Verleumdungen und aller Katastrophenszenarien erstritten, die in Griechenland und in den EU-Metropolen für den Fall eines SYRIZA-Gewinns an die Wand gemalt worden waren. Auch als stärkste Oppositionspartei wird die Linksallianz in Zukunft eine wichtige Rolle sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments spielen. »Wir müssen wieder auf die Straße«

Die Gesichter von Mitgliedern und Sympathisanten, die sich am Sonntag in der Athener Wahlzentrale der Partei über den Stand der Stimmenauszählung informierten, waren durchweg ernst. Für sie ist eine Schlacht knapp verloren, der Kampf aber noch längst nicht beendet. Wer eine die »Memorandumspolitik« verteidigende Partei gewählt hat, dürfe sich über die bevorstehende neue Welle von Kürzungen und Steuererhöhungen nicht beklagen, schrieb ein Leser des Nachrichtenportals Newsbeast am Montag. »Wir anderen müssen wieder auf die Straße, vielleicht kapieren die Schafe dann, dass eine Änderung der Verhältnisse notwendig ist!«

Fast zeitgleich kommentierte eine andere Leserin die Nachricht, dass insbesondere Deutschland auf der strikten Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen bestehe, mit den Worten: »Wenn das passiert, hält Samaras nicht lange durch und Tsipras kommt im Triumphzug zurück!«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Juni 2012


Merkel siegt in Athen

Von Heike Schrader, Athen **

Am Morgen danach titelte die Süddeutsche Zeitung: »Sieg der Konservativen treibt Börsenkurse nach oben« und benannte damit die internationale Minderheit, die sich über den Wahlsieg der Nea Dimokratia (ND) am Sonntag in Griechenland freuen kann. Ermöglicht wurde dieser durch eine beispiellose Erpressungskampagne der wirtschaftlichen und politischen Führungskräfte in Europa, allen voran die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die hatten ihren Wunschkandidaten Antonis Samaras den Menschen in Griechenland als einzigen akzeptablen Partner für Verhandlungen dargestellt. In denen könnte es, so die höchst vagen Andeutungen, um mögliche Verbesserungen bei den von der EU aufgezwungenen Kürzungsprogrammen gehen.

Die ND ging aus der Abstimmung am Sonntag mit einem gegenüber dem ersten Anlauf am 6. Mai um fast 650000 Stimmen oder zehn Prozentpunkten besseren Ergebnis von 29,7 Prozent als Siegerin hervor. Damit verfügt die konservative Partei über 129 Sitze im 300köpfigen Parlament – einschließlich der der stärksten Partei zustehenden 50 Bonussitze. Für eine Alleinregierung reichen sie zwar nicht aus, sind jedoch gute Voraussetzung für eine Koalitionsregierung. Denn anders als im Mai werden sich PASOK, Demokratische Linke und Unabhängige Griechen diesmal wohl gegen einen weiteren Wahlgang entscheiden.

Auch die von vielen fortschrittlichen Kräften in Europa als Alternative favorisierte Linksallianz SYRIZA konnte ihr Resultat vom Mai noch einmal um etwa eine halbe Million Stimmen und zehn Prozentpunkte steigern. Sie zieht mit 26,9 Prozent und 71 Sitzen als stärkste Oppositionspartei in den ehemaligen Königspalast am Syntagmaplatz ein.

Drei weitere der nach im Parlament vertretenen Parteien hielten in etwa ihren Anteil an den Wählerstimmen: Die im Mai bereits auf einen Schatten ihres ehemaligen Selbst geschrumpfte PASOK verlor geringfügig weiter und erzielte 12,3 Prozent (Mai: 13,2) und 33 Sitze. Die Demokratische Linke steigerte ihr Ergebnis zwar um einen zehntel Prozentpunkt, verlor gleichzeitig jedoch zwei ihrer bisherigen Sitze. Auch die faschistische Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) zieht mit 6,9 Prozent und 18 Sitzen als fünftstärkste Partei erneut in das Parlament ein. Die Praxis dieser durch die Krise und eine verfehlte Migrationspolitik hochgespülten rassistischen und demokratiefeindlichen Demagogen ließ sich Sonntag nacht wieder beobachten. Kurz nachdem die Faschisten das Wahlergebnis ihrer Partei mit einer Motorraddemonstration gefeiert hatten, griffen etwa 50 Unbekannte auf Motorrädern eine Wahlfeier der Links­allianz in Piräus an. Dabei wurde ein Gemeindeabgeordneter von SYRIZA bewußtlos geschlagen.

Die übrigen Parteien mußten gravierende Verluste hinnehmen. So verloren die nationalistischen Unabhängigen Griechen des ND-Aussteigers Panos Kammenos mehr als 200000 ihrer vormals 671000 Stimmen und sind nur noch mit 7,5 Prozent und 20 Sitzen vertreten. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) verlor sogar fast die Hälfte ihrer im Mai errungenen 536000 Stimmen. Mit nunmehr verbleibenden zwölf Abgeordneten und 4,5 Prozent stellt sie nur noch die kleinste Fraktion unter den sieben Parteien im neuen Parlament.

Auch das radikale Linksbündnis ­ANTARSYA büßte seine im Mai hinzugewonnenen knapp 50000 Stimmen wieder ein und landete mit knapp 20500 Voten und 0,3 Prozent wieder in etwa bei ihrem Ergebnis von 2009.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Juni 2012


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