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Die Mörder stoppen

Griechenland: Proteste nach Tötung eines Rappers durch Neonazi. Gewerkschaften und Linksparteien demonstrieren gegen faschistische Partei "Chrysi Avgi"

Von Heike Schrader, Athen *

Zehntausende Menschen haben am Mittwoch abend in allen großen Städten Griechenlands gegen rassistische und faschistische Gewalt demonstriert. Zu den Protesten hatten die beiden Gewerkschaftsdachverbände des Landes ADEDY (öffentlicher Dienst) und GSEE (private Wirtschaft) im Rahmen eines zweitägigen Streiks des gesamten öffentlichen Sektors aufgerufen. Dem Appell hatten sich zahlreiche linke Parteien und Organisationen angeschlossen. Auch der Vorsitzende der regierenden sozial­demokratischen PASOK, Evangelos Venizelos, hatte zur Teilnahme aufgefordert. Auslöser der Proteste war der Mord an dem griechischen Rapper und Antifaschisten Pavlos Fyssas. Die Tat gestanden hat ein Aktivist der neofaschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung).

Bei der von über 15000 Teilnehmern besuchten Demonstration in der Hauptstadt kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die die ­Demonstration daran hinderte, vor die Büros der Chrysi Avgi zu ziehen. Eine Gruppe von Demonstranten griff die Polizisten mit Molotow-Brandsätzen und Steinen an, die Polizei setzte massiv Tränengas gegen die gesamte Demonstration ein. Etwa 60 Menschen wurden in Polizeigewahrsam genommen, gegen etwa ein Dutzend Anklage erhoben.

Unter dem Druck der nicht abreißenden antifaschistischen Manifestationen nehmen die Ermittlungen gegen die Strukturen der neofaschistischen und paramilitärisch organisierten Chrysi Avgi an Intensität zu. Bereits seit Anfang der Woche durchsucht die Abteilung für interne Angelegenheiten innerhalb der griechischen Polizei zahlreiche Polizeiwachen auf der Suche nach Beweisen für die von Opfern und linken Organisationen seit Jahren angeprangerte Zusammenarbeit von Polizisten mit den Neonazis. Mehrere hohe Polizeioffiziere sind im Zuge der Ermittlungen bereits zurückgetreten oder wurden suspendiert beziehungsweise auf andere Stellen versetzt. Bei gleichzeitig durchgeführten Hausdurchsuchungen in Büros der Chrysi Avgi vor allem in Athen fand die Polizei regelrechte Waffenlager für den Straßenkampf. Neben Dutzenden von Schlagstöcken, großkalibrigen Feuerwerkskörpern und Stichwaffen wurden in einzelnen Büros auch Ausrüstungsgegenstände der Polizei sichergestellt.

Die faschistische Organisation ihrerseits hat ihre Mitglieder angewiesen, etwaige »belastende Gegenstände« aus den Parteieinrichtungen zu entfernen. Ihre Abgeordneten reden von einem »schmutzigen Krieg des Systems gegen die Nationalisten«. Nach in den griechischen Medien veröffentlichten Informationen liegen der Justiz dagegen bereits Beweise über die Verbindung auch von Abgeordneten der Chrysi Avgi mit den Angriffen vor. Nicht offiziell bestätigten Gerüchten zufolge denkt man in der Nazipartei deswegen über einen geschlossenen Rücktritt aller 18 Abgeordneten nach. Der von den Faschisten wohl gewünschte Effekt einer solchen Aktion, die Ausrufung von Neuwahlen, wäre nach einhelliger Meinung von Verfassungsrechtlern allerdings nicht zu erwarten. Die frei werdenden Sitze würden vielmehr mit Nachrückern aus den anderen im Parlament vertretenen Parteien besetzt. Ob die Faschisten im Falle von Neuwahlen Stimmen verlieren würden, ist dagegen nicht sicher. Zwar sind die Umfragewerte der vor einigen Monaten noch bei bis zu 15 Prozent gehandelten Mörderbande deutlich gesunken. Allerdings nur auf etwa sieben Prozent, also etwa soviel, wie sie bei den Wahlen im letzten Jahr bekommen hatte.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. September 2013


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