Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Griechenlands Linke ist uneins

Traditionalisten gegen Reformanhänger

Von Hannes Hofbauer, Athen *

Die Tragödie der griechischen Linken liegt in ihrer andauernden Spaltung begründet. Die Kommunistische Partei (KKE) und die Linksallianz Synaspismos marschieren seit 1991 getrennt.

Die Traditionskommunisten der KKE, die mit 7,5 Prozent Zustimmung nach der sozialdemokratisch-neoliberalen PASOK (44 Prozent) und der konservativen Nea Dimokratia (33,5 Prozent) die drittstärkste Kraft im Parlament stellen, sind vergleichsweise straff organisiert und berufen sich auf eine Arbeiterschaft, die soziologisch gesehen schrumpft. Die zu den Wahlen als Bündnis angetretene SYRIZA (4,5 Prozent) mit ihrer stärksten Kraft Synaspismos wiederum gibt sich modern, europäisch und bewegungsorientiert. Ein Augenschein bei Demonstrationen, wie sie dieser Tage häufig stattfinden, bestätigt dies jedoch nur zum Teil.

Angetreten sind die jeweiligen Gewerkschaftsgruppen, die Synaspismos und der KKE nahe stehen. Bei der Linksallianz dominieren rote Fahnen, Hammer und Sichel, trotzkistische (DEA, Xekinima) und maoistische (KOE) Gruppen. Die Demonstranten, die an diesem Nachmittag von der Universität zum Omonia-Platz ziehen, sehen nach städtischer Intelligenz, kultur-liberalen Sozialarbeitern und Feministinnen aus. Menschen mit breiten Händen begegnet man hier weniger.

Zur selben Zeit marschiert die kommunistische Gewerkschaft PAME in der Parallelstraße in entgegengesetzter Richtung zum Syntagma-Platz vor das Parlament. Die Forderungen nach Rücknahme des Sparpakets sind identisch mit jenen, die zum Omonia-Platz getragen werden. Die konkreten Losungen schon nicht mehr. Die Gewerkschaft der KKE bringt an diesem Tag mindestens doppelt so viele Menschen auf die Straße. Entlang der Route sind Lautsprecher aufgestellt, man singt Partisanen- und Kampflieder. Gemischtes Publikum: Arbeiter, Studenten, Volk. Mitten in der Demonstration fällt eine Gruppe indischer Gastarbeiter auf, die eigene Transparente mit sich führen. Ein junger Fahnenträger erklärt in einwandfreiem Englisch den Unterschied zwischen »wirklichen« Kommunisten und Linksallianz: »Synaspismos will den Kapitalismus reformieren, daran glauben wir nicht. Das Profitsystem gehört abgeschafft.«

Eine Differenz betrifft die Einstellung zur Europäischen Union. Die KKE lehnt sie als imperialistisches Gebilde rundweg ab, ein Ausstieg Griechenlands wird dennoch nicht gefordert. Synaspismos dagegen will die EU für ihre Ziele nutzen. »Wir stehen zur EU-Integration und streben eine demokratische, soziale, feministische, demilitarisierte und ökologische Union an«, erläutert der für Außenkontakte zuständige Panos Trigazis, vor 1991 Mitglied des Zentralkomitees der KKE. Mit ihrem seinerzeitigen Zuspruch zu den Maastricht-Kriterien löste Synaspismos bei so manchem Linken Kopfschütteln aus. In den vergangenen Monaten jedoch ist eine Radikalisierung auch bei der Führung eingetreten. Die Dezember-Unruhen 2008 nach der Erschießung eines Jugendlichen durch Polizeikräfte wurden von der Linksallianz unterstützt, während die KKE auf Distanz ging. Den Kommunisten waren zu viele unsichere, anarchistische Elemente in dieser Protestbewegung zugegen.

Die Generalstreiks, die seit Ende Februar 2010 ausgerufen wurden, sind indes ohne Mitglieder der regierenden PASOK undenkbar. Zwar mobilisieren KKE und Synaspismos kräftig, die Mehrheit der Teilnehmer kommt jedoch aus dem Umfeld der »Sozialisten«. »Es waren die mittleren PASOK-Kader, die die Führung dazu gezwungen haben, den Generalstreiks zuzustimmen«, analysiert Enrico Finalis von der Linksallianz. »Nieder mit dem Stabilitätspakt!«, lautet der kleinste gemeinsame Nenner, der Athen bereits vier Mal in den vergangenen Monaten zum Stillstand brachte.

Der kleinste Nenner hat es freilich in sich: denn es wird nicht weniger gefordert als die Rücknahme des unsozialen Sparpakets, das wiederum die Voraussetzung für Kredite von IWF und EU-Staaten darstellt. Am 29. April stürmten protestierende Staatsdiener das Finanzministerium; der nächste 24-stündige Generalstreik ist für den heutigen 5. Mai geplant. Dieser Kampf ist mitnichten entschieden. Denn was in der übrigen EU unter den Stichworten Schuldenkrise und Euro-Debakel diskutiert wird, gilt im griechischen Widerstand als Kampf gegen wirtschaftliche Enteignung und soziale Entrechtung.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2010

Letzte Meldungen

Drei Tote bei Protesten gegen griechische Sparpläne

Bei den bislang gewalttätigsten Auseinandersetzungen wegen der Sparpläne in Griechenland sind in Athen drei Menschen ums Leben gekommen. In einer Bankfiliale, die von jugendlichen Demonstranten mit Molotowcocktails in Brand gesetzt wurde, kamen nach Polizeiangaben zwei Frauen und ein Mann zu Tode.

Rund 20 Menschen mussten nach Polizeiangaben aus der brennenden Filiale der Marfin-Bank in der Athener Innenstadt gerettet werden. Fünf von ihnen wurden ins Krankenhaus gebracht. Auch zwei Verwaltungsgebäude gerieten durch Molotowcocktails in Brand. Zuvor hatte es in der Nähe des Parlamentsgebäudes Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten gegeben, die versuchten eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Die Polizei in Athen erklärte einen "allgemeinen Alarmzustand". Am späten Nachmittag beruhigte sich die Lage.

Zuvor waren rund 30.000 Menschen nach Polizeiangaben dem Protestaufruf der beiden großen griechischen Gewerkschaftsverbände, GSEE für die private Wirtschaft und ADEDY für den öffentlichen Dienst, gefolgt. Sie demonstrierten zunächst friedlich. Die kommunistische Gewerkschaft Pame mobilisierte in einer separaten Veranstaltung ebenfalls im Zentrum Athens rund 10.000 Anhänger.

In Thessaloniki im Norden gingen rund 20.000 Menschen auf die Straße. Mehrere Demonstranten warfen Steine auf Polizisten, Geschäfts- und Bankgebäude. Die Proteste richteten sich gegen die rigiden Sparpläne der Regierung, die diese mit den Euroländern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) im Gegenzug für Kredithilfen in Höhe von 110 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre aushandelte.

Das Parlament gedachte mit einer Schweigeminute der Opfer der Krawalle. Papandreou verurteilte den "unfairen Tod" der drei Bürger. Das griechische Parlament soll dem Sanierungspaket mit umfangreichen Gehaltskürzungen und Steuererhöhungen am Donnerstag zustimmen. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sprach sein Mitgefühl angesichts der Toten in Athen aus.

AFP, 5. Mai 2010


Streik aus Protest gegen tödlichen Angriff in Athen

Einen Tag nach dem Tod von drei Menschen bei den Unruhen in Athen sind die Bankangestellten in Griechenland in den Streik getreten. Sie protestieren damit gegen die Brandstiftung, der drei Kollegen zum Opfer fielen. Die Bankfiliale wurde am Mittwoch während einer Massendemonstration gegen das Sparprogramm der Regierung mit Brandsätzen angegriffen.
apn, 6. Mai 2010




Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage