Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Griechische Linke auf Positionssuche

Parteien streiten um Haltung zu Protesten

Von Harald Neuber *

Die andauernden Proteste in Griechenland -- auch am Neujahrstag gab es Zwischenfälle in Thessaloniki und Athen -- trafen die konservative Regierung von Ministerpräsident Kostas Karamanlis völlig unvorbereitet. Die linken Parteien Griechenlands reagieren auf die Entwicklung äußerst unterschiedlich.

Griechenlands Linke ist noch immer damit beschäftigt, ihre Position zu den Protestaktionen von Jugendlichen zu finden. Während die sozialistische Synaspismos (Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie) das Aufbegehren unterstützt, bleibt die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) kritisch. Besonders die gewalttätigen Ausschreitungen spielten der Staatsführung in die Hände, heißt es von ihrer Seite.

Knapp vier Wochen nach dem gewaltsamen Tod des 15-jährigen Schülers Alexandros Grigoropoulos in Athen setzen sich die Proteste fort. Aus den anfänglich spontanen Demonstrationen gegen den mutmaßlichen Mord hat sich inzwischen eine breite, dauerhafte soziale Protestbewegung entwickelt. Nach Angaben der Lehrergewerkschaft OLME sind 700 Schulen und 150 Hochschulinstitute besetzt. Parallel zu den Jugendprotesten gegen das marode Bildungssystem nahmen Arbeiter in der vorletzten Dezemberwoche in Athen die Zentrale des Gewerkschaftsbundes GSEE ein, um gegen die staatsnahe Führung dieses Verbandes zu protestieren. Der Widerstand, so wird klar, entgleitet der Kontrolle der Parteien. Ein Novum für Griechenland, wo alles und jeder in Parteien organisiert ist.

Für eine Kontroverse sorgte in dieser Situation die Führung von Synaspismos, als sie sich Mitte Dezember offen für die spontanen Proteste aussprach. Es handele sich um eine »neue politische Bewegung«, hieß es aus dieser Partei, die zu Beginn der 90er Jahre aus der KKE hervorgegangen war. Synaspismos versucht mit der öffentlichen Annäherung an die Proteste offenbar, seine Anhängerschaft unter Jugendlichen auszubauen. Nach einer Umfrage im Auftrag der Zeitung »Real News« liegt Synaspismos inzwischen mit 10,3 Punkten fast gleichauf mit den Kommunisten, die als drittstärkste Kraft nach Sozialdemokraten und Konservativen in Griechenland auf knapp elf Prozentpunkte kommen.

Trotzdem nimmt die straff organisierte KKE gegenüber den Protesten weiterhin eine kritische Haltung ein. Besonders die gewalttätigen Ausschreitungen werden von den Kommunisten abgelehnt. Die Koukoulofóri (etwa: Vermummte), wie die gewaltbereiten Autonomen in Griechenland genannt werden, hätten »keine Verbindung zur organisierten Arbeiterschaft«, bekräftigte KKEGeneralsekretärin Aleka Papariga auf einer Pressekonferenz in Athen vor wenigen Tagen. Die gewalttätigen Ausschreitungen und Übergriffe auf Autos, Ladenlokale und Banken verglich Papariga gar mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA. So wie diese Angriffe die repressiven Antiterrorgesetze und Feldzüge Washingtons verursacht hätten, würden die Randalierer »Öl ins Feuer der Herrschenden« gießen. Die Unterstützung der Proteste durch Synaspismos sei Opportunismus und habe keine Perspektive. Dies habe sich auch bei der in der Vergangenheit hochgejubelten Bewegung von Globalisierungskritikern und Sozialforen gezeigt, von denen inzwischen kaum mehr etwas zu hören sei.

Wer Recht hat, wird sich vermutlich schon bald zeigen. Die konservative Regierung von Karamanlis und seiner Partei Neue Demokratie will die Proteste, wie es scheint, aussitzen. Für den 9. Januar aber ist in Griechenland ein neuer, landesweiter Aktionstag von Schülern, Studenten und Lehrpersonal angesetzt, zu dem Gewerkschaften und Basisgruppen aufgerufen haben. Die Resonanz wird zeigen, ob aus den Protesten wirklich eine neue Bewegung hervorgegangen ist oder ob es ein Strohfeuer blieb -- hell, aber kurz.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2009


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage